Beteiligte
1. 2. Klägerinnen und Revisionsklägerinnen |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Ehemann der Klägerin zu 2. und Vater der Klägerin zu 1., W.S., am 27. Juni 1980 an den Folgen eines Arbeitsunfalles verstorben ist und die Klägerinnen demzufolge einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente haben. Das Sozialgericht (SG) Dortmund (Urteil vom 8. Dezember 1982) und das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein Westfalen (Urteil vom 14. März 1984) haben den von den Klägerinnen geltend gemachten Anspruch verneint.
Der Ehemann der Klägerin zu 1. befuhr am 27. Juni 1980 zur üblichen Zeit den Weg zu seiner Arbeitsstätte. In einer langgezogenen Linkskurve fuhr sein PKW plötzlich ruckartig auf die Gegenfahrbahn und stieß dort mit einem LKW zusammen. Bremsspuren des PKW konnten ebenso wie technische Mängel am Fahrzeug nicht festgestellt werden. Bei der Benachrichtigung vom Tode ihres Ehemannes infolge des Zusammenpralls äußerte die Klägerin zu 1. gegenüber dem Polizeibeamten, daß ihr Vater am Vortag einen Versuch der Selbsttötung unternommen und einen erneuten Versuch angedroht habe; er wollte "gegen die Ecke fahren".
Durch ihre Bescheide vom 7. November 1980 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus, der gesetzlichen Unfallversicherung ab, weil der Ehemann der Klägerin zu 1. keinen Arbeitsunfall erlitten habe. Die Ermittlungen hätten das Vorliegen einer Selbsttötung bestätigt.
In dem Urteil des SG ist ausgeführt, daß zwischen der Fahrt zur Arbeit und dem Zusammenprall mit dem LKW kein innerer Zusammenhang feststellbar sei. Dies gehe zu Lasten der Klägerinnen. Auch das LSG hat einen inneren Zusammenhang zwischen dem Befahren des Weges zur Arbeitsstätte und dem todbringenden Ereignis nicht mit der für erforderlich angesehenen Wahrscheinlichkeit festzustellen vermocht. Das Beweisergebnis spreche eher für eine Selbsttötung. Dies ergebe sich sowohl aus den Äußerungen der Klägerinnen gegenüber dem Polizeibeamten am Unfalltage als auch aus dem Ablauf des Geschehens selbst. Daß der Ehemann der Klägerin zu 1. sich gegenüber den von den Klägerinnen genannten Zeugen nicht depressiv und selbsttötungsverdächtig gezeigt habe, werde unterstellt. Hieraus ergebe sich jedoch keine andere Beurteilung des ermittelten Sachverhalts. Die Folgen davon, daß ein unfreiwilliger Unfalltod nicht feststellbar sei, müßten die Klägerinnen nach den Regeln der objektiven Beweislast tragen. Dies ergebe sich aus den vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Grundsätzen, denen das LSG folge, obwohl sie im Schrifttum nicht ohne Widerspruch geblieben seien. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Klägerinnen haben dieses Rechtsmittel eingelegt. Sie meinen, das LSG hätte die von ihnen benannten Zeugen vernehmen müssen. Dann hätten die Bekundungen des Polizeibeamten in einem anderen Licht gestanden. Im übrigen halten sie die durch das BSG vorgenommene Verteilung der Beweislast bei unaufklärbarem Sachverhalt für nicht mehr anwendbar, weil das Gesetz bezüglich des Leistungsausschlusses für den Fall der Selbstschädigung geändert worden sei.
Die Klägerinnen beantragen, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 8. Dezember 1982 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 7. November 1980 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. November 1983 zu verurteilen, Hinterbliebenenrente nach dem am 27. Juni 1980 verstorbenen W.S. zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreites der Beklagten aufzuerlegen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Nach ihrer Auffassung war die Vernehmung weiterer Zeugen angesichts der vorliegenden Beweismittel entbehrlich. Das LSG habe die Frage der Beweislastverteilung richtig beurteilt.
II
Die Revision der Klägerinnen ist nicht begründet. Sie haben keinen Anspruch auf die Gewährung von Hinterbliebenenrente, weil nicht feststellbar ist, daß der Tod des, Ehemannes der Klägerin zu 1. und Vaters der Klägerin zu 2. infolge eines Arbeitsunfalles eingetreten ist.
Renten an Hinterbliebene werden gem. § 589 Abs. 1 Nr. 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) nur "bei Tod durch Arbeitsunfall" gezahlt. Daher haben SG und LSG zutreffend geprüft, ob der Ehemann der Klägerin zu 1. am 27. Juni 1980 einen Arbeitsunfall erlitt. Gem. § 550 Abs. 1 RVO gilt als Arbeitsunfall u.a. auch ein Unfall auf einem mit der verrichteten Tätigkeit zusammehhängenden Weg zum Ort der Tätigkeit. Es ist somit ein innerer Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Weg zum Ort der Tätigkeit erforderlich. Fehlt es an einem solchen Zusammenhang, scheidet ein Versicherungsschutz selbst dann aus, wenn sich der Unfall auf derselben Strecke ereignet, die der Versicherte auf dem Weg zur Arbeit sonst gewöhnlich benutzt (s. u.a. BSG SozR 2200 § 550 Nrn. 60 und 62; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl., S. 486 c). Der innere Zusammenhang ist gegeben, wenn die Zurücklegung des Weges der Aufnahme der versicherten Tätigkeit wesentlich dient. Bei der Feststellung des inneren Zusammenhangs zwischen dem zum Unfall führenden Verhalten und der versicherten Tätigkeit geht es - noch stärker als bei dem Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall (haftungsbegründende Kausalität) oder des Arbeitsunfalles mit einer Gesundheitsstörung (haftungsausfüllende Kausalität) - um die Ermittlung der Grenze, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht und nicht um eine Frage der Kausalität im naturwissenschaftlich-philisophischen Sinne. Es ist wertend zu entscheiden, ob das Handeln der betreffenden Person zur versicherten Tätigkeit - hier zum Weg zur Arbeitsstätte gehört. Hierzu ist eine wesentliche sachliche Verbindung der Verrichtung mit der versicherten Tätigkeit erforderlich. Diese fehlt z.B., wenn ein Versicherter sich auf die Wegstrecke begibt, die er zwar auf dem Weg zur Arbeit gewöhnlich benutzt, er aber von vornherein nicht zur Arbeitsaufnahme fahren, sondern bei dieser Fahrt eine Selbstschädigung begehen will. Nicht anders ist es zu beurteilen, wenn er sich erst während der Fahrt entschließt, sich durch einen Zusammenstoß mit einem anderen Fahrzeug zu töten; denn dann steht das Fahren auf die Gegenfahrbahn, um den Zusammenstoß herbeizuführen, nicht mehr im inneren Zusammenhang (s. RVA EuM 30, 321; 33, 268; BSG SozR Nr. 28 zu § 543 RVO a.F.) mit der versicherten Tätigkeit, sondern ist wesentlich geprägt von dem Vorhaben, sich zu töten (vgl. BSGE 30, 278, 281 Zeilen 17 ff.).
Das LSG hat - ebenso wie schon das SG - den inneren Zusammenhang zwischen dem im Unfallzeitpunkt zurückgelegten Weg und der versicherten Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin zu 1. nicht festzustellen vermocht. Gegen die zugrunde liegenden Feststellungen sind begründete Revisionsrügen nicht vorgebracht. Zwar meinen die Klägerinnen, das LSG hätte eine größere Anzahl Zeugen aus dem Lebensbereich des Ehemannes der Klägerin zu 1. vernehmen müssen; diese hätten bekunden können, daß der Ehemann der Klägerin zu 1. nicht deprimiert gewesen sei und erst recht kein Anzeichen dafür gegeben habe, daß er sich selbst töten werde. Dieses Vorbringen vermag jedoch die sorgfältig getroffenen Feststellungen des LSG nicht zu erschüttern. Das LSG ist insbesondere anhand der vorliegenden Beweise zu der Feststellung gelangt, die Klägerinnen selbst hätten am Unfalltage den Verdacht auf Selbsttötung geäußert (s. S. 8/9 des Urteils); gegen diese im Wege freier richterlicher Beweiswürdigung gewonnene Überzeugung wenden sie nichts ein. Ebensowenig greifen sie mit begründeten Verfahrensrügen die Feststellung des LSG an, daß auch das Unfallgeschehen die Selbsttötungsabsicht des Ehemannes der Klägerin zu 1.- und dies insbesondere im Zusammenhang mit den Äußerungen der Klägerinnen - nahelegt. Bei diesen konkreten Umständen fällt nicht entscheidend ins Gewicht, daß der Ehemann der Klägerin zu 1. weder beim Besuch der Tanzschule noch am Arbeitsplatz oder in Vereinen und beim Skatspielen depressiv oder selbsttötungsverdächtig erschien. Der erkennende Senat hat daher von den Feststellungen des LSG auszugehen (§ 163 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Aufgrund dieser getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist das LSG zu dem Ergebnis gelangt, daß nicht festzustellen ist, ob der Ehemann der Klägerin zu 1. unfreiwillig mit dem Lkw zusammengestoßen ist oder ob er diesen Zusammenstoß herbeigeführt hat, um sich zu töten. Das Berufungsgericht hat also nicht allein aufgrund eines nicht erklärbaren Unfallgeschehens, sondern auch unter Beachtung aller besonderen Umstände des zu entscheidenden Einzelfalles nicht feststellen können, daß das Fahren auf die Gegenfahrbahn im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gestanden hat. Die Beweiswürdigung des LSG haben die Klägerinnen ebenfalls nicht mit begründeten Verfahrensrügen angegriffen. Insbesondere haben sie nicht dargelegt, das Berufungsgericht habe die Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung überschritten,
