Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkung eines Gesetzes
Leitsatz (amtlich)
Das Vertrauen auf das Fortbestehen einer gesetzlichen Regelung kann jedenfalls dann nicht geschützt werden, wenn der Gesetzgeber durch eine steuerliche Vorschrift, die sich notwendig auf einen in der Vergangenheit liegenden Stichtag bezieht, für die Betroffenen erkennbar zunächst eine systemwidrige und unbillige Regelung getroffen hat, die im Interesse der Steuergerechtigkeit und damit zum gemeinen Wohl durch eine sachgemäße Regelung ersetzt worden ist.
Leitsatz (redaktionell)
- Die Anordnung der Rückwirkung des § 206 Nr. 2 LAG n. F. verstößt nicht gegen das Grundgesetz.
- Mit der Aufgabe des Gesetzgebers, eine sachgerechte Lösung zu finden und dadurch dem Rechtsfrieden zu dienen, wäre es unvereinbar, wollte man ihm stets verbieten, ein Stichtaggesetz, dessen systemwidrige und unbillige Regelung erheblichen verfassungsrechtlichen Zweifeln begegnen kann, durch eine bessere Vorschrift zu ersetzen. In solchen Fällen können zwingende Gründe des gemeinen Wohls, die dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnet sind, eine Rückwirkungsanordnung rechtfertigen.
Normenkette
LAG § 206 Nr. 2; GG Art. 2 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
A.-I.
Das Gesetz über den Lastenausgleich (Lastenausgleichsgesetz – LAG) vom 14. August 1952 (BGBl. I S. 446) regelt in den §§ 206 und 207 die Frage, ob und inwieweit die verschiedenen Ausgleichsabgaben bei der Ermittlung des Einheitswerts gewerblicher Betriebe (§ 62 Abs. 1 Bewertungsgesetz – BewG – vom 16. Oktober 1934 – RGBl. I S. 1035) abgezogen werden können. § 206 LAG gilt für die Hauptfeststellung (§ 21 BewG) auf den 21. Juni 1948 und für Wertfortschreibungen (§ 22 BewG) und Nachfeststellungen (§ 24 BewG) “vor der nächsten Hauptfeststellung” auf den 1. Januar 1953 (vgl. Verordnung zur Veranlagung der Vermögensteuer und zur Einheitsbewertung der gewerblichen Betriebe vom 12. März 1953 – BGBl. I S. 53); § 207 LAG gilt für Hauptfeststellungen, Wertfortschreibungen und Nachfeststellungen von diesem Zeitpunkt an. Nach § 207 LAG sind Hypothekengewinnabgabe und Kreditgewinnabgabe mit ihrem jeweiligen Wert im Feststellungszeitpunkt abzuziehen. § 206 LAG dagegen sieht den Abzug vorläufiger Hilfswerte vor. Soweit sie hier interessiert, lautet die Vorschrift zunächst:
Für die Abzugsfähigkeit der Ausgleichsabgaben bei der Hauptfeststellung der Einheitswerte der gewerblichen Betriebe auf den 21. Juni 1948 und bei Wertfortschreibungen und Nachfeststellungen auf Feststellungszeitpunkte vor der nächsten Hauptfeststellung gelten folgende Vorschriften:
1. …
2. Die Hypothekengewinnabgabe und die Kreditgewinnabgabe sind nicht abzuziehen. Statt dessen sind Umstellungsgrundschulden, soweit sie mit dem gewerblichen Betrieb in wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, mit ihrem jeweiligen Wert im Feststellungszeitpunkt abzuziehen. …
Art. 1 Nr. 8 des Dritten Gesetzes zur Änderung des LAG und des Feststellungsgesetzes vom 24. Juli 1953 (BGBl. I S. 693) – im folgenden: Drittes Änderungsgesetz oder 3. ÄndGLAG – hat die ursprüngliche Nr. 2 durch die folgenden Nrn. 2 und 3 ersetzt:
2. Die Kreditgewinnabgabe ist mit dem Nennbetrag abzuziehen, der sich für den gewerblichen Betrieb nach der auf Grund des § 181 abgegebenen Erklärung ergibt. Berichtigungen bereits abgegebener Erklärungen sind nur zu berücksichtigen, wenn sie bis zum 31. Oktober 1953 dem Finanzamt zugehen.
