Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerverweigerung aus Gewissensgründen unzulässig
Leitsatz (redaktionell)
Eine Gewissensentscheidung, die Organisation und Finanzierung der Verteidigung ablehnt, berührt grundsätzlich nicht die Pflicht zur Steuerzahlung. Die Steuer ist ein Finanzierungsinstrument des Staates, aus dessen Aufkommen die Staatshaushalte allgemein – ohne jede Zweckbindung – ausgestattet werden. Über die Verwendung dieser Haushaltsmittel entscheidet allein das Parlament. Auch ein dem prozentualem Anteil des Verteidigungshaushalts entsprechender Teilerlaß der Einkommensteuer ist nicht gerechtfertigt.
Normenkette
GG Art. 4 Abs. 1, Art. 110 Abs. 2-3, Art. 38 Abs. 1 S. 2, Art. 106 Abs. 3, Art. 108 Abs. 2; EStG § 1; AO 1977 § 227 Abs. 1
Verfahrensgang
Gründe
Die Beschwerdeführer haben sich vergeblich dagegen gewehrt, auch mit dem Teil ihrer Steuerschuld zur Einkommensteuer herangezogen zu werden, der prozentual dem Anteil des Verteidigungshaushalts am Bundeshaushalt entspricht. Dadurch, daß ihnen sowohl ein entsprechender Teilerlaß ihrer Einkommensteuer als auch die Erlaubnis versagt wurde, diesen Teil auf ein Sperrkonto zwecks Verwendung für einen noch zu schaffenden Friedensfond einzuzahlen, werden die Beschwerdeführer nicht in ihren Grundrechten der Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) verletzt.
1. Zwar umfaßt die von der Verfassung gewährleistete Gewissensfreiheit nicht nur die Freiheit, ein Gewissen zu haben, sondern grundsätzlich auch die Freiheit, von der öffentlichen Gewalt nicht verpflichtet zu werden, gegen Gebote und Verbote des Gewissens zu handeln (BVerfGE 78, 391 ≪395≫). Die Beschwerdeführer haben eine Gewissensentscheidung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 GG getroffen, also eine ernste sittliche, das heißt an den Kategorien von „Gut” und „Böse” orientierte Entscheidung, die sie als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfahren (vgl. BVerfGE 12, 45 ≪55≫).
2. Eine Gewissensentscheidung, die Organisation und Finanzierung der Verteidigung ablehnt, berührt jedoch grundsätzlich nicht die Pflicht zur Steuerzahlung. Die Steuer ist ein Finanzierungsinstrument des Staates, aus dessen Aufkommen die Staatshaushalte allgemein – ohne jede Zweckbindung – ausgestattet werden. Über die Verwendung dieser Haushaltsmittel entscheidet allein das Parlament (Art. 110 Abs. 2 und 3 GG). Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind dabei an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG). Durch die strikte Trennung von Steuererhebung und haushaltsrechtlicher Verwendungsentscheidung gewinnt der Staat rechtsstaatliche Distanz und Unabhängigkeit gegenüber dem ihn finanzierenden Steuerpflichtigen und ist deshalb allen Bürgern – mögen sie erhebliche Steuerleistungen erbringen oder nicht zu den Steuerzahlern gehören – in gleicher Weise verantwortlich. Andererseits nimmt er dem Steuerzahler Einflußmöglichkeit und Verantwortlichkeit gegenüber den staatlichen Ausgabeentscheidungen. Dementsprechend ist die individuelle Steuerschuld aller Steuerpflichtigen unabhängig von der zukünftigen Verwendung des Steueraufkommens, mag der Staat Verteidigungsaufgaben finanzieren oder auf sie verzichten. Auf der Grundlage dieser strikten Trennung zwischen steuerlicher Staatsfinanzierung und haushaltsrechtlicher Verwendungsentscheidung ist für den einzelnen Steuerpflichtigen weder rechtserheblich noch ersichtlich, ob seine Einkommensteuerzahlungen an die Landesfinanzbehörden (Art. 108 Abs. 2 GG) in den Bundes- oder in den Landeshaushalt fließen (vgl. Art. 106 Abs. 3 GG) und für welchen konkreten Verwendungszweck innerhalb einer dieser Haushalte seine Zahlungen dienen. Die Pflicht zur Steuerzahlung läßt mithin den Schutzbereich des Grundrechts der Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) unberührt.
3. Zu Unrecht berufen sich die Beschwerdeführer auch auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der ein Steuererlaß zur Vermeidung unbilliger Härten verfassungsrechtlich geboten sein kann (z.B. BVerfGE 48, 102 ≪114, 115 f.≫; 50, 57 ≪86≫). Wenn die Steuerpflichtigen durch Gesetz allgemein und gleichheitsgerecht zur Steuer herangezogen werden, so liegt weder eine persönliche noch eine sachliche Unbilligkeit vor. Die parlamentarische Entscheidung über Art und Dringlichkeit bestimmter Staatsaufgaben berührt nicht die Steuerpflicht des Einzelnen und seinen finanzrechtlichen Pflichtenstatus, zur Finanzierung des Staates beizutragen, sondern die parlamentarische, vor dem Wähler zu verantwortende Entscheidung, aus dem verfügbaren Steueraufkommen die dringlichsten Aufgaben zu erfüllen.
4. Die allgemeine Steuerpflicht unterscheidet sich somit auch grundlegend von den in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1971 (BVerfGE 32, 98) behandelten konkreten Hilfeleistungspflicht. Dort ging es um die Bestrafung eines Ehemannes wegen unterlassener Hilfeleistung, der es aus religiösen Gründen in Übereinstimmung mit seiner lebensgefährlich erkrankten Frau abgelehnt hatte, die notwendige Bluttransfusion zu veranlassen, und dadurch den Tod seiner Frau hingenommen hatte. Dort war das glaubensgesteuerte, eigenhändige Handeln des Grundrechtsträgers zu beurteilen; hier ist die allgemeine Zahlungspflicht zur Finanzierung des Staates in der Verantwortlichkeit der Steuerpflichtigen von der Haushaltsentscheidung über die staatlichen Einnahmen in der Verantwortlichkeit des Parlaments abzugrenzen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen
Haufe-Index 1512217 |
NJW 1993, 455 |
NVwZ 1993, 465 |