Entscheidungsstichwort (Thema)

Änderungsmöglichkeiten bei einem bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid, wenn Kindergeld berücksichtigt wurde, obwohl kein Kindergeld bezahlt worden ist

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 31 Satz 5 EStG findet erst ab dem Veranlagungszeitraum 2019 Anwendung, weil es keine Regelung in § 52 EStG gibt, dass § 31 Satz 5 EStG bereits auf alle Anträge anzuwenden ist, die nach dem 18. Juli 2019 eingegangen sind.

2. Eine frühere Anwendbarkeit ergibt sich nicht auf Grund einer verfassungskonformen Auslegung.

 

Normenkette

EStG §§ 31, 32 Abs. 6, § 52 Abs. 50, §§ 62, 70 Abs. 1 S. 2; AO § 175

 

Tatbestand

Die Kläger begehren mit ihrer Klage die Änderung der Einkommensteuerbescheide 2015 bis 2018 gemäß § 175 der Abgabenordnung (AO), weil in den Bescheiden Kindergeld für zwei Kinder angerechnet wurde, obwohl den Klägern kein Kindergeld gezahlt wurde.

Die Kläger haben zwei Kinder, diese wurden am ... 2006 und am ... 2000 geboren. Im Klageverfahren streitig ist nur die Berücksichtigung des Kindergeldes für den in 2000 geborenen Sohn.

In ihren Einkommensteuererklärungen erklärten die Kläger einen Anspruch auf Kindergeld für jeweils zwei Kinder zu haben, für das Jahr 2015 jeweils in Höhe von 2.256 €, für 2016 in Höhe von jeweils 2.280 €, 2017 in Höhe von jeweils 2.304 € und 2018 in Höhe von 2.328 €.

Im Rahmen der Einkommensteuerbescheide 2015 bis 2018 wurden jeweils zwei Kinderfreibeträge berücksichtigt. Außerdem wurde im Rahmen der Berechnung der Steuern das Kindergeld für zwei Kinder hinzugerechnet. Die Einkommensteuerbescheide 2015 vom 6. September 2016, für 2016 vom 27. Dezember 2017 und für 2018 vom 16. Dezember 2019 ergingen jeweils ohne Vorbehalt der Nachprüfung. Der Einkommensteuerbescheid 2017 vom 3. Dezember 2018 erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde mit Bescheid vom 16. Dezember 2019 aufgehoben.

In den Streitjahren haben die Kläger für ihre beiden Kinder kein Kindergeld erhalten, weil sie keinen Antrag auf Kindergeld gestellt hatten. Die Kläger haben erstmalig am 6. September 2019 für ihren Sohn Kindergeld beantragt.

Mit Bescheid vom 26. September 2019 setzte die Familienkasse Nord für den Sohn der Kläger Kindergeld ab dem Monat März 2019 fest. In der Begründung teilte die Familienkasse mit, dass auf Grund der gesetzlichen Änderung nach § 70 Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) Anträge, die nach dem 18. Juli 2019 eingehen, unabhängig vom festgesetzten Zeitraum rückwirkend nur noch zu einer Nachzahlung für die letzten sechs Kalendermonate vor dem Eingang des Antrags bei der Familienkasse führen könnten. Der Anspruch auf Kindergeld nach § 62 EStG bleibe von dieser Auszahlungsbeschränkung unberührt.

Am 12. November 2020 beantragten die Kläger die Änderung der ESt-Bescheide 2015 bis 2018 gemäß § 175 AO. Der Beklagte lehnte diese Änderung mit Bescheid vom 1. März 2021 ab. Die Kläger legten am 9. März 2021 Einspruch ein, welcher durch Einspruchsentscheidung vom 5. Mai 2021 als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Hiergegen haben die Kläger am 8. Juni 2021 Klage erhoben.

Mit Bescheid vom 29. Dezember 2021 setzte die Familienkasse Nord das Kindergeld für den Sohn der Kläger von Januar 2015 bis Februar 2019 fest und teilte mit, dass die Kindergeldansprüche vor Januar 2015 verjährt seien. Auf § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG wurde bezüglich der nicht möglichen Auszahlung hingewiesen.

Zur Begründung ihrer Klage tragen die Kläger vor, dass in den streitbefangenen Einkommensteuerbescheiden zu Unrecht davon ausgegangen worden sei, dass sie, die Kläger, Kindergeld erhalten hätten.

Die Voraussetzungen für eine Änderung der Einkommensteuerbescheide 2015 bis 2018 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO seien gegeben.

Im Jahr 2019 sei in § 31 EStG ein neuer Satz 5 ergänzt worden. Danach sei Kindergeld im Rahmen der Günstigerprüfung nicht hinzuzurechnen, wenn ein Kindergeldbescheid vorliege, der den Anspruch auf Kindergeld festsetze, die Auszahlung jedoch gemäß § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG versagt werde. Entscheidend sei damit nur noch, ob das Kindergeld ausgezahlt worden sei. Für den Sohn sei das Kindergeld in den Jahren 2015 bis 2018 nicht ausgezahlt worden. Dies ergebe sich bereits eindeutig aus dem Bescheid der Familienkasse Nord vom 26. September 2019.

§ 31 Satz 5 EStG gelte nicht erst ab dem Veranlagungszeitraum 2019, denn die Regelung beziehe sich auf den neu gefassten § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG und diese Vorschrift gelte gemäß § 52 Abs. 50 Satz 1 EStG für alle Anträge, die nach dem 18. Juli 2019 eingegangen seien. Die Regelung in § 52 Abs. 50 Satz 1 EStG gelte auch für den § 31 Satz 5 EStG, denn die beiden Vorschriften, § 31 Satz 5 EStG und§ 70 Abs. 1 Satz 2 EStG seien als Einheit zu betrachten, da die eine Vorschrift zu Lasten des Steuerpflichtigen und die andere zu seinen Gunsten wirke.

§ 31 Satz 5 EStG beziehe sich konkret auf die Vorlage eines Kindergeldbescheides. Dieser sei bindend für die Günstigerprüfung und damit für die Festsetzung der Einkommensteuer. Der Kindergeldbescheid stelle ein...

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