Entscheidungsstichwort (Thema)
Mineralölsteuererstattung aus Billigkeitsgründen
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Billigkeitserlaß kann um der Belastungsgleichheit willen geboten sein, wenn ein Gesetz, das in seinen generalisierenden Wirkungen verfassungsgemäß ist, im Einzelfall zu Ergebnissen führt, die dem Belastungsgrund des Gesetzgebers zuwiderlaufen.
2. Eine mehrmalige Vollziehung der auf den Verbrauch desselben Mineralöls bezogenen Steuerbescheide im Falle eines nicht entschuldbaren Verhaltens und die darin liegende Ungleichbehandlung im Vergleich zu entschuldbaren Fällen käme einer strafähnlichen Sanktion für ein ordnungswidriges Verhalten gleich, die aber nicht mehr durch das Anliegen, das Steueraufkommen zu sichern, gerechtfertigt werden kann, wenn die Steuerschuld schon erfüllt wurde.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; AO 1977 § 227 Abs. 1; MinöStG § 8 Abs. 1 Nr. 2, § 15 Abs. 2; MinöStDV §§ 36, 15 Abs. 1 S. 2; ZBilRL 1974 Teil C Abs. 3 Nr. 12 Buchst. b
Verfahrensgang
Tatbestand
A.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Versagung des Billigkeitserlasses von 1.048.587,76 DM Mineralölsteuer.
I.
Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die angegriffenen Entscheidungen es zu Recht abgelehnt haben, der Beschwerdeführerin Mineralölsteuer in Höhe von 1.048.587,76 DM aus Gründen der sachlichen Billigkeit zu erlassen.
Die Beschwerdeführerin führte am 11. und 12. März 1977 23.831 hl mittelschweres Mineralöl (Kerosin) aus den Niederlanden in die Bundesrepublik Deutschland ein. Das Mineralöl sollte unversteuert nach Essen in das Steuerlager der EUTRANSCO GmbH versandt werden. Am 13. und 14. März 1977 wurde das Öl zunächst in einen Tank gelöscht, auf den sich die der EUTRANSCO GmbH erteilte Steuerlagerbewilligung nicht erstreckte. Die mit Schreiben vom 14. März 1977 beim Hauptzollamt Essen beantragte Erweiterung des Steuerlagers um diesen Tank wurde der EUTRANSCO GmbH nicht bewilligt. Anschließend wurde das Mineralöl in einen Steuerlagertank gepumpt und dort mit Gasöl vermischt. Dieses Gemisch wurde Ende April 1977 als Dieselkraftstoff entnommen und von der EUTRANSCO GmbH zur Versteuerung angemeldet. Die auf die Entnahme dieses Gemisches entfallende Mineralölsteuer hat die EUTRANSCO GmbH gezahlt. Die EUTRANSCO GmbH ist später in Konkurs gefallen. Einen möglichen Anspruch auf Erstattung der entrichteten Mineralölsteuer hat die EUTRANSCO GmbH mit Schreiben vom 6. Oktober 1977 an die Beschwerdeführerin abgetreten.
Mit zwei Steuerbescheiden vom 9. August 1977 forderte das Zollamt Emmerich-Hafen die Beschwerdeführerin auf, Mineralölsteuer von insgesamt 1.048.587,76 DM zu zahlen. Die Steuerbescheide wurden auf § 8 Abs. 1 Nr. 2 MinöStG und § 15 Abs. 1 MinöStDV gestützt und damit begründet, daß der EUTRANSCO GmbH nur ein Steuerlager für Leichtöle und Schweröle bewilligt worden sei und das unversteuerte Kerosin, also mittelschweres Öl, durch das Einfüllen in einen von der Bewilligung nicht erfaßten Tank an einen nicht zum Bezug unversteuerten Mineralöls Berechtigten abgegeben worden sei. Die Steuerbescheide sind bestandskräftig geworden, nachdem die Beschwerdeführerin die zunächst erhobenen Einsprüche zurückgenommen hat.
