Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Lohnsteuer-Jahresausgleich bei Versäumung der Antragsfrist wegen geänderter Veranlagungsgrenzen
Leitsatz (amtlich)
Zur Zulässigkeit einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG.
Normenkette
GG Art. 3, 14; EStG § 42 Abs. 2 S. 3, § 46 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Urteil vom 19.10.1978; Aktenzeichen III 315/77) |
Tatbestand
A.
Die Vorlage betrifft die Frage, ob es mit Art. 14 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, daß der Anspruch auf Lohnsteuer-Jahresausgleich bei schuldhafter Versäumung der Antragsfrist ersatzlos wegfällt.
I.
…
II.
Der Kläger des Ausgangsverfahrens und seine Ehefrau wurden in den Jahren 1970 bis 1974 zur Einkommensteuer veranlagt. In den Jahren 1971 und 1972 betrug das Einkommen der Ehegatten jeweils mehr als 24.000 DM. Die Veranlagungen waren deshalb bereits nach § 46 Abs. 1 EStG 1969/71 durchzuführen, 1973 und 1974 hatten die Eheleute ein Einkommen von 32.360 DM und 37.922 DM erzielt. Damit kam eine Veranlagung nach § 46 Abs. 1 EStG in diesen Jahren nicht in Betracht. Gleichwohl wurden die Eheleute auch 1973 und 1974 im Hinblick auf die besonderen Veranlagungsvorschriften für beiderseits berufstätige Ehegatten in § 46 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG 1971 und EStG 1974 veranlagt, weil „in dem Einkommen Einkünfte aus mehr als einem Dienstverhältnis enthalten” waren „und der zu versteuernde Einkommensbetrag … 16.000 Deutsche Mark” überstieg.
Hatte die Veranlagung 1970 und 1971 noch zu einer Steuererstattung geführt, so ergaben sich von 1972 bis 1974 von Jahr zu Jahr höhere Nachzahlungen.
1975 erzielten der Kläger des Ausgangsverfahrens und seine Ehefrau aus jeweils einem Arbeitsverhältnis zusammen einen Bruttoarbeitslohn von 41.488 DM. Etwa zur Jahreswende 1974/75 übersandte das Rechenzentrum des Landes den Eheleuten Vordrucke für die Einkommensteuererklärung 1975 mit der Aufforderung, diese bis zum 31. Mai 1976 beim Finanzamt einzureichen …
Der Kläger und seine Ehefrau gaben die Einkommensteuererklärung für 1975 nicht bis zum 31. Mai 1976 ab, weil sie mit einer ähnlich hohen Abschlußzahlung wie im vorangegangenen Jahr rechneten. Mitte November 1976 mahnte das Finanzamt die Abgabe der Einkommensteuererklärung bei den Eheleuten unter Fristsetzung bis zum 15. Dezember 1976 an. Die Eheleute reichten ihre Einkommensteuererklärung, mit der sie wiederum die Zusammenveranlagung wählten, am 3. Januar 1977 ein.
Die Überprüfung der Einkommensteuererklärung ergab, daß die Voraussetzungen einer Veranlagung nicht gegeben waren. Eine Veranlagung nach § 46 Abs. 1 EStG 1975 kam – wie schon 1973 und 1974 – nicht in Betracht, weil das Einkommen der Eheleute 48.000 DM nicht überstieg. Auch eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG 1975 schied aus. Das Finanzamt erließ deshalb für 1975 im März 1977 eine „Nicht-Veranlagungsverfügung” und teilte den Steuerpflichtigen mit, es werde geprüft, ob die Durchführung eines Lohnsteuer-Jahresausgleichs in Betracht käme. Kurz darauf lehnte die Lohnsteuerstelle des Finanzamts die Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs wegen Versäumung der Antragsfrist ab. Hierzu führte das Finanzamt unter Berufung auf einen dem Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 2. Juli 1976 (BStBl 1976 I S. 377) entsprechenden Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom gleichen Tage aus, die Einkommensteuererklärung könne nicht als fristgerechter Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich angesehen werden, weil sie nicht bis zum Ablauf der Abgabefrist für die Einkommensteuererklärung (30. September 1976) beim Finanzamt eingegangen und die Abgabefrist für die Einkommensteuererklärung auch nicht verlängert worden sei. Der Kläger und seine Ehefrau hätten die Frist für die Abgabe der Einkommensteuererklärung schuldhaft versäumt, weil sie, die befürchtete Nachzahlung hätten hinausschieben wollen. Gegen die Ablehnung der Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs, der zu einer Erstattung geführt hätte, erhoben die Eheleute nach erfolglosem Einspruch Klage.