3. Statt der Hypothekengewinnabgabe sind bei gewerblichen Betrieben, die der Kreditgewinnabgabe nicht unterliegen, die Umstellungsgrundschulden mit ihrem jeweiligen Wert im Feststellungszeitpunkt abzuziehen; …
Das Dritte Änderungsgesetz ist – abgesehen von hier nicht interessierenden Ausnahmen – “am Tage nach seiner Verkündung mit Wirkung vom Inkrafttreten des Lastenausgleichsgesetzes (§ 375) in Kraft” getreten (Art. 5), d. h. mit Wirkung vom 1. September 1952. Die neue Fassung des § 206 LAG ist also rückwirkend an die Stelle der alten Fassung getreten.
II.
1. Die Beschwerdeführerin hatte im Jahre 1940 eine durch Gesamthypothek gesicherte Anleihe von 50 Millionen RM aufgenommen. Diese Anleihe war am 20. Juni 1948, dem Tag der Währungsumstellung, bis auf 30 Millionen RM getilgt. Sie wurde im Verhältnis 10:1 auf 3 Millionen DM umgestellt. In Höhe von 27 Millionen DM entstand eine Umstellungsgrundschuld (§ 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Sicherung von Forderungen für den Lastenausgleich vom 2. September 1948 – WiGBl. S. 87 –, im folgenden HypSichG). Die Gläubigerverluste, welche die Beschwerdeführerin bei der Währungsumstellung erlitt, waren jedoch höher als ihre Schuldnergewinne. Sie wurde deshalb nicht zur Kreditgewinnabgabe herangezogen (vgl. §§ 161 ff. LAG).
In der vor Verkündung des Dritten Änderungsgesetzes abgegebenen vorläufigen Vermögenserklärung für die Vermögensteuerhauptveranlagung 1949 minderte die Beschwerdeführerin – entsprechend § 206 Nr. 2 LAG alter Fassung (a. F.) – das Betriebsvermögen um die Umstellungsgrundschuld von 27 Millionen DM. Das Finanzamt Köln ließ jedoch diesen Abzug im vorläufigen Bescheid vom 21. November 1953 unter Berufung auf die Neufassung des § 206 LAG nicht zu und stellte einen um 27 Millionen RM höheren Einheitswert des Betriebsvermögens fest. Im endgültigen Einheitswertbescheid vom 22. Mai 1956 blieb es bei dieser Entscheidung. Die Beschwerdeführerin beschritt erfolglos den Rechtsweg. Der Bundesfinanzhof wies ihre Rechtsbeschwerde durch Urteil vom 6. November 1959 als unbegründet zurück. In den Urteilsgründen wird ausgeführt, die rückwirkende Neufassung des § 206 LAG begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. § 206 LAG a. F. habe – für die interessierte Öffentlichkeit erkennbar – keine abschließende Regelung enthalten. Die Umstellungsgrundschulden seien darin nur als Hilfs- oder Ersatzwerte zum Abzug zugelassen. Der vorläufige Charakter der Vorschrift komme allerdings nicht deutlich zum Ausdruck; dennoch gehe die Annahme zu weit, die Steuerpflichtigen hätten darauf vertrauen dürfen, daß die Regelung beibehalten werde. Die Beschwerdeführerin habe überdies damit rechnen müssen, daß sich bei der endgültigen Einheitsbewertung des Betriebsvermögens andere als die von ihr vorläufig erklärten Werte ergeben könnten. Wenn sie diese Möglichkeit nicht genügend beachtet habe, könne sie ihr daraus erwachsende Nachteile nicht der rückwirkenden Gesetzesänderung anlasten. Die rückwirkende Änderung einer Vorschrift sei im übrigen nicht grundsätzlich anders zu bewerten als die rückwirkende Neuregelung eines bisher ungeregelten Zustandes.
