Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit des Stabilitätszuschlags
Leitsatz (amtlich)
Der Stabilitätszuschlag ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 14, 105 Abs. 2, Art. 106 Abs. 3; StabZG §§ 7-9
Tatbestand
I.
1. Das mit Zustimmung des Bundesrates ergangene Steueränderungsgesetz 1973 vom 26. Juni 1973 (BGBl. I S. 676 – StÄndG 1973 –) enthält Bestimmungen über eine Reihe von stabilitätspolitischen Maßnahmen zur Bekämpfung des Preisanstiegs, unter anderem in Art. 4 das Gesetz über die Erhebung eines Zuschlags zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer für die Kalenderjahre 1973 und 1974 (Stabilitätszuschlaggesetz – StabZG –).
Der danach zu erhebende Zuschlag bemißt sich nach der für die Veranlagungszeiträume 1973 und 1974 festgesetzten Einkommen- oder Körperschaftsteuerschuld, nach der Lohnsteuer, die für die Lohnzahlungen in der Zeit nach dem 30. Juni 1973 und vor dem 1. Juli, 1974 zu entrichten ist, sowie in gleicher Weise wie bei der Lohnsteuer nach den sonstigen einkommensteuerlichen Abzugsbeträgen. (§ 2 StabZG). Der Zuschlag zur veranlagten. Einkommensteuer ist im Falle der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nur zu erheben, wenn die Steuerschuld bei nach der Splittingtabelle zu besteuernden Personen mindestens 11774 DM (das entspricht einem zu versteuernden Einkommensbetrag von 48 060 DM und mehr) und bei nach der Grundtabelle zu besteuernden Personen mindestens 5887 DM (das entspricht einem zu versteuernden Einkommensbetrag von 24030 DM und mehr) beträgt (§ 3 Abs. 2). Entsprechendes gilt für den Zuschlag zur. Lohnsteuer (§ 3 Abs. 5).
Der Zuschlag zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer beträgt grundsätzlich 5 vom Hundert der Bemessungsgrundlage, zur Lohnsteuer und den sonstigen Abzugssteuern grundsätzlich 10 vom Hundert der Bemessungsgrundlage, da er dort insgesamt nur während der Dauer eines Jahres einzubehalten ist (§ 3 Abs. 1, 5 und 6). Soweit die Bemessungsgrundlage bei der Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Lohnsteuer nur geringfügig die Grenze übersteigt, von der an der Zuschlag zu erheben ist, ist der anzuwendende Satz zur Vermeidung von Härten geringer als 5 oder 10 vom Hundert. Er beginnt mit 0,5 vom Hundert (bei der Einkommensteuer) oder 1 vom Hundert (bei der Lohnsteuer) und steigt stufenweise bis 5 oder 10 vom Hundert (§ 3 Abs. 3).
Nach § 7 StabZG gehört der Zuschlag nicht zur Bemessungsgrundlage für die Kirchensteuer.
Über die Verwendung des Aufkommens bestimmt § 9 des Gesetzes, daß es zunächst als Konjunkturausgleichsrücklage auf Sonderkonten angesammelt wird, die angesammelten Mittel durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates zur Förderung der Ziele des Stabilitätsgesetzes freigegeben werden können und dabei die Länder und Gemeinden entsprechend ihren jeweiligen Anteilen an der Einkommen- und Körperschaftsteuer zu beteiligen sind.