III.
Das Finanzgericht hat das Verfahren mit Beschluß vom 19. Oktober 1978 ausgesetzt und den Rechtsstreit dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung der Frage vorgelegt, ob § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG 1975 mit dem Grundgesetz insoweit vereinbar ist, als hiermit eine Ausschlußfrist gesetzt werde, deren schuldhafte Versäumung den Verlust des Erstattungsanspruchs zur Folge habe. Das Finanzgericht hat dazu ausgeführt: Das Gericht wolle der Klage stattgeben, obwohl die Ausschlußfrist versäumt worden sei; es sehe sich hieran jedoch durch die Ausschlußfrist des § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG gehindert. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 der Abgabenordnung vom 16. März 1976 – AO 1977 – [BGBl. I S. 613] – früher: Nachsicht – § 86 der Reichsabgabenordnung in der durch die Finanzgerichtsordnung vom 6. Oktober 1965 – BGBl. I S. 1477 – geänderten Fassung) kommt nicht in Betracht. Der Kläger habe es zu vertreten, wenn er die am 31. Mai 1976 abgelaufene Ausschlußfrist nicht gekannt habe.
Die Ausschlußfrist des § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG 1975 sei mit Art. 14 GG nicht vereinbar, weil die schuldhafte Versäumung dieser Frist zu einem Verlust des materiellen Erstattungsanspruchs führe. Diese Regelung verletze die Eigentumsgarantie in der besonderen Ausprägung, die sie durch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz und das Sozialstaatsprinzip erfahren habe.
IV.
Entscheidungsgründe
B.
Die Vorlage ist unzulässig.
I.
Die Zulässigkeit einer Richtervorlage setzt voraus, daß das vorlegende Gericht darlegt, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Rechtsnorm abhängt und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm diese unvereinbar sein soll (BVerfGE 37, 328 [333 f.]). Dabei ist für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgebend, sofern diese nicht auf offensichtlich unhaltbaren rechtlichen Überlegungen oder tatsächlichen Würdigungen beruht (BVerfGE 50, 142 [152] m.w.N.):
II.
Das Finanzgericht hält die zur Prüfung gestellte Norm deshalb für entscheidungserheblich, weil eine Wiedereinsetzung bei Versäumung der Ausschlußfrist hier nicht in Betracht komme. Der Kläger habe die Frist für Abgabe des Antrags auf Lohnsteuer-Jahresausgleich wie jeder durchschnittlich informierte Staatsbürger aus den jährlich wiederkehrenden amtlichen Verlautbarungen und Pressemitteilungen kennen müssen. Jedenfalls aber habe er aus dem den Steuererklärungsvordrucken beiliegenden Merkblatt („Wichtiger Hinweis”) erkennen können und müssen, daß er für 1975 nicht mehr zu veranlagen sei. Das Merkblatt habe die ab 1975 für zusammenveranlagte Arbeitnehmer-Ehegatten geltende erhöhte Veranlagungsgrenze betragsmäßig ausdrücklich erwähnt. Im Ergänzungsbeschluß vom 11. Juli 1979 hat das Finanzgericht nochmals darauf hingewiesen, Nachsicht könne im vorliegenden Rechtsstreit deswegen nicht gewährt werden, weil der Kläger den amtlichen Hinweis auf die geänderten Veranlagungsgrenzen schuldhaft nicht beachtet habe.
Diese Auffassung des Finanzgerichts geht von unzutreffenden Voraussetzungen aus und ist deshalb offensichtlich unhaltbar.