2. Mit der Verfassungsbeschwerde vom 27. Januar 1960 wendet sich die Beschwerdeführerin gegen das ihr am 9. Januar 1960 zugestellte Urteil des Bundesfinanzhofs. Sie fühlt sich wegen der Anwendung eines rückwirkenden Gesetzes in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt. Sie macht geltend:
a) Die Betroffenen hätten die rückwirkende Änderung des § 206 LAG nicht voraussehen können. Der Gesetzgeber habe, als er die Vorschrift in ihrer ursprünglichen Form schuf, erkannt, daß Hypothekengewinnabgabe und Kreditgewinnabgabe einerseits und Umstellungsgrundschulden andererseits in vielen Fällen der Höhe nach differieren können. Wenn er gleichwohl den Abzug der Umstellungsgrundschulden als Hilfswerte für die Feststellung der Einheitswerte zum 21. Juni 1948 zugelassen habe, so sei dies geschehen, um die Vermögensteuerveranlagung für die Jahre 1948 bis 1952 zu beschleunigen. Ein zwingender Grund zur Änderung dieser Bestimmung habe nicht vorgelegen. Der Hinweis des Bundesfinanzhofs auf den provisorischen Charakter der Umstellungsgrundschulden gehe fehl. Die Umstellungsgrundschulden seien feststehende Größen gewesen und hätten daher als endgültige Bemessungsgrundlage für die Bewertung von Betriebsvermögen herangezogen werden können. Die Verwendung von Hilfswerten bei endgültigen gesetzlichen Regelungen sei weder außergewöhnlich noch unzulässig.
b) Die rückwirkende Änderung von § 206 LAG sei überdies sachlich nicht gerechtfertigt. Der Gesetzgeber habe nur statt des Abzugs des einen Hilfswerts (Umstellungsgrundschuld) den eines anderen, ebenfalls nicht endgültigen Hilfswerts (erklärte – nicht veranlagte – Kreditgewinnabgabe) zugelassen. Die Möglichkeit, sich dieses neuen Hilfswerts zu bedienen, habe aber schon bestanden, als das Lastenausgleichsgesetz geschaffen worden sei; sie habe sogar nahegelegen, da die Ermittlung des Werts keine Schwierigkeiten geboten habe. Der Gesetzgeber habe also durch seine Rückwirkungsanordnung weder Irrtümer beseitigen noch Lücken schließen müssen. Zwar möge er gewünscht haben, die mit der alten Fassung zusammenhängenden Härten für einen Teil der Steuerpflichtigen rückwirkend zu beseitigen. Das habe ihn aber nicht berechtigt, für andere Steuerpflichtige – ebenfalls rückwirkend – neue Härten zu schaffen.
c) Die Nichtberücksichtigung des Abzugs der Umstellungsgrundschulden habe für sie, die Beschwerdeführerin, allein im Jahre 1949 eine steuerliche Mehrbelastung von 306 000 DM zur Folge gehabt; im Hauptveranlagungszeitraum 1949 bis 1952 habe die Mehrbelastung sogar 1 224 000 DM ausgemacht. Diese zusätzliche Belastung habe sie bei ihren Erfolgs- und Kostenrechnungen nicht mehr berücksichtigen können, da sie die Bilanzen für die Geschäftsjahre 1948/II, 1949 und 1950 vor der Verkündung des Dritten Änderungsgesetzes festgestellt und verabschiedet habe. Sie habe infolgedessen Gewinne ausgewiesen und ausgeschüttet, die nicht in Erscheinung getreten wären, wenn sie die rückwirkende Gesetzesänderung rechtzeitig gekannt hätte.
Der Hinweis des Bundesfinanzhofs, sie habe damit rechnen müssen, daß sich bei der endgültigen Einheitsbewertung ihres Betriebsvermögens andere als die von ihr vorläufig erklärten Werte ergeben könnten, liege neben der Sache. Der Bundesfinanzhof habe dabei nicht genügend den Unterschied beachtet, der zwischen dem Risiko einer abweichenden Beurteilung feststehender Tatbestände und jenem einer rückwirkenden Änderung der bestehenden Rechtslage bestehe.
Schließlich sei auch unerheblich, daß bei ihr, der Beschwerdeführerin, keine Kreditgewinnabgabe entstanden sei. Der Gesetzgeber habe in § 206 LAG a. F. bewußt einen Hilfswert zur allein maßgebenden (absoluten) Wertgröße erhoben.
