Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Beschluss vom 06.02.2009; Aktenzeichen III - 1 Ws 65/09) |
LG Mönchengladbach (Beschluss vom 27.01.2009; Aktenzeichen 29 Ns 21/08) |
AG Mönchengladbach (Entscheidung vom 15.11.2007; Aktenzeichen 58 Gs 782/07) |
Tenor
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 6. Februar 2009 – III – 1 Ws 65/09 – und der Beschluss des Landgerichts Mönchengladbach vom 27. Januar 2009 – 29 Ns 21/08 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
A.
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft.
I.
1. Der Beschwerdeführer wurde am 14. November 2007 wegen Verdachts des unerlaubten Führens einer Schusswaffe und der gefährlichen Körperverletzung vorläufig festgenommen und befindet sich seither aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 15. November 2007 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Er wurde beschuldigt, ohne die erforderliche Erlaubnis mit einer Schusswaffe drei Schüsse abgefeuert sowie die Geschädigte mit der Faust geschlagen und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt zu haben. Als der Geschädigten die Flucht gelungen sei, habe er sie verfolgt, an den Haaren zu Boden gerissen und über den Asphalt geschleift, bis sie nochmals bewusstlos wurde. Der dringende Tatverdacht ergebe sich aus der Einlassung des Beschuldigten, den Bekundungen der Geschädigten und weiterer Zeugen sowie Augenscheinsobjekten. Es bestehe der Haftgrund der Fluchtgefahr, weil der Beschwerdeführer ohne nennenswerte Bindungen und zudem arbeitslos sei. Er habe mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen, die einen Fluchtanreiz darstelle. Bei der am 14. November 2007 durchgeführten Durchsuchungsmaßnahme habe er versucht zu flüchten. Zudem bestehe der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr, weil in Ansehung der bereits erfolgten aggressiven und drohenden Äußerungen gegenüber der Geschädigten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei, dass der Beschwerdeführer versuchen werde, durch Gewalt oder Drohungen – auch gegenüber dem vierjährigen Sohn der Geschädigten – auf ihr Aussageverhalten einzuwirken.
2. a) Die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach erhob am 14. Januar 2008 Anklage zum Amtsgericht Mönchengladbach – Schöffengericht –, mit der dem Beschwerdeführer der im Haftbefehl genannte Sachverhalt zur Last gelegt wurde. Mit Beschluss vom 11. Februar 2008 ließ das Amtsgericht die Anklage zur Hauptverhandlung zu und eröffnete das Hauptverfahren.
b) Die Hauptverhandlung fand am 31. März 2008 statt. Das Amtsgericht Mönchengladbach verurteilte den Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen unerlaubten Führens einer Schusswaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Durch Beschluss erhielt es den Haftbefehl aufrecht. Der Beschwerdeführer legte gegen das Urteil am 4. April 2008 Berufung ein.
c) Der Vorsitzende des Schöffengerichts diktierte das erstinstanzliche Urteil am 7. April 2008 und verfügte dessen Ausfertigung und Zustellung am 21. April 2008. Nach der Zustellung des Urteils an den Verteidiger des Beschwerdeführers und die Vertreterin der Nebenklägerin am 20. Mai 2008 verfügte das Amtsgericht am 4. Juni 2008 die Aktenübersendung an die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach zur weiteren Veranlassung hinsichtlich der Berufung. Die Akten gingen dort am 20. Juni 2008 ein. Die Staatsanwaltschaft verfügte am 24. Juni 2008 die Übersendung der Akten an das Landgericht Mönchengladbach, wo sie am 26. Juni 2008 eingingen.
3. a) Der Vorsitzende Richter der zuständigen Strafkammer besprach am 22. Juli 2008 telefonisch die Sach- und Rechtslage mit dem für das Berufungsverfahren neu bestellten Verteidiger des Beschwerdeführers. Dieser kündigte an, einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Schuldfähigkeit zu stellen und erklärte, den Antrag binnen zehn Tagen schriftlich vorzulegen. Der Antrag des Verteidigers vom 21. August 2008 ging am 26. August 2008 beim Landgericht Mönchengladbach ein. Mit Verfügung vom 10. September 2008 ordnete der Vorsitzende die Übersendung der Akten an die Staatsanwaltschaft zur Stellungnahme zu dem Antrag an. Die Verfügung wurde am 6. Oktober 2008 ausgeführt. Die Staatsanwaltschaft nahm am 8. Oktober 2008 Stellung. Am 10. November 2008 bat die Staatsanwaltschaft um Sachstandsmitteilung.