Mit Schreiben vom 6. September 1977 beantragte die Beschwerdeführerin, die ihr gegenüber erhobene Mineralölsteuer aus Billigkeitsgründen zu erlassen. Das Hauptzollamt lehnte den Antrag ab; die gegen den ablehnenden Bescheid erhobene Beschwerde blieb erfolglos. Das Finanzgericht Düsseldorf beurteilte im anschließenden Klageverfahren die Versagung des Erlasses als ermessensfehlerhaft und hob die angegriffenen Entscheidungen durch Urteil vom 10. August 1983 auf. Nach erneuter Überprüfung lehnte das Hauptzollamt den Erlaßantrag wiederum ab; auch die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Der hiergegen erhobenen Klage gab das Finanzgericht Düsseldorf durch Urteil vom 25. September 1985 statt. Auf die Revision des Hauptzollamts hin hob der Bundesfinanzhof durch Urteil vom 14. Februar 1989 das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf auf und verwies die Sache an das Finanzgericht zurück, das in seiner erneuten Entscheidung durch Urteil vom 8. Mai 1990 die Klage abgewiesen hat. Die Revision wurde nicht zugelassen. Die gegen die Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde hat der Bundesfinanzhof als unbegründet zurückgewiesen. Die Entscheidung erging im Hinblick auf Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ohne Begründung.
Entscheidungserheblich war jeweils die Frage, ob die Einlagerung des von der Beschwerdeführerin gelieferten mittelschweren Öls in den von der Steuerlagerbewilligung nicht erfaßten Tank für die Beschwerdeführerin entschuldbar war im Sinne von Teil C Abs. 3 Nr. 12b der Billigkeitsrichtlinien 1974 des Bundesministers der Finanzen (Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung S 1019, S. 13). Diese Frage hat das Finanzgericht letztlich mit der Begründung verneint, die Beschwerdeführerin habe erkennen können und müssen, daß die Steuerlagerbewilligung der EUTRANSCO GmbH sich nur auf Schwer- und Leichtöle erstreckt habe; die Beschwerdeführerin habe auch nicht auf eine allgemeine Verwaltungspraxis vertrauen können, nach der die Erweiterung der Steuerlagerbewilligung keiner Genehmigung durch das zuständige Hauptzollamt bedurfte, weil eine solche Praxis nicht habe festgestellt werden können.
Im Rahmen der Überprüfung der von der Finanzverwaltung angestellten Ermessenserwägungen haben sich im ersten Rechtszug das Finanzgericht Düsseldorf und der Bundesfinanzhof zudem jeweils damit auseinandergesetzt, ob ein Erlaß wegen einer offensichtlich unrichtigen Steuerfestsetzung oder allein wegen der Doppelbesteuerung in Betracht komme. Während das Finanzgericht die Steuerfestsetzung nicht als offensichtlich unrichtig beurteilt hat und die Versagung des Erlasses aus diesem Grund nicht für ermessensfehlerhaft hielt, hat der Bundesfinanzhof dieses Ergebnis bestätigt, ist aber auf die Rechtmäßigkeit der Mineralölsteuerbescheide nicht eingegangen, weil es keine Anhaltspunkte dafür gebe, daß es der Beschwerdeführerin nicht zumutbar gewesen sei, die Steuerbescheide rechtzeitig anzufechten. Zur Begründung hat sich der Bundesfinanzhof auf seine ständige Rechtsprechung berufen, nach der bestandskräftig festgesetzte Steuern im Billigkeitsverfahren nur dann sachlich zu überprüfen sind, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig unrichtig ist und es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren (vgl. BFH, Urteil vom 11. August 1987 – VII R 121/84 –, BFHE 150, 502 ff.). Die im Streitfall eingetretene Doppelbesteuerung haben im ersten Rechtszug weder das Finanzgericht noch der Bundesfinanzhof als Erlaßgrund anerkannt, weil der Gesetzgeber – wie sich aus § 15 Abs. 2 Nr. 5d MinöStG und § 36 Abs. 2 MinöStDV ergebe – eine solche doppelte Entstehung der Steuer bewußt in Kauf genommen habe. Der Bundesfinanzhof hält es darüber hinaus für zweifelhaft, ob von einer Doppelbesteuerung gesprochen werden könne, wenn zwei verschiedene Personen je einmal als Steuerschuldner in Anspruch genommen würden.
II.
Mit ihrer am 23. Juli 1990 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin im wesentlichen eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.
