Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablaufhemmung bei der sog. „gestuften” Selbstanzeige im Falle einer substantiiert begründeten Schätzung der Besteuerungsgrundlagen aufgeschlüsselt nach Veranlagungszeiträumen
Leitsatz (redaktionell)
- Eine Selbstanzeige nach § 371 AO kann auch für solche Veranlagungszeiträume und Steuerarten erstattet werden und die Ablaufhemmung der Festsetzungsverjährung nach § 171 Abs. 9 AO auslösen, für die bereits Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist.
- Eine wirksame Selbstanzeige muss das Berichtigungserfordernis in einer Weise erfüllen, die den ursprünglichen Anforderungen in Bezug auf die – ggf. nach bestem Wissen und Gewissen substantiiert zu schätzenden – Angaben in den Steuererklärungen entspricht. Eine freie oder griffweise Schätzung reicht hierfür aber nicht aus.
- Eine „gestufte” Selbstanzeige, also eine Berichtigungserklärung, die aus mehreren, zeitlich auseinanderliegenden Erklärungen besteht, kann erst ab dem Zeitpunkt die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 9 AO auslösen, zu dem das Berichtigungserfordernis „der Höhe nach” erfüllt wird.
Normenkette
AO § 169 Abs. 1 S. 1, § 171 Abs. 9, § 371 Abs. 1
Streitjahr(e)
1987
Nachgehend
Tatbestand
Unstreitig ist, dass die auf 10 Jahre verlängerten Festsetzungsfristen für die Einkommensteuer, die Umsatzsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag 1987 (Streitjahr) regulär zum 31. Dezember 1998 abgelaufen wären. Streitig ist, ob in Bezug auf die Einkommensteuer und Umsatzsteuer eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 der Abgabenordnung (AO) und in Bezug auf den Gewerbesteuermessbetrag eine Ablaufhemmung nach § 35b Abs. 1 Satz 3 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) i.V. mit § 171 Abs. 10 AO eingetreten ist. Streitig ist insbesondere, ob mit Schreiben vom 6. November 1998 beim Beklagten (das Finanzamt – FA –) eine Anzeige nach § 371 AO für das Streitjahr erstattet worden ist.
Der Kläger, der als Metzgermeister Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielte, wurde vom FA für das Streitjahr mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Einkommensteuererklärung der Eheleute ging – ebenso wie die Umsatzsteuer- und die Gewerbesteuererklärung des Klägers – am 10. November 1988 beim FA ein. Das FA setzte die Einkommensteuer, Umsatzsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag jeweils erklärungsgemäß fest. Dabei wurden u.a. Einkünfte aus Gewerbebetrieb (= Gewinn aus Gewerbebetrieb) von 92.674 DM, Einkünfte aus Kapitalvermögen von je 0 DM (erklärte Einnahmen des Klägers 7 DM und der Ehefrau 33 DM) und steuerpflichtige Umsätze von insgesamt 477.314 DM angesetzt.
Am 6. November 1998 ging beim FA ein vom Prozessbevollmächtigten des Klägers, Steuerberater (StB) B, gefertigtes Schreiben vom selben Tage ein, das im Betreff als „strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO” der Eheleute überschrieben war. Das Schreiben lautete wie folgt:
„... namens und im Auftrage meiner Mandanten erkläre ich, dass sie hinsichtlich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb und aus Kapitalvermögen unrichtige bzw. unvollständige Angaben in ihren Einkommensteuer-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuererklärungen über die Höhe der tatsächlichen Einnahmen gemacht haben und auch der Verpflichtung zur Abgabe der Vermögensteuererklärungen nicht nachgekommen sind. Die Steuererklärungen für das Jahr 1986 wurden Ihnen am 5.10.1987 (Veranlagung ebenfalls 1987) eingereicht. Festsetzungsverjährung ist deshalb für die Veranlagungen ab 1987 noch nicht eingetreten.
Leider kann ich Ihnen wegen fehlender Unterlagen keine genauen Angaben über die nicht erklärten Einnahmen machen, sondern diese bis zur Vorlage der in Luxemburg angeforderten Kontoauszüge und Bestätigungen über laufende Einzahlungen, jährliche Kontenstände und Zinsgutschriften nach Angaben meiner Mandanten nur schätzen. Danach dürften die Guthaben in Luxemburg derzeit insgesamt 1,5 Mio. DM ausmachen, wurden neben ordnungsgemäß versteuerten Beträgen jährlich ca. DM 80.000,-- nicht versteuerte Einnahmen aus Gewerbebetrieb dort eingezahlt, und wurden die gutgeschriebenen Zinsen zur Aufstockung der Guthaben verwendet. In den strafrechtlich relevanten Jahren (die Veranlagungen für das Jahr 1990 wurden im März bzw. Juni 1992 durchgeführt; die Veranlagungen für 1991 im Mai 1994) dürften die jährlichen Zinsen bis DM 130.000,-- betragen haben.
Ich bitte Sie, mir eine angemessene Frist für die Angabe von konkreten Zahlen bzw. für eine ggf. erforderliche abschließende Schätzung der Zahlen zu gewähren und mir dabei den Eingang dieses Schreiben zu bestätigen.”
Das FA bestätigte mit Schreiben vom 13. November 1998 den Eingang der Selbstanzeige. Es bat (ohne Angabe bestimmter Jahre) mit Frist 31. Dezember 1998, die „konkreten Beträge und die entsprechenden Nachweise beizubringen”. Sollte dies nicht möglich sein, werde um eine „vorläufige Schätzung der Besteuerungsgrundlagen” gebeten.
StB B teilte dem FA hierzu mit Schreiben vom 6. Januar 1999 mit, es sei ihm leider bisher nicht möglich gewesen, „konkrete Beträge zu nennen bzw. vorl...