Mit Verfügung vom 9. Dezember 2008 bestimmte der Vorsitzende der Strafkammer nach Rücksprache mit dem Verteidiger den Verhandlungstermin auf den 27. Januar 2009 und teilte ihm mit, dass die Kammer derzeit keinen Anlass für die Einholung des beantragten Gutachtens sehe.
b) Die Hauptverhandlung im Berufungsverfahren fand am 27. Januar 2009 von 9.21 Uhr bis 14.43 Uhr statt. In der Hauptverhandlung lehnte die Strafkammer den vom Verteidiger gestellten Beweisantrag zur Einholung eines Sachverständigengutachtens ab. Mit ihrem in der Verhandlung verkündeten Urteil verwarf sie die Berufung des Beschwerdeführers. Die Strafkammer verkündete außerdem den Beschluss, den Haftbefehl aufrechtzuerhalten. Mit Schriftsatz vom 3. Februar 2009, der beim Landgericht am selben Tag einging, ließ der Beschwerdeführer durch seinen Verteidiger Revision gegen das Urteil einlegen.
4. Gegen den Haftfortdauerbeschluss vom 27. Januar 2009 legte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 28. Januar 2009 Beschwerde ein. Das aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG folgende Beschleunigungsgebot in Haftsachen sei verletzt. Es sei kein einleuchtender Grund dafür ersichtlich, der den zwischen der erstinstanzlichen Hauptverhandlung und der Berufungsverhandlung liegenden Zeitraum von nahezu zehn Monaten zu rechtfertigen vermöge.
Das Landgericht Mönchengladbach beschloss am 30. Januar 2009, der Beschwerde nicht abzuhelfen. Die Haftfortdauer verstoße nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die vom Beschwerdeführer bisher verbüßte Untersuchungshaft von 14 Monaten stehe zu der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten nicht außer Verhältnis. Der Verteidiger habe bei der Besprechung am 22. Juli 2008 darum gebeten, mit der Terminierung zu warten, weil er binnen zehn Tagen einen Beweisantrag einreichen wolle. Dieser sei jedoch erst am 26. August 2008 bei Gericht eingegangen. Der Hauptverhandlungstermin sei am 9. Dezember 2008 auf den 27. Januar 2009 bestimmt worden, wobei ein früherer Termin angesichts erheblicher Terminskollisionen des Verteidigers nicht möglich gewesen sei; es sei sogar erforderlich gewesen, den Terminstag der Kammer vom 5. Februar 2009 auf den 27. Januar 2009 vorzuverlegen. Zu keinem Zeitpunkt sei ein Antrag auf Haftprüfung oder Außervollzugsetzung des Haftbefehls gestellt worden.
Der Beschwerdeführer verwies in seiner Stellungnahme vom 5. Februar 2009 darauf, dass die Verteidigung bereits im Schlussvortrag am 27. Januar 2009 unter Hinweis auf die bisherige Länge des Verfahrens die Aufhebung des Haftbefehls beantragt habe. Der Verteidiger habe den Beweisantrag zum Zwecke der Beschleunigung bereits im Vorfeld gestellt. Die kurzfristige Verzögerung bis 21. August 2008 führe sicherlich nicht dazu, dass nunmehr der Beschwerdeführer die Verantwortlichkeit für die Verfahrensverzögerung trage. Es habe keine Terminskollisionen gegeben. Am 5. Februar 2009 habe der Verteidiger aber ursprünglich tatsächlich seinen Jahresurlaub geplant.
Nach Stellungnahme durch die Generalstaatsanwaltschaft, die lediglich auf das Bestehen des dringenden Tatverdachts und die Haftgründe verwies, verwarf das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 6. Februar 2009 die Beschwerde. Der Beschwerdeführer sei der ihm vorgeworfenen Straftaten dringend verdächtig. Es bestehe der Haftgrund der Fluchtgefahr. Die Untersuchungshaft stehe nach wie vor nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe. Der Beschwerdeführer befinde sich erst seit 14 Monaten in Untersuchungshaft. Die Sache sei nach Erlass des Urteils mit dem gebotenen Nachdruck betrieben worden. Vermeidbare Verfahrensverzögerungen oder sonstige Verstöße gegen das Gebot der besonderen Beschleunigung in Haftsachen von besonderem Gewicht seien nicht erkennbar. Auf die Ausführungen der Strafkammer in der Nichtabhilfeentscheidung werde verwiesen.