3. Der Bundesminister der Finanzen hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.
a) Rückwirkende belastende Steuergesetze seien grundsätzlich zulässig. Das gelte jedenfalls dann, wenn sie darauf abzielten, eine schwerwiegende Verletzung des Grundsatzes der Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu beseitigen, eines Grundsatzes, der Ausfluß des allgemeinen Gleichheitssatzes und des Rechtsstaatsprinzips sei. Zudem sei das Steuerrecht besonders vielschichtig und kompliziert und erfordere wegen der Schnelligkeit des Wirtschaftsablaufs häufig und kurzfristig neue- unter Umständen auch rückwirkende – Regelungen.
b) Die rückwirkende Änderung des § 206 LAG sei sachlich gerechtfertigt. Sie beruhe auf der Erkenntnis, daß die alte Fassung einen Teil der Steuerpflichtigen schwer benachteiligt, einen anderen dagegen – darunter die Beschwerdeführerin – in unvertretbarer Weise begünstigt habe. Der Gesetzgeber habe es daher aus rechtsstaatlichen Gründen für geboten gehalten, die Vorschrift rückwirkend zu ändern. Daß sich die Neuregelung für die vorher Begünstigten nachteilig ausgewirkt habe, sei nur recht und billig. Unerheblich sei, daß lediglich ein Hilfswert durch einen anderen ersetzt worden sei; der neue Wert komme jedenfalls den tatsächlichen Verhältnissen viel näher als der alte. Bei dieser Sachlage könne sich die Beschwerdeführerin nicht darauf berufen, sie habe die Neuregelung nicht voraussehen können. In Fällen wie dem vorliegenden komme es auf die Voraussehbarkeit nicht an. Übrigens habe die alte Fassung von § 206 LAG unter der selbstverständlichen Voraussetzung gestanden, daß sie zu keiner unverhältnismäßigen Besser- oder Schlechterstellung von Steuerpflichtigen führen dürfe. Diese Voraussetzung habe sich als unrichtig erwiesen. Die Beschwerdeführerin habe daher mit einer rückwirkenden Änderung rechnen müssen.
c) Die Neuregelung habe die Dispositionen der Beschwerdeführerin nicht entscheidend beeinflußt. Sie könne allenfalls eine steuerliche Mehrbelastung von jährlich 200 000 DM zur Folge gehabt haben. Im übrigen hätte die Beschwerdeführerin selbst dann nicht anders disponieren können, wenn sie die Neufassung des § 206 LAG vorher gekannt hätte. Auf Grund einer den freien Aktionären gegebenen Dividendengarantie sei sie verpflichtet gewesen, die in den Jahren 1948/II, 1949 und 1950 tatsächlich gezahlte Dividende von 7,2 % auszuschütten.
4. Die Beschwerdeführerin hat auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
B.
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. § 206 Nr. 2 LAG n.F. hat ohne Verstoß gegen das Grundgesetz die Vorschrift des § 206 Nr. 2 LAG a. F. ersetzt.
1. § 206 Nr. 1 LAG a.F. war sach- und systemwidrig und führte zu unbilligen Ergebnissen.
§ 206 LAG bezieht sich auf die Feststellung der Einheitswerte gewerblicher Betriebe zum 21. Juni 1948. Die Vorschrift gehört dem Bewertungsrecht an.
Die Feststellung des Einheitswerts des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens, des Grundvermögens und des Betriebsvermögens (gewerbliche Betriebe einschließlich der freien Berufe) ist bindend für die Steuern vom Vermögen und für die Vermögensabgabe. Sie berücksichtigt beim Grundvermögen und beim land- und forstwirtschaftlichen Vermögen nicht die Schulden. Nur beim Betriebsvermögen werden die im wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem gewerblichen Betrieb stehenden Schulden bei der Feststellung des Einheitswerts abgezogen (§ 62 Bewertungsgesetz).
Die vom Lastenausgleichsgesetz angeordneten Ausgleichsabgaben (Vermögensabgabe, Hypothekengewinnabgabe, Kreditgewinnabgabe) sind Schulden im Sinn des § 62 des Bewertungsgesetzes. Sie gelten als am 21. Juni 1948 entstanden (§§ 20,102, 173 LAG). Die Höhe ihres Abzugs bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens ist in §§ 206, 207 LAG besonders geregelt. § 207 LAG gilt – als Regelvorschrift- für die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens seit dem 1. Januar 1953, dem auf das Inkrafttreten des Lastenausgleichsgesetzes folgenden Hauptfeststellungszeitpunkt. § 206 LAG dagegen enthält eine Übergangsregelung für die Bewertung des Betriebsvermögens zum 21. Juni 1948. Ihre Notwendigkeit ergab sich aus der Tatsache, daß das Lastenausgleichsgesetz erst vier Jahre nach dem Währungsstichtag in Kraft getreten ist.
