Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung eines Übernahmerechts an einem Grundstück bei der Erbschaftsteuer
Leitsatz (redaktionell)
1. Räumt der Erblasser einem Miterben das Übernahmerecht an einem Grundstück zu einem Übernahmepreis ohne vollen Wertausgleich ein, stellt dies ein Vorausvermächtnis dar (§ 2150 BGB).
2. Die Frage, ob bei der Zuweisung eines bestimmten Nachlassgegenstandes an einen einzelnen Miterben eine bloße (erbschaftsteuerrechtlich unbeachtliche) Teilungsanordnung (§ 2048 BGB) oder ein (beim Bedachten bei der Ermittlung des erbschaftsteuerpflichtigen Erwerbs gesondert anzusetzendes) Vorausvermächtnis (§ 2150 BGB) vorliegt, ist auch im Erbschaftsteuer-Festsetzungsverfahren nach den von der Zivilrechtsprechung entwickelten Grundsätzen zu entscheiden.
3. Zur Annahme eines Vorausvermächtnisses genügt nicht ein bloßer objektiver Vermögensvorteil. Die Absicht des Erblassers, einen der Miterben durch die Zuweisung eines Nachlassgegenstandes zu begünstigen, ist der gewichtigste Anhaltspunkt für ein Vorausvermächtnis.
4. Ein Anspruch gegen die Erbengemeinschaft entsteht erst mit der Ausübung des Übernahmerechts innerhalb der gesetzten Frist und zwar mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Erbfalles. Infolge der Rückwirkung entsteht auch die Steuer für den Vermächnisanfall nicht erst mit dem Eintritt der rechtsgeschäftlichen aufschiebenden Bedingung (infolge der Ausführung des Übernahmerechts), sondern bereits mit dem Todestag des Erblassers.
5. Mit der Ausübung des Übernahmerechts begründet der Miterbe die Verpflichtung der Erbengemeinschaft zur Übertragung des Grundstücks. Ein (gegenseitiger) Vertrag kommt dadurch nicht zustande. Es liegt auch kein Vertrag besonderer Art i.S. von § 305 BGB vor.
6. Der Anspruch des Miterben auf Übereignung des Grundstücks nach Ausübung des Übernahmerecht ist mit dem Einheitswert zu bewerten.
7. Die entsprechende Verpflichtung der Erbengemeinschaft zur Übertragung des Grundstücks ist bei der Ermittlung des erbschaftsteuerrechtlichen Werts des jeweiligen Erbteils der Miterben als Nachlassverbindlichkeit ebenfalls nur mit dem Einheitswert anzusetzen.
8. Das dem Erbschaftsteuerrecht innewohnende Bereicherungsprinzip gebietet den Abzug des (den Wert des Grundstücksvermächtnisses mindernden) Übernahmepreises. Es handelt sich um Kosten, die dem Miterben unmittelbar in Zusammenhang mit der Erlangung des Erwerbs entstanden sind (§ 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG 1974). In entsprechender Weise ist der auf den Miterben entfallende Anteil am Übernahmepreis erbschaftsteuererhöhend zu berücksichtigen.
Normenkette
ErbStG 1974 § 12 Abs. 1-2, § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1, 5 Nr. 3; ErbStG § 9 Abs. 1 Nr. 1; BewG §§ 9, 12; BGB §§ 2150, 2048, 2174, 305
Nachgehend
Tatbestand
Am 26. Februar 1995 verstarb der am 5. Mai 1913 geborene und zuletzt in ... ... wohnhaft gewesene Fliesenleger ... (im folgenden: der Erblasser). Die Ehefrau des Erblassers ist am 19. Januar 1995 verstorben. Die Verstorbenen lebten aufgrund des mit dem Erbvertrag vom 15. Juni 1952 verbundenen Ehevertrages im Güterstand der Gütergemeinschaft (Bl. 14 und 15 der ErbSt-Akten).
Erben zu je 1/4 Anteil am Nachlaß des Erblassers wurden die Kinder der Verstorbenen, die am 24. Februar 1939 geborene ... (die Beigeladene zu 1.), der am 8. Juli 1943 geborene Fliesenlegermeister ... (der Kläger -Kl-), der am 8. Juli 1943 geborene FIiesenlegermeister (... er Beigeladene zu 2.) und die am 30. Mai 1949 geborene... [die Beigeladene zu 3; Hinweis auf § 2 des am 9. Mai 1983 notariell errichteten Testaments]. Diese haben die Erbschaft nach ihrem Vater angenommen. Die Miterben des Kl wurden mit Beschluß vom 14. Oktober 1999 9 K 249/97 zum vorliegenden Klageverfahren notwendig beigeladen.
Im übrigen trafen die Eltern (im Streitpunkt des vorliegenden Verfahrens) folgende letztwillige Verfügungen im Testament vom 9. Mai 1983 (wörtlich wiedergegeben):
„§ 3
Der Überlebende von uns räumt unseren beiden Söhnen
- Herrn ..., Fliesenlegermeister in ...
Herrn ..., Fliesenlegermeister in ...
– je zur unabgeteilten Hälfte –
im Wege des Vermächtnisses und Vorausvermächtnisses das Recht ein, das im Grundbuch von ... eingetragene Grundstück der Gemarkung ... Wohnhaus und Betriebsgebäude, Betriebsgebäude 31 a 16 qm um 80% (achtzig vom Hundert) des Verkehrswerts zu übernehmen.
Falls sich die Erben über den Verkehrswert nicht selbst gütlich einigen können, ist der vom zuständigen Gutachterausschuß auf den Zeitpunkt des Todes des Überlebenden zu schätzende Verkehrswert maßgebend. 80% dieses Schätzwertes sind dann der Übernahmepreis. Jeder Erbe hat das Recht, nach dem Tode des Oberlebenden die amtliche Schätzung durch den Gutachterausschuß zu beantragen. Die Schätzungskosten fallen dem Nachlaß zur Last.
Die Kosten, welche durch den Vollzug des Vermächtnisses beim Notariat und Grundbuchamt entstehen, haben die beiden Bedachten je zur Hälfte zu tragen.
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Etwa beim Erbfall auf dem vermachten Grundbesitz vorhandene dingl...