II.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde und dem Antrag auf einstweilige Anordnung rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 GG.
Das auch nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils zu beachtende Beschleunigungsgebot sei verletzt worden. Es sei unter keinem Gesichtspunkt nachvollziehbar, warum zwischen der Verurteilung des vollumfänglich geständigen Beschwerdeführers durch das Amtsgericht und dem Berufungsurteil ein Zeitraum von zehn Monaten gelegen habe. Insbesondere sei unverständlich, dass es nach der ersten Kontaktaufnahme am 22. Juli 2008 über sechs Monate bis zum Hauptverhandlungstermin gedauert habe. Die Ursache liege allein in einer nicht sachgerechten und nicht ausreichenden Förderung des Verfahrens durch die beteiligten Stellen der Justiz. Es sei kein Grund dafür ersichtlich, warum der zeitaufwendige Weg der Aktenversendung zwischen Gericht und der in räumlicher Nähe befindlichen Staatsanwaltschaft gewählt worden sei. Eine nicht sachgerechte Verfahrensbehandlung sei auch darin zu sehen, dass das Gericht bis zur Vorlage der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft zum Beweisantrag abgewartet habe. Die Terminierung sei nochmals zwei Monate später erfolgt. Das Oberlandesgericht habe sich in seiner Begründung mit dem Beschleunigungsgebot nicht auseinander gesetzt. Es fehlten jedwede Ausführungen zum Halbstrafenzeitpunkt.
Das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
Entscheidungsgründe
B.
Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit sie sich gegen die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 6. Februar 2009 und des Landgerichts Mönchengladbach vom 27. Januar 2009 wendet, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Ebenso ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet.
Die gegen den Haftbefehl gerichtete Verfassungsbeschwerde nimmt das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung an. Von einer Begründung wird insoweit abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
I.
1. Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Grundsätzlich darf im Rechtsstaat nur einem rechtskräftig Verurteilten vollständig die Freiheit entzogen werden. Der Freiheitsentzug eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich hervorgehoben ist (vgl. BVerfGE 19, 342 ≪347≫; 74, 358 ≪371≫), nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen ständig der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten als Korrektiv entgegengehalten werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt (vgl. grundlegend BVerfGE 19, 342 ≪347≫ sowie BVerfGE 20, 45 ≪49 f.≫; 36, 264 ≪270≫; 53, 152 ≪158 f.≫).
2. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Er verlangt, dass die Dauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zur erwarteten Strafe steht und setzt ihr auch unabhängig von der Straferwartung Grenzen (BVerfGE 20, 45 ≪49 f.≫). Außerdem vergrößert sich regelmäßig das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft (vgl. BVerfGE 36, 264 ≪270≫; 53, 152 ≪158 f.≫). Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft zunehmen. Zum anderen steigen auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund (vgl. BVerfGK 7, 140 ≪161≫).
3. Das verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen (vgl. BVerfGE 46, 194 ≪195≫) verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (vgl. BVerfGE 20, 45 ≪50≫; 36, 264 ≪273≫). An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind dabei umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert (vgl. BVerfGK 7, 421 ≪427≫). Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verfahrensverzögerungen verursacht ist (vgl. BVerfGE 20, 45 ≪50≫; 36, 264 ≪270 ff.≫; 53, 152 ≪161 f.≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 – 2 BvR 2652/07 –, StV 2008, S. 198). Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen.
Das Beschleunigungsgebot verliert seine Bedeutung auch nicht durch den Erlass des erstinstanzlichen Urteils. Es gilt für das gesamte Strafverfahren und ist auch im Rechtsmittelverfahren bei der Prüfung der Anordnung der Fortdauer von Untersuchungshaft zu beachten (vgl. BVerfGE 46, 194 ≪195≫; BVerfGK 5, 109 ≪117≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2008 – 2 BvR 806/08 –, EuGRZ 2008, S. 621 ≪623 f.≫).