Der Regelung des § 206 Nr. 2 LAG a. F. lag die Annahme zugrunde, die Veranlagung der Lastenausgleichsabgaben werde längere Zeit in Anspruch nehmen, so daß die Berücksichtigung dieser Abgaben in ihrer wahren Höhe bei der Feststellung der Einheitswerte zum 21. Juni 1948 sowohl für den Steuerschuldner wie auch für die Finanzverwaltung unerträgliche Verzögerungen mit sich bringen würde (BT I/1949 Drucks. Nr. 3300 S. 22). Deshalb wurden an Stelle von Hypothekengewinnabgabe und Kreditgewinnabgabe als Hilfswerte die Umstellungsgrundschulden mit ihrem jeweiligen Wert zum Abzug zugelassen. Diese hatten ausschließlich der Sicherung späterer Ausgleichsforderungen gedient (§ 3 HypSichG) und waren mit dem Inkrafttreten des Lastenausgleichsgesetzes erloschen (§ 120 Abs. 1 LAG). Um eine baldige Feststellung der Einheitswerte zum 21. Juni 1948 zu ermöglichen, wurde hingenommen, daß in vielen Fällen die Umstellungsgrundschulden erheblich niedriger waren als die von gewerblichen Betrieben geschuldete Kreditgewinnabgabe, weil Schuldnergewinne anläßlich der Währungsreform aus Verpflichtungen, die dinglich nicht gesichert waren, außer Betracht blieben. In zahlreichen Fällen wurden die Abgabepflichtigen also erheblich benachteiligt. Zugleich wurden aber diejenigen Abgabepflichtigen begünstigt, bei denen die Kreditgewinnabgabe die Höhe der Umstellungsgrundschuld nicht erreichte, weil sie hohe Gläubigerverluste hatten.
Diese Regelung führte zu schwer erträglichen Ungerechtigkeiten. Der Gesetzgeber ist zwar davon ausgegangen, sie sei im Interesse sowohl der Steuerpflichtigen als auch der Finanzverwaltung erforderlich, um eine baldige Festsetzung der Einheitswerte und damit auch eine baldige Veranlagung zur Vermögensteuer für die Jahre 1948 bis 1952 zu ermöglichen. Er hat dabei die Möglichkeit einer baldigen und zutreffenden Veranschlagung der Kreditgewinnabgabe unrichtig beurteilt und, um die von ihm erstrebte Beschleunigung zu erreichen, ein Mittel gewählt, das mit dem System des Bewertungsrechts und mit Sinn und Zweck des Lastenausgleichsgesetzes unvereinbar war. Es widersprach nämlich dem Bewertungsrecht wie dem Lastenausgleichsgesetz, daß bei der überwiegenden Zahl der Steuerpflichtigen die Kreditgewinnabgabe bei der Bewertung des Betriebsvermögens nur zum Teil abgezogen werden konnte, während für andere Abgabenpflichtige die Möglichkeit bestand, bei der Bewertung den Abzug von Beträgen zu beanspruchen, die sie entweder überhaupt nicht oder nur zum Teil schuldeten. Nur in seltenen Fällen entsprach die geschuldete Kreditgewinnabgabe annähernd der Höhe der erloschenen Umstellungsgrundschuld. § 206 Nr. 2 LAG a.F. hat demnach eine Rechtslage geschaffen, die als systemwidrig und unbillig auch von denjenigen Abgabepflichtigen erkannt werden mußte, die von dieser Regelung ohne Grund begünstigt worden sind.
2. § 206 LAG n. F. ist ein rückwirkendes Gesetz.
Die neue Vorschrift hat die bisherige Bestimmung des § 206 Nr. 2 LAG a. F. mit Rückwirkung vom Inkrafttreten des Lastenausgleichsgesetzes an beseitigt und durch eine neue, dem System des Bewertungsrechts und dem Sinn und Zweck des Lastenausgleichsgesetzes besser entsprechende Regelung ersetzt (Art. 5 des 3. ÄndGLAG). Sie geht davon aus, daß die von den gewerblichen Betrieben abgegebenen Erklärungen zur Kreditgewinnabgabe (§ 181 LAG) eine brauchbare vorläufige Bewertungsgrundlage abgeben, weil sie auch den Schuldnergewinn aus nicht gesicherten Verpflichtungen und den Gläubigerverlust berücksichtigen und damit der tatsächlichen Belastung mit Ausgleichsabgaben näherkommen.