2. Der Beschwerdeführer ist als Angestellter tätig. Von seinen Bezügen wurde bereits der Stabilitätszuschlag einbehalten. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet er sich unmittelbar gegen das Stabilitätszuschlaggesetz. Zur Begründung führt er im wesentlichen aus:
a) Das Stabilitätszuschlaggesetz sei ein Maßnahmegesetz, da es nur einen bestimmten Personenkreis, etwa 800000 Steuerbürger, betreffe und einem besonderen Ziel, der Stabilisierung, dienen solle. Derartige Gesetze seien nur zulässig, wenn der Staatsbürger und seine Berater feststellen könnten, welchen Charakter die sie beschwerende Maßnahme trage und welchen Zweck sie anstrebe. Das sei hier nicht möglich. Der Stabilitätszuschlag sei keine Steuer, also auch keine zweite Ergänzungsabgabe nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG, keine Maßnahme nach § 26 des Stabilitätsgesetzes vom 8. Juni 1967 in Verbindung mit § 51 Abs. 3 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes und keine rechtmäßig ausgestaltete konjunktursteuernde Geldleistung im Sinne des Art. 74 Nr. 11 GG. Auch wegen der Verwendung des Aufkommens aus dem Zuschlag flüchte sich der Gesetzgeber durch zu allgemein gehaltene Freigabevorschriften in § 9 des Gesetzes in den Bereich des Unüberprüfbaren. Ferner fehle eine Begründung dafür, daß die für die Erhebung des Zuschlags maßgebenden Einkommensstufen auf 24 000 und 48 000 DM festgesetzt worden seien. Das Stabilitätszuschlaggesetz verstoße damit gegen die Bestimmungen des Art. 2 Abs. 1, Art. 19 und Art. 20 Abs. 3 GG.
b) Der Stabilitätszuschlag sei keine Steuer, weil er nicht zur Erzielung von Einkünften gedacht sei. Auch eine eventuell aus § 9 Abs. 2 des Gesetzes herzuleitende „bedingte Steuer” sei keine Steuer im Rechtssinne, denn es stehe nicht fest, daß das Aufkommen zu einem bestimmten Zeitpunkt unter genau bestimmten Voraussetzungen dem volkswirtschaftlichen Kreislauf wieder zugeführt werde.
Damit seien Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 in Verbindung mit Art. 105 und Art. 106 GG verletzt.
c) Der Stabilitätszuschlag sei ferner als konjunktursteuernde Maßnahme im Bereich der Einkommen über 36 000 und 72 000 DM ungeeignet. In dieser Einkommensstufe sei die Konsumquote gering, so daß mit dem Zuschlag keine Massenkaufkraft abgeschöpft werde. Die durch den privaten Verbrauch gesteigerte Nachfrage sei jedoch gerade die Hauptursache der inflatorischen Entwicklung. Auch die Investitionsneigung werde nicht durch die Zuschläge getroffen, sondern durch andere Maßnahmen, insbesondere durch die Investitionssteuer und die Aussetzung der degressiven Abschreibung.
Auf der anderen Seite verletze das Stabilitätszuschlaggesetz für den Bereich der Einkommen zwischen 24 000/48000 DM und 36000/72000 DM das Sozialstaatsprinzip. Diese durch eine hohe Konsumquote gekennzeichneten Einkommen seien ohnedies durch ihre inflatorische Aufblähung einkommensteuerlich besonders belastet, da bei ihnen der gleichgebliebene progressiv ausgestaltete Steuertarif besonders ansteige. Hinzu komme eine weitere heimliche Tarifprogression durch die gleichzeitig erhöhte Mineralölsteuer.
Dadurch seien Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Art. 3 GG verletzt.
d) Hilfsweise rügt der Beschwerdeführer noch, das Stabilitätszuschlaggesetz verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, da es ohne einleuchtenden Grund lediglich eine kleine Gruppe von Erwerbstätigen treffe. Es verletze gegenüber Bürgern der Einkommensgruppe zwischen 24 000/48 000 DM und 36 000/72 000 DM auch Art. 14 GG, da das abzuführende Geld aus der Substanz genommen werden müsse. Schließlich sei § 7 des Gesetzes verfassungswidrig, weil er von einer negativen Kompetenz des Bundes für die Kirchensteuer ausgehe, wenn er ausschließe, daß der Zuschlag zur Bemessungsgrundlage für die Kirchensteuer gehöre. Darin liege ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 und Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 8 der Weimarer Reichs Verfassung.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde kann keinen Erfolg haben.
