Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine vorläufige Zulassung zur mündlichen Steuerberaterprüfung bei fehlender Vorbildungsvoraussetzung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Verzögerung einer Berufszugangsprüfung (Steuerberaterprüfung) um ein Jahr ist als hinreichend schwerer Nachteil i. S. des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO zu werten, zumal die nur vorläufige Zulassung zur Prüfung die Hauptsache nicht vorwegnimmt.
2. Soweit die Verfassungsbeschwerde die Auslegung der das Verfahren über die Zulassung zur Steuerberaterprüfung regelnden Normen im Beschluß des BFH vom 21. Januar 1999 VII B 214/98 (BStBl II 1999, 141, BFH/NV 1999, 734) angreift, sind Verfassungsverstöße nicht festzustellen.
3. Es stellen sich besondere Anforderungen an die Effektivität des Rechtsschutzes in Fällen, in denen die Zulassung zu einer berufsbezogenen Prüfung versagt wird und die Verweigerung vorläufigen Rechtsschutzes zu einer erheblichen Ausbildungsverzögerung führt.
4. Die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen.(Leitsätze nicht amtlich)
Normenkette
GG Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4; FGO § 114 Abs. 1 S. 2; StBerG § 36 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Tatbestand
I.
Der Beschwerdeführer begehrt die vorläufige Zulassung zur mündlichen Steuerberaterprüfung.
- Der Beschwerdeführer hat 1995 ein wirtschaftswissenschaftliches Studium abgeschlossen. Bereits zwischen den schriftlichen und mündlichen Examensprüfungen trat er eine Arbeitsstelle bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft an. Seine Zulassung zu der im Oktober 1998 stattfindenden Steuerberaterprüfung lehnte die zuständige Behörde ab, weil dem Beschwerdeführer die erforderliche Berufspraxis von drei Jahren nach Abschluß des Studiums fehle. Die zwischen den Klausuren und der mündlichen Prüfung liegende Berufstätigkeit könne nicht angerechnet werden. Es komme auf das Datum des Zeugnisses an, das nach der maßgeblichen Prüfungsordnung dem Tag der letzten Prüfungsleistung entspreche. Das Finanzgericht verpflichtete das Finanzministerium im Wege der einstweiligen Anordnung den Beschwerdeführer zur Steuerberaterprüfung 1998 vorläufig zuzulassen. Der Beschwerdeführer nahm daraufhin an den Klausuren teil. Der Bundesfinanzhof hob diese Entscheidung auf und lehnte den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit folgender Begründung ab: Zweifelhaft sei schon das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, da dem Beschwerdeführer die Zulassung zur Steuerberaterprüfung 1999 gewiß sei. Der Nachteil, diese Prüfung erst ein Jahr später ablegen zu können, wiege nicht schwer genug, um den Erlaß einer die Hauptsache vorwegnehmenden einstweiligen Anordnung zu rechtfertigen. Das könne aber letztlich offenbleiben, da es an einem Anordnungsanspruch fehle. Wie sich aus der Auslegung des § 36 Abs. 1 Nr. 1 des Steuerberatungsgesetzes – StBerG – in Verbindung mit der einschlägigen Prüfungsordnung ergebe, sei der Tag der letzten Prüfungsleistung – hier: der mündlichen Prüfung – der Zeitpunkt des Studienabschlusses. Erst die danach abgeleistete Praxis könne auf die geforderte dreijährige Berufstätigkeit angerechnet werden.
- Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG durch die Entscheidung des Bundesfinanzhofs. Gleichzeitig beantragt er, im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 32 BVerfGG zur mündlichen Steuerberaterprüfung zugelassen zu werden. Zur Begründung trägt er im wesentlichen vor, der Bundesfinanzhof habe bei seiner Auslegung der die Steuerberaterprüfung regelnden Normen des einfachen Rechts Gehalt und Bedeutung von Art. 12 Abs. 1 GG grundlegend verkannt. Die Zulassung zur Steuerberaterprüfung dürfe nur an Voraussetzungen geknüpft werden, die dem Zweck dienten, die für die Berufsausübung erforderlichen Kenntnisse nachzuweisen. Sein Studium habe er mit den erfolgreich angefertigten Klausuren abgeschlossen und damit die Kenntnisse auch nachgewiesen. Die anschließende mündliche Prüfung habe lediglich dem Ziel der Notenverbesserung gedient. Er hätte sich auch von sämtlichen mündlichen Prüfungen befreien lassen können. Seine im Anschluß an die Klausuren aufgenommene Berufspraxis müsse deshalb voll angerechnet werden. Im übrigen werde die bisherige Ansicht des Bundesfinanzhofs zur Frage des Anordnungsgrundes Art. 19 Abs. 4 GG nicht gerecht. Die Gefahr, erst ein Jahr später die angestrebte Berufszugangsprüfung ablegen zu können, führe zu schwerwiegenden beruflichen und persönlichen Nachteilen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Damit erledigt sich auch der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
- Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne des § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG kommt der Verfassungsbeschwerde nicht zu. Die Anforderungen, die Art. 12 Abs. 1 GG an die Ausgestaltung von Berufszugangsprüfungen stellt, sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (vgl. BVerfGE 84, 34 ≪45≫; 84, 59 ≪72≫). Das Bundesverfassungsgericht hat ebenfalls bereits entschieden, daß Art. 19 Abs. 4 GG auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz verlangt, wenn ohne diesen schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfGE 46, 166 ≪177 f.≫; 79, 69 ≪74≫). Dementsprechend stellen sich besondere Anforderungen an die Effektivität des Rechtsschutzes in den Fällen der Verweigerung der Prüfungszulassung jedenfalls dann, wenn die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes zu einer erheblichen Ausbildungsverzögerung führt (BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluß vom 25. Juli 1996, NJW 1997, S. 1694).
Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht nach § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG angezeigt, um Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte des Beschwerdeführers durchzusetzen.
a) Zwar begegnen die in dem angefochtenen Beschluß enthaltenen Erwägungen hinsichtlich der Frage des Anordnungsgrundes verfassungsrechtlichen Bedenken. Es wird der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerecht, die Verzögerung einer Berufszugangsprüfung um ein Jahr nicht als hinreichend schweren Nachteil im Sinne des § 114 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO – zu werten, zumal die nur vorläufige Zulassung zur Prüfung die Hauptsache nicht vorwegnimmt (vgl. BVerwGE 94, 352 ≪356≫). Eine Annahme der Verfassungsbeschwerde kommt jedoch deshalb nicht in Betracht, weil der angegriffene Beschluß nicht auf diesen Erwägungen beruht. Der Bundesfinanzhof hat diese Frage vielmehr ausdrücklich offengelassen.
b) Soweit der Beschwerdeführer die Auslegung der das Verfahren über die Zulassung zur Steuerberaterprüfung regelnden Normen angreift, sind Verfassungsverstöße nicht festzustellen. Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts ist zuvörderst Aufgabe der Fachgerichte. Das Bundesverfassungsgericht überprüft sie nur darauf, ob Auslegungsfehler sichtbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere dem Umfang seines Schutzbereichs beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für
den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (BVerfGE 18, 85 ≪93≫; stRspr). Derartige Auslegungsfehler sind nicht ersichtlich.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kühling, Jaeger, Steiner
Fundstellen
Haufe-Index 1276213 |
NJW 1999, 2802 |
NVwZ 1999, 866 |