3. Die Anordnung der Rückwirkung des § 206 Nr. 2 LAG n. F. verstößt nicht gegen das Grundgesetz.
Der aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitete Rechtssatz, daß rückwirkende Steuergesetze in der Regel unzulässig sind, beruht auf dem Gedanken, daß die Verläßlichkeit des jeweils geltenden Rechts die Voraussehbarkeit der rechtlichen Folgen menschlichen Handelns und damit die eigenverantwortliche Lebensgestaltung gewährleistet. Für den Bürger bedeutet Rechtssicherheit in erster Linie Vertrauensschutz (vgl. Urteil vom 19. Dezember 1961 – 2 BvL 6/59). Der Schutz des Vertrauens auf geltendes Recht kann aber dort nicht in Frage kommen, wo es kein Vertrauen geben kann oder wo es sachlich nicht gerechtfertigt wäre. Das Vertrauen auf das Fortbestehen einer gesetzlichen Regelung kann jedenfalls dann nicht geschützt werden, wenn der Gesetzgeber durch eine steuerrechtliche Vorschrift, die sich notwendig auf einen in der Vergangenheit liegenden Stichtag bezieht, für die Betroffenen erkennbar zunächst eine systemwidrige und unbillige Regelung getroffen hat, die im Interesse der Steuergerechtigkeit und damit zum gemeinen Wohl durch eine sachgemäße Regelung ersetzt worden ist. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
a) § 206 Nr. 2 LAG n. F. setzt an die Stelle einer Vorschrift, die sachwidrige Bewertungsmaßstäbe aufstellte, eine Regelung, die dem Ziele, die wirkliche Belastung des Steuerpflichtigen bei der Wertfeststellung zu berücksichtigen, erheblich näher kommt. Die neue Vorschrift soll im Interesse der Bürger die Gleichheit bei der Bewertung des steuerbaren Vermögens und somit die Steuergerechtigkeit gewährleisten. Damit dient sie dem gemeinen Wohl. Sie beseitigt die durch die bisherige Vorschrift herbeigeführte Benachteiligung derjenigen Abgabepflichtigen, deren Belastung mit Kreditgewinnabgabe höher ist als die Umstellungsgrundschuld. Auf der anderen Seite entzieht sie denjenigen Abgabepflichtigen, deren Kreditgewinnabgabeschuld geringer ist als die Umstellungsgrundschuld, den ungerechtfertigten Vorteil der sich aus der alten Fassung im Widerspruch zum Bewertungsgesetz und zum Lastenausgleichsgesetz ergeben hatte. Die Neuordnung war dringlich, denn die Verfahren zur Feststellung der Einheitswerte gewerblicher Betriebe zum 21. Juni 1948 waren angelaufen und zum großen Teil noch nicht abgeschlossen. Sie konnte nach Sachlage nur auf den für das Bewertungsrecht maßgeblichen Stichtag – den 21. Juni 1948 – bezogen werden. Also mußte sie rückwirkende Kraft haben, weil angesichts der Sachwidrigkeit der Norm, die bisher die Abzugsfähigkeit der Ausgleichsabgabeschulden bei der Bewertung zum 21. Juni 1948 regelte, eine andere Regelung unerläßlich war.
b) Wegen der erkennbaren Mangelhaftigkeit der alten Fassung des § 206 Nr. 2 LAG konnten sich die von der Vorschrift Begünstigten auf ihre Unveränderlichkeit auch dann nicht verlassen, wenn sie den Anschein einer endgültigen Regelung für eine Übergangszeit erweckte. Mit der Aufgabe des Gesetzgebers, eine sachgerechte Lösung zu finden und dadurch dem Rechtsfrieden zu dienen, wäre es unvereinbar, wollte man ihm stets verbieten, ein Stichtaggesetz, dessen systemwidrige und unbillige Regelung erheblichen verfassungsrechtlichen Zweifeln begegnen kann, durch eine bessere Vorschrift zu ersetzen. In solchen Fällen können zwingende Gründe des gemeinen Wohls, die dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnet sind, eine Rückwirkungsanordnung rechtfertigen (vgl. Urteil vom 19. Dezember 1961 – 2 BvL 6/59).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Fundstellen
BVerfGE, 215 |
NJW 1962, 1387 |
NJW 1962, 729 |
DVBl. 1962, 608 |