1. Soweit der Beschwerdeführer sich gegen die Bestimmung des § 7 des Gesetzes wendet und bemängelt, der Bundesgesetzgeber habe den Stabilitätszuschlag nicht von der Bemessungsgrundlage für die Kirchensteuer ausnehmen dürfen, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil der Beschwerdeführer insoweit nicht beschwert ist.
Es bestehen auch bei weiteren in Form eines gedruckten Musterschriftsatzes erhobenen Rügen des Beschwerdeführers Bedenken gegen die Zulässigkeit. Er hat es versäumt darzulegen, zu welcher der von ihm gebildeten Einkommensgruppen er zählt und welchen zu versteuernden Einkommensbetrag er voraussichtlich erzielen wird, ferner daß der Stabilitätszuschlag gerade von ihm aus der Vermögenssubstanz entrichtet werden muß. Diese Bedenken können jedoch in dem Verfahren nach § 24 BVerfGG dahingestellt bleiben (vgl. BVerfGE 6, 7 [11 f.]; 13, 243 [246]), weil die Verfassungsbeschwerde offensichtlich unbegründet ist.
2. a) Es ist ohne Bedeutung, ob das Stabilitätszuschlaggesetz ein „Maßnahmegesetz” ist. Jedenfalls sind Maßnahmegesetze als solche nach dem Grundgesetz weder unzulässig noch unterliegen sie einer strengeren Prüfung als andere Gesetze (BVerfGE 25, 1 [14] und 25, 371 [396] mit weiteren Nachweisen). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers lassen sich aus der Struktur des Gesetzes und seiner Entstehungsgeschichte sein Wesen und sein Zweck entnehmen.
b) Der Bundesgesetzgeber war zum Erlaß des Stabilitätszuschlaggesetzes nach der für die Steuergesetzgebung geltenden Kompetenznorm des Art. 105 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 106 Abs. 3 Satz 1 GG befugt. Der Stabilitätszuschlag ist eine Steuer im Sinne des Grundgesetzes, dessen Steuerbegriff an den des allgemeinen Steuerrechts anknüpft (BVerfGE 7, 244 [251]; 29, 402 [408 f.] ).
Der Stabilitätszuschlag dient der Erzielung von Einkünften der öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen, da er diesen endgültig zufällt und von ihnen im Rahmen des § 9 StabZG frei verwendet werden kann. Eine Rückzahlung an die Steuerpflichtigen ist nicht vorgesehen. Unerheblich ist, daß das Aufkommen zunächst auf Sonderkonten angesammelt wird und nur durch Gesetz bei entsprechender konjunktureller Lage zur Ausgabe freigegeben werden kann. Der Begriff der Steuer setzt nicht die sofortige Ausgabe der erlangten Beträge voraus.
Es ist auch unerheblich, daß der derzeitige Hauptzweck des Stabilitätszuschlags nicht die Erzielung von Einkünften, sondern die Steuerung der Konjunktur durch zeitweise Stillegung von Kaufkraft ist. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt die Zulässigkeit wirtschaftslenkender Maßnahmen im Wege der Steuergesetzgebung betont (BVerfGE 16, 147 [161]; 29, 327 [331]; 30, 250 [264] ).