Das LSG hat einen inneren Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Tode führenden Fahrt nicht als hinreichend wahrscheinlich angesehen. Das Berufungsgericht ist somit zugunsten der Klägerinnen davon ausgegangen, daß auch für das Vorliegen des inneren Zusammenhanges zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Zusammenstoß führenden Fahrt die hinreichende Wahrscheinlichkeit genügt. Nach der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (RVA) und auch des BSG sowie der darauf gestützten überwiegenden Meinung im Schrifttum reicht für das Vorliegen der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität zwar die hinreichende Wahrscheinlichkeit aus (s. die Übersicht bei Brackmann a.a.O. S. 480 m m.w.N.). Ob die hinreichende Wahrscheinlichkeit nur für die Annahme des ursächlichen Zusammenhanges zwischen einer für den Unfallzeitpunkt feststehenden versicherten Tätigkeit und dem Arbeitsunfall bzw. zwischen dem Arbeitsunfall und Gesundheitsstörungen, der in den meisten zitierten Entscheidungen im Streit stand (s. u.a. RVA EuM 16, 296; 18, 185; BSG SozR Nr. 20 zu § 542 RVO a.F. und Nr. 41 zu § 128 SGG; BSGE 43, 110; 45, 285; BSG SozR 2200 § 762 Nr. 2), oder ob die hinreichende Wahrscheinlichkeit darüber hinaus auch für alle tatsächlichen Feststellungen zur Beurteilung des inneren Zusammenhanges zwischen der zum Unfall führenden Verrichtung und der versicherten Tätigkeit ausreicht (s. u.a. RVA AN 1886, 228; EuM 24, 225; BSG SozR Nr. 15 zu § 128 SGG), bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, da - wie ausgeführt - das LSG zugunsten der Klägerinnen und Revisionsklägerinnen davon ausgegangen ist, es sei nicht einmal hinreichend wahrscheinlich, daß der Ehemann der Klägerin zu 1. im Zeitpunkt des Zusammenstoßes sich auf einem mit, der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg nach dem Ort der Tätigkeit befunden habe.
Die Klägerinnen tragen die objektive Beweislast dafür, daß der innere Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Zurücklegen des Weges nach dem Ort der Tätigkeit gegeben ist (s. u.a. BSGE 30, 278, 281 und Brackmann a.a.O. S. 480 m mit zahlreichen Nachweisen; s. auch BVerfG SozR 2200 § 548 Nr. 36). Das LSG hat jedoch, wie bereits dargelegt, aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falles verfahrensfehlerfrei nicht festzustellen vermocht, daß das Fahren des Ehemannes der Klägerin zu 1. auf der Gegenfahrbahn im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gestanden hat. Bei der Zuordnung dieser hier maßgebenden Frage in den Bereich der Feststellung des inneren Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Tode führenden Verrichtung rechtfertigt auch § 553 RVO (vgl. zu seiner Entstehungsgeschichte § 3 Abs. 6 der Grundzüge für den Entwurf eines Gesetzes über die Unfallversicherung der Arbeiter; § 5 Abs. 6 des 2. Regierungsentwurfs; § 5 Abs. 3 des 3. Regierungsentwurfs vom 6. März 1884 und die Begründung zum 3. Entwurf, S. 46; Hertling-Bericht vom 11. Juni 1884, S. 16) keine von dem oben aufgezeigten Grundsatz der Verteilung der objektiven Beweislast abweichenden Regelung in den Fällen, in denen der innere Zusammenhang nicht festgestellt werden kann, weil besondere Umstände einer Selbstschädigung ebenso naheliegen. Deshalb verbleibt der Senat auch unter Berücksichtigung der durch sein Urteil vom 30. Januar 1970 (BSGE a.a.O.) entfachten Diskussion bei seiner Rechtsprechung (zustimmend Brackmann, a.a.O. S. 489e; Gitter, SGB - Sozialversicherung - Gesamtkommentar, § 553 Anm. 1; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 553 Anm. 7; Ricke, SGb 1971, 344; Schneck, SGb 1972, 469, 473; a.A. Schnorr, von Carolsfeld in Festschrift für Horst Schickel, S. 261; 266, 272; Berg, Die verwaltungsrechtliche Entscheidung bei ungewissem Sachverhalt, S. 239; Drefahl, SGb 1970, 484; Güllemann, ZVersWiss 1972, 55, 71).
Die angefochtene Entscheidung des LSG ist demnach zutreffend. Die dagegen gerichtete Revision war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 193 SGG.2 RU 24/84
Bundessozialgericht
Verkündet am
30. April 1985
Fundstellen