Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug bei Vermietung eines gemischt genutzten Gebäudes. Verzicht auf die Steuerbefreiung von Vermietungsumsätzen. umfassende Sanierung eines Altbaus als Errichtung eines Neubaus i. S. v. § 27 Abs. 2 Nr. 3 UStG
Leitsatz (redaktionell)
1. Für vermietete Altbauten, die vor dem 11.11.1993 errichtet worden sind, ist der Verzicht auf die Steuerbefreiung der Vermietungsumsätze nach § 9 Abs. 2 UStG a. F. (also ohne das Erfordernis der Verwendung des Objekts durch den Mieter für ausschließlich steuerpflichtige Umsätze) ohne jede zeitliche Beschränkung möglich.
2. Zur Annahme einer Fertigstellung nach dem 1.1.1998 und eines Errichtungsbeginns nach dem 10.11.1993 i. S. v. § 27 Abs. 2 Nr. 3 UStG genügt es nicht, wenn an einem Altbau nach dem 10.11.1993 Baumaßnahmen durchgeführt werden, welche nach bilanz- und ertragsteuerlichen Grundsätzen nachträgliche Herstellungskosten darstellen, sondern es muss der qualifizierte Fall von Herstellungskosten vorliegen, welche einem Neubau gleichkommen.
3. Der grundlegende Umbau eines Altbaus steht dann der Errichtung eines (neuen) Gebäudes gleich, wenn die neu eingefügten Gebäudeteile dem Gesamtgebäude das bautechnische Gepräge eines neuen Gebäudes geben. Das ist nicht der Fall, wenn wesentliche Elemente wie z. B. Fundamente, tragende Außen- und Innenwände, Geschossdecken und die Dachkonstruktion erhalten bleiben. Auch ein Wechsel zwischen Wohn- und Gewerbenutzung stellt für sich genommen keine solche wesentliche Änderung dar.
4. Das FA trägt die Feststellungslast für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Wertung des Umbaus eines Altbaus als Neubau i. S. v. § 27 Abs. 2 UStG.
Normenkette
UStG § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 9 Abs. 2, § 27 Abs. 2 Nr. 3; HGB § 255 Abs. 2
Tenor
Der Umsatzsteuerbescheid 2007 vom 29.08.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.06.2015 wird dahingehend geändert, dass die Umsatzsteuer 2007 um 24.145,46 EUR niedriger festgesetzt wird.
Der Umsatzsteuerbescheid 2008 vom 29.08.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.06.2015 wird dahingehend geändert, dass die Umsatzsteuer 2008 um 31.877,70 EUR niedriger festgesetzt wird.
Der Umsatzsteuerbescheid 2009 vom 29.08.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.06.2015 wird dahingehend geändert, dass die Umsatzsteuer 2009 um 21.993,15 EUR niedriger festgesetzt wird.
Der Umsatzsteuerbescheid 2011 vom 03.06.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.06.2015 wird dahingehend geändert, dass die Umsatzsteuer 2011 um 2.777,93 EUR niedriger festgesetzt wird.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Streitig ist die Vorsteueraufteilung bei einer teils umsatzsteuerpflichtig und teils umsatzsteuerfrei vermieteten Immobilie bei der Umsatzsteuer 2007 bis 2009 und 2011 (die Klage betreffend das Jahr 2010 wurde zwischenzeitlich zurückgenommen und das Verfahren insoweit abgetrennt und eingestellt). Es geht um die Frage, ob die Klägerin für eine an die B. GmbH für deren umsatzsteuerfreien unternehmerischen Zwecke vermietete Teilfläche zu Recht zur Steuerpflicht optiert hat, was wiederum davon abhängt, ob umfangreiche Bauarbeiten an dem streitgegenständlichen Bestandsgebäude dem Objekt den Charakter eines Neubaus i. S. d. § 27 Abs. 2 Umsatzsteuergesetz – UStG – gegeben haben.
Das im Eigentum der Klägerin stehende Streitobjekt ist in der C.-Str. in D. belegen. Es handelt sich um einen im Jahr 1895 fertiggestellten klassizistischen Jugendstilbau, bestehend aus einem unmittelbar an die Straßenfront angrenzenden kleineren Vorderhaus (Nr. …) mit einer Gesamtnutzfläche von 771,93 m² und einem dahinterliegenden Gartenhaus mit einem Haupt- und zwei Seitenflügeln (Nr. …) und einer Gesamtnutzfläche von 2.509,58 m². Außerdem befindet sich auf dem Grundstück noch eine Remise mit zwei zu Wohnzwecken vermieteten Einheiten zu je 56,87 m². Die Klägerin erwarb das Objekt mit Lastenwechsel zum 31.12.1996 mit Gebäudeanschaffungskosten i. H. v. 1.460.807,80 EUR (vgl. Einspruchsentscheidung vom 29.06.2015, Bl. 55 Gerichtsakte – GA –). In 2001 wurde der Denkmalbereich „E.”, zu dem das Objekt gehört, unter Ensembleschutz gestellt (vgl. Ordnungsbehördliche Verordnung vom 17.05.2001, Bl. 147ff. GA). Das Gartenhaus wurde zunächst allein zu Wohnzwecken vermietet. Aufgrund einer am 15.08.2002 beantragten (Bl. 330ff. GA) und am 27.04.2004 erteilten Baugenehmigung (Bl. 333ff. GA) führte die Klägerin ab 2005 eine umfassende Sanierung des Objekts durch. Die bisherigen Wohnungen des Gartenhauses wurden zu Gewerbeeinheiten umgestaltet Die Baumaßnahmen umfassten Heizungs-, Elektro-, Sanitär-, Fenster-, Dach-, Wärmedämm...