Entscheidungsstichwort (Thema)
Quellensteuerabzug, Dienstleistungen eines gebietsfremden Unternehmens, Pflicht des Dienstleistungsempfängers zum Quellensteuerabzug
Leitsatz (amtlich)
1. Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass die einem Dienstleistungsempfänger durch die Regelung eines Mitgliedstaats auferlegte Verpflichtung, von den Vergütungen, die an in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Dienstleistungserbringer gezahlt werden, eine Quellensteuer einzubehalten, während eine solche Verpflichtung bei Vergütungen, die an gebietsansässige Dienstleistungserbringer gezahlt werden, nicht besteht, wegen des zusätzlichen Verwaltungsaufwands und der Haftungsrisiken, die damit verbunden sind, eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne der genannten Bestimmung darstellt.
2. Soweit eine nationale Regelung wie die im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehende durch die Verpflichtung zum Einbehalt einer Quellensteuer wegen des zusätzlichen Verwaltungsaufwands und der Haftungsrisiken, die damit verbunden sind, eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs bewirkt, kann diese Beschränkung durch die Notwendigkeit, eine effiziente Erhebung der Steuer zu gewährleisten, gerechtfertigt sein und geht nicht über das hinaus, was erforderlich ist, um dieses Ziel zu erreichen, und zwar auch in Anbetracht der Möglichkeiten der gegenseitigen Unterstützung im Bereich der Beitreibung der Steuern gemäß der Richtlinie 76/308/EWG des Rates vom 15. März 1976 über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Abgaben, Zölle, Steuern und sonstige Maßnahmen in der durch die Richtlinie 2001/44/EG des Rates vom 15. Juni 2001 geänderten Fassung. Der spätere Verzicht auf den im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehenden Steuerabzug sagt noch nichts aus über dessen Eignung zur Erreichung des verfolgten Ziels und dessen Verhältnismäßigkeit, die allein anhand des verfolgten Ziels zu beurteilen sind.
3. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Verpflichtung des Dienstleistungsempfängers zum Einbehalt einer Quellensteuer wegen des zusätzlichen Verwaltungsaufwands und der Haftungsrisiken, die damit verbunden sind, eine durch Art. 56 AEUV verbotene Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt, kommt es nicht darauf an, ob der gebietsfremde Dienstleistungserbringer die in den Niederlanden einbehaltene Steuer von der Steuer abziehen kann, die er in seinem Niederlassungsmitgliedstaat zu entrichten hat.
Normenkette
AEUV Art. 56
Beteiligte
Staatssecretaris van Financien |
Verfahrensgang
Hoge Raad (Niederlande) (Urteil vom 24.09.2010; ABl. EU 2011, Nr. C 13/33) |
Tatbestand
„Freier Dienstleistungsverkehr ‐ Beschränkungen ‐ Steuerrecht ‐Steuerabzug an der Quelle, den der gebietsansässige Dienstleistungsempfänger von der Vergütung, die einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistungserbringer geschuldet wird, vorzunehmen hat ‐ Keine solche Verpflichtung bei einem gebietsansässigen Dienstleistungserbringer“
In der Rechtssache C-498/10
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) mit Entscheidung vom 24. September 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Oktober 2010, in dem Verfahren
X NV
gegen
Staatssecretaris van Financiën
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Richters A. Tizzano in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer sowie der Richter A. Borg Barthet, E. Levits (Berichterstatter), J.-J. Kasel und M. Safjan,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. November 2011,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der X NV, vertreten durch F. A. Engelen und S. C. W. Douma, belastingadviseurs,
‐ der niederländischen Regierung, vertreten durch B. Koopman und C. Wissels als Bevollmächtigte,
‐ der belgischen Regierung, vertreten durch J.-C. Halleux und M. Jacobs als Bevollmächtigte,
‐ der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,
‐ der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und N. Rouam als Bevollmächtigte,
‐ der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Fiorentino, avvocato dello Stato,
‐ der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk und S. Johannesson als Bevollmächtigte,
‐ der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch L. Seeboruth als Bevollmächtigten,
‐ der Europäische Kommission, vertreten durch R. Lyal und W. Roels als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 21. Dezember 2011
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 56 AEUV.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der X NV (im Folgenden: X), einem semiprofessionellen Fußballverein („betaaldvoetbalorganisatie“) mit Sitz in den Niederlanden, und dem Staatssecretaris van Financiën wegen des Quellensteuerabzugs ...