Entscheidungsstichwort (Thema)

EuGH-Vorlage: Zinsen auf erstattete Sanktion und verzögert ausbezahlte Ausfuhrerstattungen

 

Leitsatz (amtlich)

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Auslegung von Handlungen der Organe der Union im Wege der Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Besteht die unionsrechtliche Pflicht der Mitgliedstaaten, unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobene Abgaben zuzüglich Zinsen zu erstatten, auch in Fällen, in denen der Grund für die Erstattung nicht ein vom Gerichtshof der Europäischen Union festgestellter Verstoß der Rechtsgrundlage gegen das Unionsrecht, sondern eine vom Gerichtshof getroffene Auslegung einer (Unter-)Position der Kombinierten Nomenklatur ist?

2. Sind die Grundsätze des vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten unionsrechtlichen Zinsanspruchs auch auf die Zahlung von Ausfuhrerstattungen, die die mitgliedstaatliche Behörde unter Verstoß gegen das Unionsrecht verweigert hat, übertragbar?

Tenor:

I. Das Verfahren wird bis zur Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgesetzt.

II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Auslegung von Handlungen der Organe der Union im Wege der Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Besteht die unionsrechtliche Pflicht der Mitgliedstaaten, unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobene Abgaben zuzüglich Zinsen zu erstatten, auch in Fällen, in denen der Grund für die Erstattung nicht ein vom Gerichtshof der Europäischen Union festgestellter Verstoß der Rechtsgrundlage gegen das Unionsrecht, sondern eine vom Gerichtshof getroffene Auslegung einer (Unter-)Position der Kombinierten Nomenklatur ist?

2. Sind die Grundsätze des vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten unionsrechtlichen Zinsanspruchs auch auf die Zahlung von Ausfuhrerstattungen, die die mitgliedstaatliche Behörde unter Verstoß gegen das Unionsrecht verweigert hat, übertragbar?

 

Normenkette

AO § 236; MOG § 14; EUVO-800/1999 Art. 49, 51

 

Nachgehend

EuGH (Urteil vom 28.04.2022; Aktenzeichen C-415/20, C-419/20, C-427/20)

EuGH (Urteil vom 28.04.2022; Aktenzeichen C-415/20)

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Zinsen für zu Unrecht nicht gewährte Ausfuhrerstattungen sowie zu Unrecht festgesetzte Sanktionen.

Die Klägerin führte Geflügelschlachtkörper in Drittländer aus. Im Zeitraum zwischen Januar und Juni 2012 versagte das beklagte Hauptzollamt der Klägerin für die ausgeführten Waren die Gewährung von Ausfuhrerstattungen unter Hinweis darauf, dass die ausgeführten Erzeugnisse nicht von handelsüblicher Qualität seien, weil die Geflügelschlachtkörper nicht vollständig gerupft gewesen seien bzw. zu viele Innereien aufgewiesen hätten (vgl. zu den Einzelheiten u.a. FG Hamburg, Urteile vom 18.02.2014, 4 K 18/12 bzw. 4 K 264/11), und setzte gegenüber der Klägerin zudem eine Sanktion mit der Begründung fest, dass sie eine höhere als ihr zustehende Ausfuhrerstattung beantragt habe.

Nachdem das Finanzgericht Hamburg auf der Grundlage der eingeholten Vorabentscheidungsersuchen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 24.11.2011 (verbundene Rechtssachen C-323/10 bis C-326/10) entschieden hatte, dass das Vorhandensein von wenigen Federn nicht erstattungsschädlich sei (FG Hamburg, Urteile vom 18.02.2014, 4 K 18/12 bzw. 4 K 264/11) bzw. dass dem Schlachtkörper insgesamt bis zu vier der dort bezeichneten Innereien beigelegt sein dürften, half das beklagte Hauptzollamt den Einsprüchen der Klägerin in der Weise ab, dass die beantragten Ausfuhrerstattungen gewährt und die festgesetzten Sanktionen erstattet wurden.

Mit Schreiben vom 16.04.2015 beantragte die Klägerin beim beklagten Hauptzollamt für die in der Vergangenheit zu Unrecht nicht gewährten Ausfuhrerstattungen und die zu Unrecht festgesetzten Sanktionen die Gewährung von Zinsen für den Zeitraum der vorenthaltenen Erstattungen bzw. festgesetzten Sanktionen, was das beklagte Hauptzollamt mit Bescheid vom 22.07.2015 ablehnte. Ihren hiergegen gerichteten Einspruch wies das beklagte Hauptzollamt mit Einspruchsentscheidung vom 18.04.2018 zurück.

Mit ihrer am 23.05.2018 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren fort. Sie meint, ihr Anspruch auf Zahlung von Zinsen folge unmittelbar aus dem Unionsrecht. So bestehe nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ein allgemeiner unionsrechtlicher Anspruch auf Herausgabe zu Unrecht erlangter Bereicherungen, der sich nicht nur auf die zu Unrecht vereinnahmten bzw. zu Unrecht ausbezahlten Beträge selbst beziehe, sondern auch die Erstattung von Einbußen aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit der betreffenden Kapitalsumme in Form von Zinsen umfasse. Dass eine derartige unionsrechtliche Pflicht zur Zahlung von Zinsen auf jegliche Beträge bestehe, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben worden seien, selbst wenn keine entsprechende Anspruchsgrundlage in den nationalen Gesetzen existiere, habe der Gerichtshof der Europäischen Union für eine Vielzahl von verschiedenen Steuern und Abgaben festgestellt. Der Gerichtshof der E...

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