Auf die Kenntnis der Frist für die Abgabe des Antrags auf Lohnsteuer-Jahresausgleich kommt es nicht an, weil der Kläger gerade in dem Irrtum befangen war, für 1975 veranlagt zu werden; er durfte deshalb davon ausgehen, die nur für den Lohnsteuer-Jahresausgleich geltende Ausschlußfrist sei für ihn nicht von Bedeutung. Aus dem Merkblatt konnte der Kläger nicht ersehen, daß er ab 1975 nicht mehr zu veranlagen war. Die in § 46 Abs. 1 EStG genannten Veranlagungsgrenzen, von denen im Merkblatt die Rede ist, wurden nicht mit Wirkung ab 1975 geändert. Sie waren bereits mit Wirkung ab 1973 erhöht worden (Art. 1 Nr. 4 Buchst. a und Nr. 20 Zweites Steueränderungsgesetz 1973 vom 18. Juli 1974, BGBl. I S. 1489). Die Änderung der Veranlagungsgrenzen in § 46 Abs. 1 EStG war infolgedessen auch nicht ursächlich für den Umstand, daß der Kläger und seine Ehefrau zwar bis 1974, aber nicht für 1975 zu veranlagen waren. Auch 1973 und 1974 wurden die Eheleute nicht nach § 46 Abs. 1 EStG veranlagt, weil ihr Einkommen den Betrag von 48.000 DM nicht überschritten hatte. Die Veranlagung in den Jahren 1973 und 1974 war vielmehr nur deshalb durchgeführt worden, weil die Eheleute die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG 1971/74 erfüllt hatten. Die Ehegatten hatten die Zusammenveranlagung gewählt und hatten sowohl 1973 als auch 1974 ein zu versteuerndes Einkommen von über 16.000 DM erzielt, in dem „Einkünfte aus mehr als einem Dienstverhältnis enthalten” waren.
Seit der Änderung des Absatzes 2 Nr. 2 Buchst. a des § 46 EStG mit Wirkung ab 1975 wird für eine Veranlagung beiderseits berufstätiger Ehegatten aber verlangt, daß „der Steuerpflichtige nebeneinander von mehreren Arbeitgebern Arbeitslohn bezogen hat und das zu versteuernde Einkommen … 32.000 Deutsche Mark … übersteigt”. Bei einem zusammenzuveranlagenden Ehepaar reicht es somit für eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG seit 1975 nicht mehr aus, daß beide Ehegatten berufstätig waren; es ist vielmehr erforderlich, daß bei einem der Ehegatten mehrere Arbeitsverhältnisse bestanden haben (vgl. Abschn. 215 Abs. 1 der Einkommensteuer-Richtlinien 1975). Der Kläger und seine Ehefrau bezogen 1975 jeweils Arbeitslohn nur von einem Arbeitgeber. Damit waren die Voraussetzungen für eine Veranlagung nach der Änderung des § 46 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG mit Wirkung ab 1975 nicht mehr gegeben.
Auf diese Änderung des § 46 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG wird in dem mit den Einkommensteuererklärungsvordrucken übersandten Merkblatt ebensowenig hingewiesen wie auf den Umstand, daß ab 1975 Ehegatten nach § 46 Abs. 2 EStG nur noch dann zu veranlagen sind, wenn ihr gemeinsames zu versteuerndes Einkommen den Betrag von 32.000 DM überschreitet. Im Merkblatt heißt es, hierzu lediglich: „Wann eine Veranlagung bei Einkünften aus mehreren Dienstverhältnissen eines Ehegatten oder der beiderseits berufstätigen Ehegatten durchzuführen ist, darüber wird Ihnen ihr Finanzamt auf Antrage gern Auskunft geben.” Für eine solche Antrage hatte der Kläger aber keinerlei Anlaß, weil er in den Vorjahren bei im wesentlichen gleichliegenden Verhältnissen stets veranlagt worden war, die Änderungen des § 46 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG nicht kannte und mangels eines entsprechenden Hinweises auch nicht kennen mußte.
Bei dieser Sachlage ist es offensichtlich unhaltbar, wenn das Finanzgericht ein Verschulden des Klägers für die Versäumung der Antragsfrist deshalb annimmt, weil „der Kläger den amtlichen Hinweis auf die geänderten Veranlagungsgrenzen schuldhaft nicht beachtet hat”.
Fundstellen
Haufe-Index 1179072 |
BStBl II 1982, 234 |
BVerfGE, 128 |