Allerdings vergrößert sich mit der Verurteilung auch das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs, da aufgrund der gerichtlich durchgeführten Beweisaufnahme die Begehung einer Straftat durch den Verurteilten als erwiesen angesehen worden ist. Der Umstand, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Einlegung eines Rechtsmittels hindert lediglich die Vollstreckung der durch das angegriffene Urteil ausgesprochenen Sanktionen bis zur Überprüfung durch das nächsthöhere Gericht. Sie beseitigt indessen nicht die Existenz des angegriffenen Urteils und damit den Umstand, dass auf der Grundlage eines gerichtlichen Verfahrens bereits ein Schuldnachweis gelungen ist (vgl. BVerfGK 5, 109 ≪122≫). Dem entspricht es, dass sowohl § 121 StPO als auch Art. 5 Abs. 3 EMRK (vgl. dazu EGMR, Urteil vom 26. Oktober 2000, – 30210/96 -(Kudla ./. Polen), NJW 2001, S. 2694 ≪2696≫; Schädler, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 6. Aufl. 2008, Art. 5 EMRK Rn. 22; Dörr, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG: Konkordanzkommentar, 2006, Kap. 13 Rn. 59 m.w.N.) der Untersuchungshaft spezifische Grenzen setzen, solange ein auf Freiheitsentziehung erkennendes Urteil nicht ergangen ist.
4. In diesem Rahmen ist zu berücksichtigen, dass der Grundrechtsschutz auch durch die Verfahrensgestaltung zu bewirken ist und dass die Grundrechte demgemäß nicht nur das gesamte materielle, sondern auch das Verfahrensrecht beeinflussen, soweit dieses für einen effektiven Grundrechtsschutz von Bedeutung ist (vgl. hierzu BVerfGE 53, 30 ≪65≫; 63, 131 ≪143≫). Das Verfahren der Haftprüfung und Haftbeschwerde muss deshalb so ausgestaltet sein, dass nicht die Gefahr einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition besteht. Dem ist vor allem durch erhöhte Anforderungen an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen, Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 103, 21 ≪35 f.≫). Die mit Haftsachen betrauten Gerichte haben sich bei der zu treffenden Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft mit deren Voraussetzungen eingehend auseinanderzusetzen und diese entsprechend zu begründen. In der Regel sind in jedem Beschluss über die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft aktuelle Ausführungen zu dem weiteren Vorliegen ihrer Voraussetzungen, zur Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit sowie zur Frage der Verhältnismäßigkeit geboten, weil sich die dafür maßgeblichen Umstände, vor allem angesichts der seit der letzten Entscheidung verstrichenen Zeit, in ihrer Gewichtigkeit verschieben können (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. August 1998 – 2 BvR 962/98 –, StV 1999, S. 40 und vom 10. Dezember 1998 – 2 BvR 1998/98 –, StV 1999, S. 162; BVerfGK 7, 140 ≪161≫; 10, 294 ≪301≫). Die zugehörigen Ausführungen müssen in Inhalt und Umfang eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für das die Anordnung treffende Fachgericht im Rahmen einer Eigenkontrolle gewährleisten und in sich schlüssig und nachvollziehbar sein (vgl. BVerfGK 7, 421 ≪429 f.≫; 8, 1 ≪5≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2008 – 2 BvR 806/08 –, EuGRZ 2008, S. 621 ≪624≫).
II.
Diesen sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ergebenden Anforderungen werden die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf und des Landgerichts Mönchengladbach nicht gerecht.
1. Die angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts lassen die gebotene Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Beschuldigten und dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch nicht erkennen.
Der Haftfortdauerbeschluss vom 27. Januar 2009 des Landgerichts enthält keine eigenständige Begründung, sondern hielt den Haftbefehl „aus den Gründen seiner Anordnung” aufrecht. Auch der Nichtabhilfebeschluss vom 30. Januar 2009 setzt sich nicht ausreichend mit dem Verfahrensverlauf auseinander. Er beschränkt sich auf eine Darlegung des Verfahrensverlaufs in der Berufungsinstanz und den Hinweis, dass der Verteidiger am 22. Juli 2008 gebeten habe, mit der Terminierung bis zu seiner Antragstellung zuzuwarten, wobei der Antrag erst am 26. August 2008 bei Gericht eingegangen sei. Zu den Ursachen der Dauer des Berufungsverfahrens enthält der Beschluss keine weiteren Ausführungen. Eine verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Abwägung nimmt das Landgericht nicht vor. Die begründete Auseinandersetzung mit dem Verfahrensverlauf war im Hinblick auf die fehlende Begründung des Haftfortdauerbeschlusses auch nicht deshalb entbehrlich, weil es sich um einen Nichtabhilfebeschluss gegen die kurz zuvor getroffene Haftfortdauerentscheidung handelte und sich im Regelfall gegenüber der mit der Beschwerde angegriffenen Entscheidung und der Nichtabhilfe keine wesentlichen neuen Gesichtspunkte ergeben werden.
Das Oberlandesgericht beschränkt sich in der Beschwerdeentscheidung auf die floskelhafte Feststellung, dass vermeidbare Verfahrensverzögerungen von besonderem Gewicht nicht erkennbar seien, und nimmt wegen der Einzelheiten auf den landgerichtlichen Beschluss Bezug. Dieser Beschluss lässt keine eigenständige Abwägung der widerstreitenden Belange erkennen. Auf die Darlegungen des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme zur landgerichtlichen Nichtabhilfeentscheidung geht das Oberlandesgericht überhaupt nicht ein.
2. a) Bei der vorzunehmenden Abwägung wird das Oberlandesgericht zu berücksichtigen haben, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit der Dauer der Untersuchungshaft die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache zunehmen. Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch und dem Strafverfolgungsanspruch kommt es auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, wobei mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft höhere Anforderungen an das Vorliegen eines sie rechtfertigenden Grundes zu stellen sind (vgl. BVerfGE 36, 264 ≪270≫; 53, 152 ≪158 f.≫). Dies bedingt eine auf den Einzelfall bezogene Analyse des Verfahrensablaufs.
Entsprechend dem Gewicht der zu ahndenden Straftat, das auch in der Höhe der nicht rechtskräftigen Verurteilung zum Ausdruck kommt, kann die Fortdauer der Untersuchungshaft trotz kleinerer Verfahrensverzögerungen gerechtfertigt sein. Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung können aber bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft herangezogen werden (vgl. BVerfGK 7, 421 ≪428≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 – 2 BvR 2652/07 –, StV 2008, S. 198 ≪199≫). Dabei ist nicht entscheidend, ob eine einzelne verzögert durchgeführte Verfahrenshandlung ein wesentliches Ausmaß einnimmt, sondern ob die vorliegenden Verfahrensverzögerungen in ihrer Gesamtheit eine Schwelle erreichen, die im Rahmen der Abwägung die Anordnung einer weiteren Fortdauer der Untersuchungshaft nicht mehr erlaubt (vgl. BVerfGK 5, 109 ≪119≫).
b) Nach diesen Maßstäben wird das Oberlandesgericht den Verfahrensgang zu bewerten haben. Dabei wird es zunächst zu berücksichtigen haben, dass das Verfahren nach der Abfassung des erstinstanzlichen Urteils nicht ausreichend befördert wurde. Mit Verfügung von 21. April 2008 ordnete der Richter am Amtsgericht die Zustellung des Urteils an. Sie erfolgte erst am 20. Mai 2008. Auch gingen die Akten erst am 20. Juni 2008 bei der Staatsanwaltschaft ein, obwohl der Richter ihre Versendung bereits am 4. Juni 2008 verfügt hatte. Diese Verzögerungen von jeweils etwa zwei Wochen deuten darauf hin, dass das Verfahren von Geschäftsstelle und Kanzlei des Amtsgerichts wie ein Strafverfahren gegen einen auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten behandelt und den besonderen Anforderungen an die Verfahrensbeschleunigung in Haftsachen nicht Rechnung getragen wurde. Dass eine deutlich schnellere Aktenversendung möglich war, zeigt sich auch daran, dass nach der durch die Staatsanwaltschaft am 24. Juni 2008 verfügten Weiterleitung an das – im selben Dienstgebäude wie das Amtsgericht ansässige – Landgericht die Akte dort bereits zwei Tage später einging.
Weitere vermeidbare Verfahrensverzögerungen könnten bei der Bearbeitung durch das Berufungsgericht entstanden sein. Ein sachlicher Grund dafür, dass zwischen Akteneingang beim Landgericht am 26. Juni 2008 und dem Hauptverhandlungstermin am 27. Januar 2009 ein Zeitraum von sieben Monaten lag, lässt sich jedenfalls den Verfahrensakten nicht entnehmen.
III.
Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist die Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG durch das Oberlandesgericht wie auch durch das Landgericht festzustellen. Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts ist unter Zurückverweisung der Sache aufzuheben (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG). Das Oberlandesgericht hat unverzüglich unter Berücksichtigung der angeführten Gesichtspunkte erneut eine Entscheidung über die Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts vom 27. Januar 2009 herbeizuführen.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Da der nicht zur Entscheidung angenommene Teil der Verfassungsbeschwerde von untergeordneter Bedeutung ist, sind die Auslagen in vollem Umfang zu erstatten (vgl. BVerfGE 86, 90 ≪122≫).
Unterschriften
Broß, Di Fabio, Landau
Fundstellen