Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug, Ausschluss des Vorsteuerabzugs bei einer Umsatztätigkeit vor Registrierung des Unternehmers für Umsatzsteuerzwecke
Leitsatz (amtlich)
Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass sie dem entgegensteht, dass ein Mehrwertsteuerpflichtiger, der nach den Bestimmungen dieser Richtlinie die materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt und sich innerhalb einer angemessenen Frist nach der Bewirkung der das Recht auf Vorsteuerabzug begründenden Umsätze als mehrwertsteuerpflichtig registrieren lässt, an der Ausübung seines Abzugsrechts durch nationale Rechtsvorschriften gehindert wird, die den Abzug der beim Erwerb von Gegenständen entrichteten Mehrwertsteuer verbieten, wenn sich der Steuerpflichtige nicht als mehrwertsteuerpflichtig hat registrieren lassen, bevor er diese Gegenstände für seine steuerpflichtige Tätigkeit verwendet hat.
Normenkette
EGRL 112/2006
Beteiligte
Nidera Handelscompagnie BV |
Valstybinė mokesčių inspekcija prie Lietuvos Respublikos finansų ministerijos |
Verfahrensgang
Mokestiniu Gincu Komisija (Litauen) (Urteil vom 21.09.2009; Abl.EU 2009, Nr. C 312/77) |
Tatbestand
„Richtlinie 2006/112/EG ‐ Recht auf Vorsteuerabzug ‐ Nationale Regelung, die das Recht auf Vorsteuerabzug für Gegenstände ausschließt, die vor der Mehrwertsteuerregistrierung des Steuerpflichtigen weiterveräußert wurden“
In der Rechtssache C-385/09
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Mokestinių ginčų komisija prie Lietuvos Respublikos vyriausybės (Litauen) mit Entscheidung vom 21. September 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 29. September 2009, in dem Verfahren
Nidera Handelscompagnie BV
gegen
Valstybinė mokesčių inspekcija prie Lietuvos Respublikos finansų ministerijos
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts (Berichterstatter), des Richters D. Šváby, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász und J. Malenovský,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. Juli 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Nidera Handelscompagnie BV, vertreten durch I. Misiūnas,
‐ der litauischen Regierung, vertreten durch R. Mackevičienė als Bevollmächtigte,
‐ der Europäische Kommission, vertreten durch A. Steiblytė und M. Afonso als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Nidera Handelscompagnie BV (im Folgenden: Nidera) und der Valstybinė mokesčių inspekcija prie Lietuvos Respublikos finansų ministerijos (Staatliche Steuerinspektion beim Finanzministerium der Republik Litauen) über das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer, die auf Gegenstände entrichtet wurde, die in Litauen erworben und in Drittländer ausgeführt wurden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 lautet:
„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbständig ausübt.
Als‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“
Rz. 4
Art. 167 dieser Richtlinie bestimmt:
„Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.“
Rz. 5
In Art. 168 der Richtlinie heißt es:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
a) die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;
…“
Rz. 6
Art. 178 der Richtlinie bestimmt:
„Um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, muss der Steuerpflichtige folgende Bedingungen erfüllen:
a) für den Vorsteuerabzug nach Artikel 168 Buchstabe a in Bezug auf die Lieferungen von Gegenständen und das Erbringen von Dienstleistungen muss er eine gemäß den Artikeln 220 bis 236 sowie 238, 239 und 240 ausgestellte Rechnung besitzen;
…“
Rz. 7
In Art. 213 der Richtlinie heißt es:
„(1) Jeder Steuerpflichtige hat die Aufnahme, den Wechs...