Ihrer Ansicht nach ist ein Erlaß der doppelt erhobenen Mineralölsteuer nach § 227 AO durch das Gebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geboten, weil die doppelte Belastung, die der Gesetzgeber aus Rechtsgründen in Kauf genommen habe, der Planvorstellung des Gesetzgebers widerspreche, die bei jeder Verbrauchsteuer auf eine einmalige steuerliche Belastung des Verbrauchs ausgerichtet sei. Die Neufassung des § 10 MinöStG durch das Verbrauchsteueränderungsgesetz 1988 (BGBl. I S. 2270 ff.), die neben dem Hersteller nunmehr auch dem Inhaber eines Steuerlagers das Recht gewährt, die Steuer für nachweislich versteuerte, nicht gebrauchte Mineralöle erstattet oder vergütet zu verlangen, zeige, daß der Gesetzgeber die Notwendigkeit erkannt habe, eine Regelung zu schaffen, die eine Doppelbesteuerung im Ergebnis vermeide. Mit dieser Regelung sei der Verfügung des Bundesministers der Finanzen vom 11. November 1987 (III A 1-V 0361-2/87) Gesetzeskraft verliehen worden.
Die Beschwerdeführerin sieht sich ferner durch die Versagung des Billigkeitserlasses in ihrem Grundrecht aus Art. 14 GG verletzt, weil die doppelte Besteuerung derselben Ware konfiskatorischen Charakter habe.
Schließlich rügt sie einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 GG, weil das Finanzgericht das Verfahren nicht ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt habe. Dazu habe Veranlassung bestanden, weil die doppelte Besteuerung gegen Art. 95 EGV verstoße.
III.
Zu der Verfassungsbeschwerde haben der VII. Senat des Bundesfinanzhofs und der Bundesminister der Finanzen namens der Bundesregierung Stellung genommen.
1. Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs stellt sich die Frage, ob das Mineralölsteuergesetz eine „Doppelbesteuerung” im Ergebnis rechtfertigen könne, wenn der Steuerschuldner, der den regulären Steuertatbestand verwirkliche, die Steuer entrichtet habe, grundsätzlich nur im Festsetzungsverfahren, im Erlaßverfahren jedenfalls dann nicht, wenn durch ausgleichende Billigkeitsmaßnahmen die dem gesetzlichen Steuertatbestand innewohnende Wertung des Gesetzgebers generell durchbrochen oder korrigiert würde. In einem solchen Fall sei allenfalls das Gesetz als solches verfassungswidrig.
Eine eigentliche Doppelbesteuerung zu Lasten einer Person, die mehrere mineralölsteuerrechtliche Entstehungstatbestände nacheinander in einem Zuge erfülle, habe der Senat für ausgeschlossen erachtet (Urteil vom 16. November 1982, VII R 58/82, BFHE 137, 518 ≪523≫).
Die Entrichtung der Steuerschuld sei als Entscheidungskriterium in Rechtsstreitigkeiten über Fälle der Doppelbesteuerung nicht geeignet. Dies werde vor allem deutlich, wenn die einzelnen Steuerfestsetzungen auf unterschiedlichen gesetzlichen Tatbeständen und auf verschiedenen tatsächlichen Vorgängen beruhten und darüber hinaus auch die Steuerschuldner nicht identisch seien. Darüber hinaus sei zu bemerken, daß im Streitfall nicht von einer körperlichen Identität der den einzelnen Besteuerungen zugrundeliegenden steuerpflichtigen Waren ausgegangen werden könne. Nach den Tatbeständen des Mineralölsteuerrechts werde die Steuer jeweils nur für eine körperlich bestimmte Ware und nicht nur für eine bestimmte Warenmenge unbedingt.
2. Nach Auffassung der Bundesregierung ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Auch wenn das Mineralölsteuergesetz grundsätzlich darauf abziele, einmalig den Verbrauch von Mineralöl zu belasten, habe der Gesetzgeber auch eine mehrfache Besteuerung desselben Gegenstandes in seinen Willen aufgenommen, wie etwa im vorliegenden Fall, wenn die Steuer sowohl durch die Aufnahme des Mineralöls in ein Freilager als auch durch seine Entnahme aus dem Steuerlager entstehe. Gründe der Rechtssicherheit rechtfertigten diese gesetzgeberische Entscheidung, da sich die Verwendung des in ein Freilager aufgenommenen Mineralöls weitgehend der Verwaltungskontrolle entziehe, die Nämlichkeit des aus einem Freilager entnommenen Mineralöls mit dem dort aufgenommenen sei stets ungewiß. Ein Billigkeitserlaß in allen Fällen doppelter Besteuerung desselben Gegenstandes ließe daher den objektivierten Willen des Gesetzgebers außer acht. Mit Billigkeitsmaßnahmen dürfe lediglich dem ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestandes begegnet werden.