Der Stabilitätszuschlag ist eine Einkommensteuer. Das ergibt sich schon aus der Entstehungsgeschichte (vgl. Jung, WM 1973, S. 942 [944]). Es ist ferner aus dem Gesetz erkennbar. Der Zuschlag ist so gestaltet, daß er eine Tariferhöhung der Einkommensteuer bewirkt, daß er sich besonders eng an die Einkommensteuer als Bemessungsgrundlage anschließt (§§ 7 und 8) und daß – anders als bei der Ergänzungsabgabe – entsprechend Art. 106 Abs. 3 Satz 2 GG der Bund und die Länder am Aufkommen beteiligt werden (§ 9 Abs. 3).
c) Auch die Rüge, der Stabilitätszuschlag sei ungeeignet, um den in erster Linie vom Gesetz verfolgten Stabilisierungszweck zu erreichen, vermag die Verfassungswidrigkeit des Stabilitätszuschlaggesetzes schon aus folgenden Erwägungen nicht zu begründen:
Der Gesetzgeber stand vor der Aufgabe, der Gefahr einer inflatorischen Entwicklung rach und wirksam entgegenzutreten. Eine Politik, die einer Übersteigerung des Booms begegnen wollte, mußte nach Auffassung des Sachverständigenrates (vgl. das Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vom 14. August 1963 in der Fassung vom 8. November 1966 – BGBl. I S. 633 –) neben einer Zurückdrängung der privaten Nachfrage vor allem die Investitionen treffen, um zu verhindern, daß die Investitionsneigung in einem Maße angeregt wird, das nicht nur die Überhitzung des Aufschwungs fördert, sondern zugleich Überkapazitäten schafft und damit einen neuen Abschwung „vorprogrammiert” (Sondergutachten zur konjunkturpolitischen Lage im Mai 1973, BTDrucks. 7/530, Nr. 29 Abs. 1, Nr. 31 Abs. 3).
Der Gesetzgeber hält sich im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit, wenn er versucht, dieses Ziel zusammen mit weiteren geld-, kredit-, steuer- und haushaltspolitischen Maßnahmen (vgl. Bulletin 1973 Nr. 53, S. 487) durch die Erhebung des Stabilitätszuschlags zu erreichen. Besonders die mittleren und höheren Einkommen werden außer zum Konsum in verhältnismäßig hohem Maße zu Investitionen verwendet. Ihre Belastung mit dem Stabilitätszuschlag bewirkt daher vor allem, daß der Selbstfinanzierungsspielraum der Investoren und das Fremdkapitalangebot vermindert werden.
Auch die vom Finanzausschuß des Deutschen Bundestages bei der Beratung des Steueränderungsgesetzes 1973 gehörten Sachverständigen erkannten übereinstimmend die stabilisierende Wirkung einer Stabilitätsabgabe an (vgl. Protokoll Nr. 11 a des 7. Ausschusses vom 17. Mai 1973, S. 3 f., 51 ff.), obwohl sie die geplanten Maßnahmen als etwas zu einseitig gegen die Investitionsnachfrage gerichtet ansahen. Ob andere Maßnahmen, insbesondere auch eine Einbeziehung der Bezieher niedrigerer Einkommen, zur Erreichung des vom Gesetzgeber verfolgten Zieles noch besser geeignet gewesen wären, hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden (BVerfGE 29.402 (410 f.] ).
d) Es ist auch mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, daß der Stabilitätszuschlag nur von den Beziehern mittlerer und höherer Einkommen erhoben wird.
Der Stabilitätszuschlag ist eine zusätzliche Einkommen- und Körperschaftsteuer. Bei derartigen Steuern, die an die Leistungsfähigkeit des Pflichtigen anknüpfen, ist die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte zulässig und geboten (BVerfGE 29, 402 [412] ; 32, 333 [339] ). Der Gesetzgeber hat sich bei der Bestimmung, von welcher Einkommensstufe an die Zahlungsverpflichtung eintreten soll, im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit gehalten.
e) Eine Verletzung der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG ist bei einem Zuschlag von – auf das Kalenderjahr bezogen – 5 vom Hundert zur Einkommensteuer und zur Lohnsteuer bei den hier betroffenen höheren Einkommen offenkundig nicht gegeben.
Fundstellen
Haufe-Index 1074968 |
BStBl II 1973, 878 |
BVerfGE 36, 66 |
BVerfGE, 66 |
NJW 1973, 2099 |