Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Abzug von Unterhaltsleistungen bei Anspruch auf Kindergeld
Leitsatz (redaktionell)
Die Beseitigung des dualen Kinderlastenausgleichs durch Art. 2 des ESt-Reformgesetzes vom 5. August 1974 (BGBl. I S. 1769) und die Ersetzung durch ein einheitliches, vom Einkommen der Eltern unabhängiges Kindergeld hat das Bundesverfassungsgericht als vereinbar mit Art. 3 Abs. 1 i. V. mit Art. 6 Abs. 1 GG beurteilt. Diesem verfassungsrechtlich unbedenklichen Grundsatz der seinerzeitigen Reform des Kinderlastenausgleichs, die üblichen Unterhaltsaufwendungen für ein Kind durch Kindergeld oder Leistungen im Sinne des § 8 Abs. 1 BKGG abzugelten, entspricht es, für Unterhaltszahlungen an Kinder, für die Kindergeld beansprucht werden kann, keinen Steuerfreibetrag nach § 33 a Abs. 1 EStG zu gewähren.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1; EStG § 33a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a
Verfahrensgang
Gründe
1. a) Nach ständiger Rechtsprechung (BVerfGE 43, 108 ≪120≫ m.w.N.; 61, 319 ≪343 f.≫; 66, 214 ≪223 f.≫; 67, 290 ≪297 f.≫; 68, 143 ≪152 f.≫) ist es ein grundsätzliches Gebot der durch Art. 3 Abs. 1 GG verbürgten Steuergerechtigkeit, die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten. Aus der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ergibt sich, daß auch solche Ausgaben einkommensteuerrechtlich bedeutsam sind, die außerhalb der Sphäre der Einkommenserzielung – also im privaten Bereich – anfallen und für den Steuerpflichtigen unvermeidbar sind. Die wirtschaftliche Belastung durch Unterhaltsverpflichtungen ist ein besonderer, die Leistungsfähigkeit beeinträchtigender Umstand. Diese unabweisbare Sonderbelastung darf der Gesetzgeber ohne Verstoß gegen die Steuergerechtigkeit nicht außer acht lassen. Daraus folgt, daß er für die steuerliche Berücksichtigung zwingender Unterhaltsverpflichtungen nicht realitätsfremde Grenzen ziehen darf (BVerfGE 66, 214 ≪223≫).
Darüber hinaus darf der Gesetzgeber das einmal gewählte Ordnungsprinzip nicht ohne weiteres unbeachtet lassen. Eine Systemwidrigkeit führt zwar für sich allein noch nicht zu einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Eine Verletzung der vom Gesetz selbst statuierten Sachgesetzlichkeit kann aber einen solchen Verstoß indizieren (BVerfGE 66, 214 ≪224≫).
b) Die Beseitigung des dualen Kinderlastenausgleichs durch Art. 2 des Einkommensteuer-Reformgesetzes vom 5. August 1974 (BGBl. I S. 1769) und die Ersetzung durch ein einheitliches, vom Einkommen der Eltern unabhängiges Kindergeld hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 43, 108 ≪121 ff.≫; 45, 104 ≪120 f.≫) als vereinbar mit Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG beurteilt. Diesem verfassungsrechtlich unbedenklichen Grundsatz der seinerzeitigen Reform des Kinderlastenausgleichs, die üblichen Unterhaltsaufwendungen für ein Kind durch Kindergeld oder Leistungen im Sinne des § 8 Abs. 1 BKGG abzugelten, entspricht es, für Unterhaltszahlungen an Kinder, für die Kindergeld beansprucht werden kann, keinen Steuerfreibetrag nach § 33 a Abs. 1 EStG zu gewähren, während Unterhaltszahlungen an andere Personen nach § 33 a Abs. 1 EStG 1979 bis zu 3600 DM absetzbar waren, jedoch vermindert um den Betrag, der die eigenen Einkünfte und Bezüge der unterhaltenen Person in Höhe von 4200 DM überstieg (vgl. BVerfGE 45, 104 025 f.≫).
c) Zur Beantwortung der Frage, ob der Steuergesetzgeber unabweisbare Unterhaltsaufwendungen realitätsfremd außer acht gelassen und damit gegen das Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verstoßen hat, kann das Sozialhilferecht wesentliche Anhaltspunkte liefern. Das sozialhilferechtlich gewährleistete Existenzminimum, das jeweils verbrauchsbezogen ermittelt wird, soll eine menschenwürdige Lebensführung ermöglichen (§ 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG). Es wird regelmäßig den steigenden Lebenshaltungskosten angepaßt (vgl. BVerfGE 66, 214 ≪224≫; 67, 290 ≪298≫).