Der Bundesfinanzhof habe sich mit der Frage der doppelten Besteuerung des Mineralöls auch schon in früheren Verfahren (BFHE 93, 114 ≪116 f.≫) unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. l GG auseinandergesetzt und eine Verletzung dieses Grundrechts verneint. Die Steuerverwaltung müsse sich in Fällen der vorliegenden Art nach der Bestandskraft einer Steuerfestsetzung ohne Verstoß gegen die Steuergerechtigkeit nicht nachträglich auf ein Verfahren über die tatsächliche Feststellung der Identität des im Freilager aufgenommenen mit dem aus dem Lager entnommenen Mineralöls einlassen.
Auch nach derzeitiger Rechtslage sei ein Steuererlaß nicht zwingend. § 25 Abs. 1 MinöStG vom 21. Dezember 1992, wonach „für nachweislich versteuertes, nicht gebrauchtes Mineralöl” die Steuer auf Antrag erlassen, erstattet oder vergütet werden könnte, setzte den Nachweis der Nämlichkeit des bereits versteuerten Öls voraus.
Vorliegend sei die Steuerpflicht auch von zwei verschiedenen Personen durch verschiedene Handlungen ausgelöst worden, denn zunächst sei der Steuertatbestand des § 15 Abs. 1 MinöStDV durch Aufnahme des Mineralöls „Kerosin” in einem nicht zum Steuerlager gehörenden Tank verwirklicht, anschließend in einen zum Steuerlager gehörenden Tank umgepumpt und dort mit dem anderen Steuergegenstand Gasöl vermischt worden, so daß bei der Entnahme des Gasöls aus dem Steuerlager für dieses eine unbedingte Steuer gemäß § 36 Abs. 8 MinöStDV entstanden sei. Eine solche doppelte Entstehung der Steuer hätte der Gesetzgeber – wie dargelegt – bewußt in Kauf genommen. Die in Rede stehenden beiden Steuern seien gegenüber verschiedenen Personen festgesetzt worden, die Erhebung der Steuer bei einem Dritten könne aber keine unverhältnismäßige Belastung der eigenen Person begründen. Im Ergebnis wende sich die Beschwerdeführerin damit nicht gegen eine Doppelbesteuerung, sondern gegen eine einmalige Belastung ihrer Person mit einer Steuer, die wirtschaftlich nicht auf Dritte abgewälzt werden könnte. In diesen Fällen verstoße die Versagung eines Billigkeitserlasses weder gegen Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
IV.
1. Die Regelungen des § 8 Abs. 1 MinöStG 1964 und § 15 – Abs. 1 MinöStDV, auf die die gegen die Beschwerdeführerin erlassenen Steuerbescheide gestützt werden, haben folgenden Wortlaut:
„§ 8 MinöStG
(1) Mineralöl darf unversteuert unter Steueraufsicht
1. aus dem Erhebungsgebiet ausgeführt oder zu einem besonderen Zollverkehr abgefertigt werden, zur Zollgutverwendung jedoch nur, wenn der zollbegünstigte Verwendungszweck auch von der Steuer befreit ist,
2. in einen Herstellungsbetrieb gebracht werden.
§ 15 MinöStDV
(1) Die Steuerschuld für Mineralöl, das nach § 14 ordnungsgemäß angemeldet worden ist, entsteht bedingt mit der Bekanntgabe, daß die Mineralölsteuer zu entrichten sei, wenn das Mineralöl nicht fristgerecht gestellt oder wenn der angemeldeten Bestimmungen zuwider über das Mineralöl verfügt werde. Sie geht auf den Empfänger über, wenn er oder sein Beauftragter das Mineralöl in Besitz nimmt. Sie fällt weg, wenn das Mineralöl innerhalb der Gestellungsfrist in den empfangenden Herstellungsbetrieb aufgenommen wird oder während der Beförderung untergeht. Sie wird unbedingt, wenn das Mineralöl nicht fristgerecht gestellt, der Bestimmung zuwider über das Mineralöl verfügt wird, oder wenn der Empfänger es nicht unverzüglich in seinen Herstellungsbetrieb aufnimmt.”
