Entscheidungsstichwort (Thema)
Außentür eines Gebäudes
Leitsatz (amtlich)
In einer zum häuslichen Bereich gehörenden Garage besteht kein Versicherungsschutz nach § 550 RVO, selbst wenn die Garage nicht direkt vom Wohngebäude aus aufgesucht, sondern das Wohngebäude zunächst durch eine der Außentüren verlassen und dann die Garage von außen betreten wurde (Weiterentwicklung von BSG vom 27.10.1976 2 RU 247/74 = BSGE 42, 293 = SozR 2200 § 550 Nr 22).
Orientierungssatz
Außentür eines Gebäudes ist nicht nur die Haustür, an oder neben der die Klingeln und die Briefkästen angebracht sind und durch die gewöhnlich das Wohngebäude verlassen oder betreten wird, sondern jede Außentür, durch die der häusliche Bereich verlassen werden kann.
Normenkette
RVO § 550 Abs 1
Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Entscheidung vom 18.12.1986; Aktenzeichen L 2 U 95/84) |
SG für das Saarland (Entscheidung vom 04.10.1984; Aktenzeichen S 3 U 105/83) |
Tatbestand
Die Klägerin wollte am 18. Juli 1982 mit ihrem Pkw, der in der Tiefgarage ihres Mehrfamilienhauses abgestellt war, zur Arbeitsstelle fahren. Die Garage stellt eine bauliche und räumliche Einheit mit dem Wohngebäude - einem Hochhaus mit 20 Einzelwohnungen - dar. Sie kann sowohl durch einen direkten Zugang vom Wohngebäude als auch von außen nach Durchschreiten der Haustür erreicht werden. Nachdem die Klägerin die Garage von außen her betreten hatte, kam sie zu Fall und zog sich eine Schenkelhalsfraktur links zu. Sie befand sich vom 4. bis 31. August 1982 in stationärer Behandlung.
Die Beklagte lehnte Entschädigungsansprüche ab, da der Versicherungsschutz erst mit dem Durchschreiten der Außentür der zum häuslichen Bereich gehörenden Garage begonnen hätte (Bescheid vom 7. Juni 1983).
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 4. Oktober 1984 die Klage abgewiesen, da die Garage mit dem Wohnhaus eine räumliche Einheit gebildet habe und die Klägerin verpflichtet gewesen sei, den kürzesten und üblichen Weg zu nehmen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung ua ausgeführt (Urteil vom 18. Dezember 1986): Die Garage werde dann nicht mehr zum unversicherten häuslichen Bereich gerechnet, wenn sie entweder vom Wohnhaus getrennt liege oder zwar im Kellergeschoß gelegen sei, aber von dort nicht direkt, sondern erst nach Durchschreiten der Außentür des Wohngebäudes zu erreichen sei. Daran fehle es hier. Die bauliche Verbundenheit der im Kellergeschoß eingebauten Garage ermögliche einen unmittelbaren Zugang von den Wohnungen her, ohne daß die Außentür des Wohngebäudes durchschritten werde. Die Garage gehöre deshalb noch zum unversicherten häuslichen Bereich. Daß es für Unfälle in der Tiefgarage keinen Unterschied machen könne, welchen Weg die Klägerin zu ihrer Wohnung nehme, werde noch deutlicher, wenn ein Unfall auf dem Heimweg passiere. Der Versicherungsschutz könne dann nicht davon abhängen, ob der Versicherte beabsichtige, den unmittelbaren Weg innerhalb des Hauses oder den Weg durch die Außentür zu nehmen.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Sie führt zur Begründung der Revision aus: Es dürfe nicht vergessen werden, daß sich das Wohnverhalten und die Wohnverhältnisse in den letzten Jahren erheblich verändert hätten mit der Folge, daß die Merkmale eines Arbeitsunfalles entsprechend dieser Tatsache den Gegebenheiten angepaßt werden müßten. Nur hierdurch könne vermieden werden, daß diejenigen Arbeitnehmer, die in Hochhäusern wohnten, gegenüber solchen Personen, die über ein eigenes Haus verfügten, benachteiligt würden. Sie habe auch unwidersprochen vorgetragen, daß sie den Durchgang durch die Kellerräume des Hochhauses zur Tiefgarage deshalb nicht benutze, da sie aufgrund der Abgeschiedenheit dieses Durchganges mit kriminellen Handlungen rechne. Berücksichtige man weiter die gesetzlichen Vorschriften für den Bau von Tiefgaragen in Hochhäusern, um den Parkraum außerhalb dieser Gebäude auch aus Umweltschutzgründen zu verringern, so dürfe diese Tatsache nicht zu einer Einschränkung des Schutzes der Unfallversicherung benutzt werden.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen und den Bescheid der Beklagten vom 7. Juni 1983 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Unfall der Klägerin vom 18. Juli 1982 als Arbeitsunfall anzuerkennen sowie ihr wegen des Ereignisses vom 18. Juli 1982 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Urteile der Vorinstanzen für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Als Arbeitsunfall gilt auch ein Unfall auf einem mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 der Reichsversicherungsordnung (RVO) genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 550 Abs 1 RVO).
Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats beginnt der Versicherungsschutz nach dieser Vorschrift erst mit dem Verlassen des häuslichen Bereichs; dieser wird mit dem Durchschreiten der Außentür des von der Versicherten bewohnten Gebäudes verlassen (s ua BSGE 2, 239, 243; 42, 293, 294; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl, Seite 485 o mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Außentür eines Gebäudes ist nicht nur die Haustür, an oder neben der die Klingeln und die Briefkästen angebracht sind und durch die gewöhnlich das Wohngebäude verlassen oder betreten wird, sondern jede Außentür, durch die der häusliche Bereich verlassen werden kann. Dabei bleibt es grundsätzlich auch unfallversicherungsrechtlich der Versicherten überlassen, ob sie das Gebäude durch die Haustür oder eine andere Außentür verläßt. Der Versicherungsschutz beginnt deshalb zB mit dem Durchschreiten der Hoftür, wenn die Versicherte diese Tür wählt, um durch sie zu ihrem Pkw auf dem Hof zu gelangen, mit dem sie den Weg zum Ort der Tätigkeit zurücklegen will.
Diese Grundsätze gelten auch für den Bereich einer Garage (s Brackmann aaO Seite 485 o II). Die Vorinstanzen haben nicht verkannt, daß danach eine Garage, die an das Wohngebäude angebaut oder als Tiefgarage in das Wohngebäude eingebaut und die durch einen direkten Zugang vom Wohngebäude aus zu erreichen ist, ein Teil des häuslichen Bereichs ist. Das Garagentor ist dann eine der Außentüren des Gebäudes, mit deren Durchschreiten oder Durchfahren der Versicherungsschutz beginnt und bei der Rückkehr von dem Ort der Tätigkeit endet (BSGE 37, 36, 37; 42, 293, 295; Brackmann aaO). Es ist jedoch auch bei einer dem häuslichen Bereich zuzurechnenden Garage zu beachten, daß der Versicherte, wie bereits erwähnt, unfallversicherungsrechtlich nicht gezwungen ist, eine bestimmte Außentür für den Weg zum Ort der Tätigkeit zu benutzen. Auch wer den Weg zum Ort der Tätigkeit durch die Hoftür beginnt, verliert den Versicherungsschutz nicht deshalb, weil üblicherweise die Haustür benutzt wird. Selbst wenn der Weg durch die Hoftür einige Meter weiter als durch die Haustür ist, schließt dies den Versicherungsschutz nicht aus, solange der Weg durch die Hoftür aus Gründen gewählt wird, die wesentlich dem Zurücklegen des Weges nach dem Ort der Tätigkeit zuzurechnen sind. Deshalb hat es, entgegen der Auffassung des SG, auch der Klägerin freigestanden, den Weg nicht durch die Verbindungstür in die Garage zu nehmen. In diesem Fall hat der Versicherungsschutz der Klägerin mit dem Durchschreiten der Außentür begonnen. Die Klägerin hat jedoch im Unfallzeitpunkt deshalb nicht unter Versicherungsschutz gestanden, weil sie sich wieder in den häuslichen Bereich begeben hatte. Wie bereits dargelegt, bildet eine an das Haus angebaute oder in das Haus eingebaute und durch eine Verbindungstür mit dem Haus verbundene Garage einen Teil des häuslichen Bereichs (BSGE 42, 293, 296). In diesem Bereich besteht kein Versicherungsschutz, selbst wenn die Verrichtungen in der Garage der Zurücklegung des Weges nach dem Ort der Tätigkeit gedient haben. Dies ist bei vielen Verrichtungen im häuslichen Bereich der Fall, ohne daß deshalb dabei bereits Versicherungsschutz besteht (s Brackmann aaO Seite 486g mwN). Wer zB das Wohngebäude durch die Haustür verläßt, dann aber durch die Kellertür wieder betritt, um dort seinen Regenmantel zu holen, steht während des erneuten Aufenthalts im häuslichen Bereich ebensowenig unter Versicherungsschutz, wie wenn er direkt von der Wohnung aus in den Keller gegangen wäre und den häuslichen Bereich erst durch die Kellertür als eine der Außentüren verlassen hätte. Die Tatsache, daß der in der Garage stehende Pkw zur Fahrt zum Ort der Tätigkeit benutzt wurde, rechtfertigt unfallversicherungsrechtlich keine abweichende Beurteilung je nachdem, ob die zum häuslichen Bereich gehörende Garage durch die Verbindungstür oder durch die Garageneinfahrt betreten wird. Deshalb hat es der Senat auch in seinem Urteil vom 27. Oktober 1976 (BSGE 42, 293, 296) als "entscheidend" angesehen, daß die Garage hier nicht zum unversicherten häuslichen Bereich gehört hat. Die Auffassung des Senats führt nicht, wie die Revision meint, zu einer ungleichen Behandlung der Versicherten, die in einem Mehrfamilienhaus wohnen, gegenüber denen, die in einem Einfamilienhaus ihre Wohnung haben. Auch wenn die Klägerin ein Einfamilienhaus durch die Wohnungstür verlassen und dann eine Garage aufgesucht hätte, die durch eine Verbindungstür mit dem Wohntrakt verbunden gewesen wäre und deshalb einen Teil des häuslichen Bereichs gebildet hätte, hätte sie während des Aufenthalts in der Garage nicht unter Versicherungsschutz gestanden. Ebenso rechtfertigt der Hinweis der Klägerin, sie habe den Weg durch die Kellerräume nicht genommen, weil er ihr zu unsicher gewesen sei, keine andere Beurteilung. Auch wenn ihr der Weg durch die Kellerräume zumutbar gewesen wäre, hätte sie in der Garage nicht unter Unfallversicherungsschutz gestanden. Die Klägerin ist somit während des Aufenthalts in der Garage unfallversicherungsrechtlich nicht schlechtergestellt, weil sie einen anderen als den Weg durch die Kellerräume gewählt hat.
Die Revision der Klägerin war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen