rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug bei vollständigem Verlust sämtlicher Eingangsrechnungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Sind sämtliche Buchführungsunterlagen auf einem Kleinlaster gelagert worden, ist dieser gestohlen worden und ist deshalb die Vorlage der Originalunterlagen unmöglich geworden, sind die gesetzlichen Voraussetzungen zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen erfüllt (hier: Schätzung der abziehbaren Vorsteuerbeträge mit 60 % der voranmeldeten Vorsteuerbeträge).
2. Voraussetzung für den Vorsteuerabzug ist das Vorhandensein einer Rechnung i. S. d. § 14 UStG; das Fehlen der Rechnung kann nicht durch eine Schätzung behoben werden. Vorsteuerbeträge können jedoch auch ohne Rechnung berücksichtigt werden, wenn mit ausreichender Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass dem Steuerpflichtigen ursprünglich ordnungsgemäße Rechnungen vorgelegen haben.
3. Zwar kann der Steuerpflichtige den Nachweis des Leistungseingangs nicht allein durch Vorlage der Originalrechnung, sondern mit allen verfahrensrechtlich zulässigen Mitteln führen. Entscheidend ist jedoch, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG einschließlich des ursprünglichen Rechnungsbesitzes des Unternehmers zur Überzeugung des Gerichts vorgelegen haben.
4. Bei Verlust der Eingangsrechnungen muss der Unternehmer die einzelnen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs darlegen und hierfür Beweis anbieten; insbesondere muss vorgetragen werden, für welche konkrete Leistung und welchen Entgeltbetrag der Vorsteuerabzug beantragt wird. Dieser Nachweis wird nicht durch den Beweisantrag erbracht, verschiedene Zeugen zu der Frage zu vernehmen, dass ausschließlich ordnungsgemäße, zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnungen verbucht wurden, wenn zugleich jedoch eingeräumt wird, dass den benannten Zeugen die einzelnen Rechnungen nicht mehr erinnerlich sind.
Normenkette
AO § 162 Abs. 1-2; UStG § 15 Abs. 1 Nr. 1; AO § 14
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit der nach einer Außenprüfung ergangenen Umsatzsteueränderungsbescheide 1998 bis 2001 vom 21. Juni 2007.
Der Kläger war alleiniger Gesellschafter der … GmbH (GmbH 1). Bei dieser hatte Anfang 1999 eine Betriebsprüfung für die Jahre 1994 bis 1997 stattgefunden. Dabei wurde festgestellt, dass zwischen dem Kläger als Organträger und der GmbH 1 als Organgesellschaft seit 1996 eine umsatzsteuerliche Organschaft bestand. In Tz. 21 des Betriebsprüfungsberichts betreffend die Betriebsprüfung bei der GmbH 1 führte das FA aus, dass die Umsätze des Organkreises durch den Kläger als Organträger zu erklären seien und er ab dem 1. Januar 1999 eingereichte Voranmeldungen zu berichtigen habe. Sodann führte das FA im Bp-Bericht aus, dass aus verwaltungstechnischen Gründen die eingereichten Erklärungen bezüglich der Organschaft nicht geändert würden.
Im Mai 2003 erließ der Beklagte (das Finanzamt – FA –) gegen den Kläger eine Prüfungsanordnung wegen Umsatzsteuer, Gewerbesteuer und Feststellung des Gewinns für die Jahre 1998 bis 2001. Der Prüfer bat den Kläger im Sommer 2003 erfolglos um Vorlage der für die Prüfung notwendigen Unterlagen. Der Kläger beantragte wiederholt die Verschiebung des Prüfungsbeginns. Parallel hierzu beschloss die Gesellschafterversammlung im August 2003 die Umfirmierung der GmbH 1 in C. GmbH. Im Jahre 2004 veräußerte diese im Rahmen eines Unternehmenskaufvertrages das gesamte Anlage- und Umlaufvermögen an die neu gegründete D. GmbH, die im Dezember 2004 umfirmierte in … GmbH (GmbH 2).
Im Sommer 2004 teilte der Kläger dem Prüfer mit, dass ihm die Vorlage der erbetenen Unterlagen inzwischen unmöglich geworden sei. Zur Begründung führte er aus, im Zuge des Verkaufs sei das bestehende „Miet- und Pachtverhältnis” zwischen ihm, dem Kläger, und der GmbH 1 einvernehmlich aufgehoben worden. Das Anlage- und Umlaufvermögen habe die GmbH 2 übernommen. Alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer der GmbH 2 sei M. S. gewesen. Nach der Veräußerung des Anlage- und Umlaufvermögens sei für die GmbH 1 die Liquidation eingeleitet und beim Handelsregister angemeldet worden. Die gesamten Buchführungsunterlagen der GmbH 1 hätten nunmehr vom Betriebsgelände entfernt werden müssen. Er habe daher die Unterlagen und die EDV-Anlage, auf der die Buchhaltung gespeichert war, auf einen Kleinlaster geladen und auf diesem bereitgehalten, als der Kleinlaster am 23. Juni 2004 entwendet worden sei. Die nicht für die Betriebsprüfung benötigten Unterlagen habe er zwecks Einlagerung nach O. verbringen wollen.
Nach der Beschaffung vereinzelter Belegzweitschriften erfolgte die Prüfung zwischen Januar 2006 und April 2007. Aufgrund des Prüfungsberichts vom 23. Mai 2007 ergingen am 21. Juni 2007 die streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide. Mangels Unterlagen hatte das FA über die durch Zweitschriften nachgewiesenen Vorsteuern hinaus 60 % d...