Im Streitfall ist in der Person der Beschwerdeführerin die Steuer durch das Einfüllen des mittelschweren Mineralöls in den von der Steuerlagergenehmigung nicht erfaßten Tank unbedingt geworden, weil sie durch die Abgabe des Mineralöls an eine zum Bezug nicht berechtigte Person entgegen der ursprünglichen Bestimmung über das Mineralöl verfügt hat. Für die Inhaberin des Steuerlagers ist durch die Aufnahme in das Lager erneut Mineralölsteuer bedingt entstanden (§ 36 Abs. 2 MinöStDV). Die Vermischung des von der Beschwerdeführerin gelieferten Mineralöls im Steuerlager führt nach § 36 Abs. 4 MinöStDV dazu, daß die bedingte Steuerschuld die Höhe annimmt, in der sie im Falle der Entfernung des Gemisches aus einem Herstellungsbetrieb in diesem Zeitpunkt entstehen würde. Durch die anschließende Entnahme des Gemisches ist die Steuer unbedingt geworden (§ 36 Abs. 8 Nr. 1 MinöStDV).
2. Eine solche Doppelbesteuerung ist im Gesetz angelegt und auch in anderen Fällen vorgesehen (vgl. § 15 Abs. 2 Nr. 4d MinöStG 1964). Das Risiko einer mehrfachen Belastung mit Mineralölsteuer ergibt sich aus der Struktur des Gesetzes, das einerseits an willensunabhängige tatsächliche Vorgänge anknüpft und andererseits Steuerbefreiungen und -vergünstigungen, die eine mehrfache Besteuerung verhindern könnten, von der Befolgung strikter Ordnungsvorschriften abhängig macht (vgl. Schädel/Langer/Gotterbarm, Mineralölsteuer und Mineralölzoll, 5. Aufl., § 3 Rdnr. 5, 6). Dies wird damit gerechtfertigt, daß der „Sicherung der Steuerbelange … der Vorrang vor möglichen Verzerrungen oder Härten gegeben worden” sei, „die sich aus der mehrfachen Entstehung von Steueransprüchen ergeben können” (Schädel/Langer/Gotterbarm, a.a.O., § 3 Rdnr. 6).
3. Das Gesetz enthält aber andererseits Mechanismen, die eine Doppelbesteuerung vermeiden sollen.
a) Das Mineralölsteuergesetz sieht – wie auch andere Verbrauchssteuergesetze – das Entstehen bedingter Steuerschulden vor. Die Steuerschuld entsteht in diesen Fällen unter der auflösenden Bedingung, daß das mit der Verbrauchssteuer belastete Gut einer bestimmten steuerbegünstigten Verwendung zugeführt wird. Wird das mit einer bedingten Steuer belastete Gut weitergegeben, geht die bedingte Steuerschuld auf den berechtigten Erwerber über (vgl. §§ 15 Abs. 1 Satz 2, 36 Abs. 1 Satz 2 MinöStDV). Die Steuer wird erst fällig, wenn sie unbedingt geworden ist (§ 6 Abs. 1 MinöStG). Durch diese rechtstechnische Ausgestaltung sollen einerseits die effektive Steuerbelastung möglichst nahe an den Verbrauch herangeführt und andererseits Steuerausfälle verhindert werden (vgl. Schädel/Langer/Gotterbarm, a.a.O., § 3 Rdnr. 19). Auch die Abgabenordnung enthält in § 50 AO eine allgemeine Regelung über die bedingten Steuern, die jedoch weitgehend durch die spezielleren Vorschriften der Verbrauchssteuergesetze verdrängt wird.
b) Nach § 10 des im Streitfall maßgebenden Mineralölsteuergesetzes 1964 wird die Steuer für Mineralöl, das der Hersteller nachweislich in seinen Betrieb zurückgenommen hat, erlassen oder erstattet. Die Erstattungsmöglichkeit besteht nach § 37 MinöStDV auch für die Rücknahme versteuerten Mineralöls in ein Steuerlager. Der Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 11. November 1987 (III A 1-V 0361-2/87), auf den sich die Beschwerdeführerin beruft, enthält – ebenso wie § 10 Abs. 1 MinöStG 1988 – insofern eine Erweiterung gegenüber der ursprünglichen gesetzlichen Regelung, als die Steuererstattung oder -vergütung allgemein für die Aufnahme bereits versteuerter ungebrauchter Mineralöle in Betracht kommt und nicht mehr auf die Rücknahme des Mineralöls beschränkt ist. Der Erstattungsanspruch steht in diesen Fällen demjenigen zu, der das versteuerte Mineralöl in seinen Betrieb oder in sein Steuerlager aufnimmt (§ 10 Abs. 1 Satz 1 MinöStG). Die Steuererstattung ist weiterhin davon abhängig, daß die im Gesetz genannten Auszeichnungsvorschriften erfüllt werden.
Entscheidungsgründe
B.
Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der Grundrechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG in der Fassung des Art. 1 Nr. 20a des Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 2. August 1993, BGBl. I S. 1442, i.V.m. Art. 8 dieses Gesetzes).
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG.
Das Urteil des Bundesfinanzhofs verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG.
I.
Die Frage, ob im Einzelfall von der Möglichkeit, den Gesetzesvollzug im Wege des Billigkeitserlasses zu suspendieren, in einem der Wirkkraft der Grundrechte ausreichend Rechnung tragenden Maße Gebrauch gemacht worden ist, ist der verfassungsgerichtlichen Prüfung nicht schlechthin entzogen (vgl. BVerfGE 48, 102 ≪114≫). Die Entscheidung über den Billigkeitserlaß muß auch dem aus Art. 3 Abs. 1 GG für das Steuerrecht folgenden Grundsatz der Belastungsgleichheit (vgl. dazu BVerfGE 84, 239 ≪268 f.≫) Rechnung tragen.
Der Gleichheitssatz verlangt, daß eine vom Gesetz vorgenommene unterschiedliche Behandlung sich – sachbereichsbezogen – auf einen vernünftigen oder sonstwie einleuchtenden Grund zurückführen läßt (vgl. BVerfGE 75, 108 ≪157≫; 78, 249 ≪287≫). Ein Verstoß gegen das Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht nur dann vor, wenn der Gesetzgeber mehrere Personengruppen ohne sachlichen Grund verschieden behandelt, sondern auch dann, wenn die Gerichte im Wege der Auslegung gesetzlicher Vorschriften zu einer derartigen, dem Gesetzgeber verwehrten Differenzierung gelangen (vgl. BVerfGE 58, 369 ≪373 f.≫; 79, 106 ≪121 f.≫).
Ein Billigkeitserlaß kann um der Belastungsgleichheit willen geboten sein, wenn ein Gesetz, das in seinen generalisierenden Wirkungen verfassungsgemäß ist, im Einzelfall zu Ergebnissen führt, die dem Belastungsgrund des Gesetzgebers zuwiderlaufen (vgl. BFH, Urteil vom 24. September 1987 – V R 76/78 –, BStBl. 1988 II S. 561 ≪562≫ m.w.N.; Bopp, Steuerliche Billigkeitsmaßnahmen aus Verfassungsgründen, DStR 1979, S. 215 ≪216 f.≫; Isensee, Das Billigkeitskorrektiv des Steuergesetzes – Rechtfertigung und Reichweite des Steuererlasses im Rechtssystem des Grundgesetzes, in: Festschrift Flume, 1978, S. 129 ≪136 ff.≫). Ein solcher Überhang des gesetzlichen Tatbestandes, der über den gesetzlichen Belastungsgrund hinausgreift, ist aus Gründen der Besteuerungsgleichheit zu vermeiden, wenn die Anwendung des Gesetzes zu sachwidrigen Härten führt.
Das kann der Fall sein, wenn die Erhebung der Steuer im Einzelfall Folgerungen mit sich bringt, die unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Planvorstellung durch den gebotenen Anlaß nicht mehr gerechtfertigt sind (vgl. BVerfGE 48, 102 ≪116≫). Ein Erlaß aus Gründen der sachlichen Billigkeit kommt – auch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. BFH, Beschluß vom 24. September 1987 – V R 76/78 –, BStBl. II 1988 S. 561 m.w.N.) – in Betracht, wenn nach dem Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, daß der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage – hätte er sie geregelt – im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte. Härten, die dem Besteuerungszweck entsprechen und die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Tatbestandes bewußt in Kauf genommen hat, können einen Billigkeitserlaß dagegen nicht rechtfertigen, sondern sind allenfalls durch eine Gesetzeskorrektur zu beheben.