Das Kindergeld betrug gemäß § 10 BKGG i.d.F. vom 14. November 1978 (BGBl. I S. 1757) vom 1. Januar 1979 an für das erste Kind 50 DM monatlich, für das zweite Kind 100 DM und für das dritte Kind und jedes weitere Kind 195 DM monatlich. Rechnet man das Kindergeld, wie es das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 43, 108 ≪122 f.≫) für geboten erachtet hat, unter Zugrundelegung eines im Jahr 1979 bestehenden Anfangssteuersatzes von 22 % (vgl. § 32 a Abs. 1 Nr. 2 EStG 1979) auf einen steuerlichen Freibetrag um, so ergeben sich – fiktive steuerliche – Entlastungsvolumina in Höhe von 2727 DM für das erste Kind, 5454 DM für das zweite Kind und 10 682 DM ab dem dritten Kind.
Bei einem Vergleich mit dem entsprechenden Regelsatz ist freilich nicht allein auf das Kindergeld abzustellen. Vielmehr sind die weiteren steuerlichen Entlastungen mit einzubeziehen (BVerfGE 43, 108 ≪121 f.≫; 45, 104 ≪125≫).
Die Beschwerdeführer erhalten für die beiden älteren, in ihrem Haushalt lebenden Kinder um deren eigene Einkünfte und Bezüge zu kürzende Ausbildungsfreibeträge, und zwar für M. in Höhe 1377 DM und für J. in Höhe von 1400 DM, sowie Leistungen nach dem BAföG. Außerdem werden sämtliche Kinder bei den Höchstbeträgen für Vorsorgeaufwendungen (vgl. § 10 Abs. 3 Nr. 1 a EStG) durch Erhöhung von 600 DM je Kind berücksichtigt.
Die weiteren kindbedingten steuerlichen Vergünstigungen (die der Bundesfinanzhof in dem angegriffenen Beschluß im einzelnen aufgeführt hat) sowie die außersteuerlichen Leistungen des Staates im Schul-, Bildungs- und Ausbildungssystem, die die unterhaltspflichtigen Eltern ebenfalls wirtschaftlich entlasten (vgl. BVerfGE 43, 108 ≪121 f.≫; 45, 104 ≪125≫), brauchen hier in die Vergleichsberechnung nicht einmal einbezogen zu werden, weil bereits die Entlastungen durch Kindergeld, Ausbildungsfreibeträge und den Erhöhungsbetrag bei den Vorsorgeaufwendungen in Höhe von insgesamt 5727 DM für das erste Kind, 8454 DM für das zweite Kind und 13 682 DM für jedes weitere Kind keinen Anhaltspunkt für eine realitätsfremde Berücksichtigung zwangsläufiger Unterhaltsverpflichtungen der Beschwerdeführer gegenüber ihren Kindern bietet.
Bereits das Entlastungsvolumen für das erste Kind übersteigt deutlich den Umfang, in welchem der Gesetzgeber im übrigen zwangsläufiger Unterhaltsaufwendungen einkommensmindernd berücksichtigt. Der Höchstbetrag nach § 33 a Abs. 1 EStG ist durch das Steueränderungsgesetz 1972 vom 30. November 1978 (BGBl. 1 1978 S. 1849) von 3000 auf 3600 DM angehoben worden und stimmt damit mit dem im Jahr 1979 das steuerfrei belassene Existenzminimum sichernden Grundfreibetrag in Höhe von 3690 DM (vgl. § 32 a Abs. 1 Nr. 1 EStG 1979) nahezu überein.
2. Der BFH hat in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise im Hinblick auf seine ständige, mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts übereinstimmende eigenen Rechtsprechung eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verneint (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist ferner die Auffassung des Revisionsgerichts, es unterliege für das Streitjahr 1979 nicht der Beurteilung der Finanzgerichte, ob der der Gesetzgeber dem Gebot, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mindernde Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern mit der Bemessung des Kindergeldes, insbesondere für das erste Kind, in ausreichendem Maße nachgekommen sei. Hat der Gesetzgeber die Leistungsfähigkeit mindernde Umstände – ausnahmsweise – als förderungswürdigen Tatbestand geregelt, ist die Berücksichtigung der verminderten Leistungsfähigkeit insoweit aus dem Steuerrecht ausgegliedert und als Förderungsaufgabe dem Sozialrecht zugewiesen. Geschieht dies, ist bei der Festsetzung der Sozialleistung oder bei deren Änderung die im Steuerrecht vernachlässigte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu beachten (BVerfGE 61, 319 ≪354≫).
Ohne Verfassungsverstoß (vgl. Ziff. 1) verneint der BFH schließlich im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung der sozialrechtlichen Förderung und der im einzelnen aufgeführten steuerlichen kindbedingten Entlastungen realitätsfremde Grenzen bei der Berücksichtigung zwangsläufiger Unterhaltsaufwendungen, einschließlich der Ausbildungskosten (vgl. BVerfGE 43, 108 ≪122≫).
Fundstellen