II.
Diesen Maßstäben wird die Entscheidung des Bundesfinanzhofs nicht gerecht.
1. Allerdings wäre die doppelte Steuerfestsetzung in der Funktion, Steuerverkürzungen entgegenzuwirken, aus den von der Bundesregierung angeführten Gründen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Steueraufkommen, das durch die im Gesetz angelegte Mehrfachbesteuerung gesichert werden soll, ist im Streitfall jedoch nicht gefährdet, weil die Abnehmerin der Beschwerdeführerin die Steuern tatsächlich gezahlt hat. Die Vermischung des von der Beschwerdeführerin an die EUTRANSCO GmbH gelieferten Mineralöls durch die Inhaberin des Steuerlagers ändert nichts daran, daß die Steuer, die in der Person der Steuerlagerinhaberin durch die Aufnahme des Mineralöls in das Steuerlager bedingt entstanden ist (vgl. § 36 Abs. 2 MinöStDV), sich auf das von der Beschwerdeführerin gelieferte Mineralöl bezieht. Damit ist der eine Doppelbelastung zunächst rechtfertigende Grund für den Rückgriff auf die Beschwerdeführerin entfallen. Dem Gesetz kann nicht entnommen werden, der Gesetzgeber habe für den Fall der Aufnahme versteuerten Mineralöls auch eine Mehrfachbelastung gewollt, wenn diese im Einzelfall eindeutig feststeht (so aber BFH, Urteil vom 23. Juli 1968 – VII 84/65, BFHE 93, 114 ≪116 f.≫). Aus der Regelung des 5 10 MinöStG vi.d.F. des Verbrauchssteueränderungsgesetzes 1988 (BGBl. I S. 2270 ff.)≫ ist vielmehr das Gegenteil zu entnehmen. Infolgedessen verfehlt eine doppelte Erfüllung der Steuerschuld die gesetzgeberischen Planvorstellungen. In der Regel werden die damit verbundenen finanziellen Härten dann einen Billigkeitserlaß gebieten.
2. Demgegenüber durfte der Bundesfinanzhof hier einen Erlaß nicht vom Vorliegen der in Teil C Abs. 3 Nr. 12b der Billigkeitsrichtlinien genannten Voraussetzungen abhängig machen. Danach kommt für den Fall der Verbringung versteuerten Mineralöls in ein Steuerlager ein Erlaß nur in Betracht, „sofern besondere Umstände dies erfordert haben oder entschuldbar erscheinen lassen”. Die Beschränkung des Billigkeitserlasses auf ein entschuldbares Verhalten der Beschwerdeführerin trägt unter den hier gegebenen Umständen der Bedeutung der Besteuerungsgleichheit nicht in ausreichendem Maße Rechnung.
Eine mehrmalige Vollziehung der auf den Verbrauch desselben Mineralöls bezogenen Steuerbescheide im Falle eines nicht entschuldbaren Verhaltens und die darin liegende Ungleichbehandlung im Vergleich zu entschuldbaren Fällen käme einer strafähnlichen Sanktion für ein ordnungswidriges Verhalten gleich. Eine solche Sanktion kann aber nicht mehr durch das Anliegen, das Steueraufkommen zu sichern, gerechtfertigt werden, wenn die Steuerschuld schon erfüllt wurde. Ein sonstiger einleuchtender Grund, der im Ausgangsverfahren eine Beschränkung des Erlasses auf ein entschuldbares Verhalten als sachgerecht erscheinen ließe, ist nicht ersichtlich.
Das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 14. Februar 1989 – VII R 189/85 – ist wegen Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG aufzuheben. Es bedarf keiner weiteren Prüfung, ob auch Art. 14 GG oder Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 oder Art. 101 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt sind. Bei der erneuten Entscheidung könnten der Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 11. November 1987 (III A 1-V 0361-2/87) zur Anwendung des § 10 MinöStG in der bis 1988 geltenden Fassung und die Neufassung des § 10 MinöStG durch das Verbrauchssteueränderungsgesetz 1988 Anhaltspunkte für den bei der Billigkeitsentscheidung zu berücksichtigenden Belastungsgrund geben.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen
Haufe-Index 1503299 |
NJW 1995, 3378 |
NVwZ 1995, 989 |
JuS 1996, 273 |