Entscheidungsstichwort (Thema)
"cum/ex-Verfahren": Mehrfache Erstattung von nur einmal gezahlter Kapitalertragsteuer ausgeschlossen"
Leitsatz (redaktionell)
1) Die Erstattung von Kapitalertragsteuer gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG setzt voraus, dass der Kläger der Gläubiger der Kapitalerträge ist und die Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt wurde.
2) Gläubiger der Kapitalerträge ist der zivilrechtliche Eigentümer oder der wirtschaftliche Eigentümer der Wertpapiere.
3) Bei außerbörslichen Aktiengeschäften geht das wirtschaftliche Eigentum an den Aktien erst im Zeitpunkt der Belieferung auf den Aktienkäufer über. Die zum Inhaberkauf ergangene Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 15. Dezember 1999 – I R 29/97), wonach für über die Börse abgeschlossene Aktiengeschäfte der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums aufgrund der Börsenusancen bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des schuldrechtlichen Aktienkaufvertrages erfolgt, betrifft nur Verkäufe über die Börse durch einen privaten Bestandsverkäufer. Sie ist nicht auf außerbörsliche, sog. over-the-counter (OTC) Geschäfte übertragbar. Denn zwischen dem börslichen und dem außerbörslichen (OTC-)Handel bestehen derartige Unterschiede, dass eine Übertragung der Grundsätze zum börslichen Handel nicht gerechtfertigt ist. Die Börsenmechanismen, die dem börslichen Handel anhaften und die der BFH seinem Urteil vom 15. Dezember 1999 (I R 29/97, BStBl II 2000, 527) zugrunde gelegt hat, gelten nicht gleichermaßen im außerbörslichen (OTC-)Handel. Weder aus dem BFH-Urteil vom 16. April 2014 (I R 2/12) noch aus der Gesetzesbegründung zum Jahressteuergesetz 2007 (BT-Drucks. 16/2712) ist etwas anderes abzuleiten.
4) 4. Ungeachtet dessen hat der BFH in seinem Urteil vom 16. April 2014 (I R 2/12, BFH/NV 2014, 1813) jedenfalls herausgestellt, dass – unabhängig von der Frage, ob bei außerbörslichen Geschäften grundsätzlich bereits mit Vertragsschluss wirtschaftliches Eigentum erworben werden kann – das für die Zuweisung wirtschaftlichen Eigentums maßgebende „Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall” (z. B. BFH-Urteil vom 5.10.2011 - IX R 57/10, BStBl. II 2012, 318) dazu führt, dass jedenfalls ein modellhaft aufgelegtes Gesamtvertragskonzept dem Erwerb von wirtschaftlichem Eigentum vor dem Dividendenstichtag – mit Blick auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG oder zu einem späteren Zeitpunkt mit Blick auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 i.V. m. Satz 4 EStG – von vornherein entgegensteht. Ein solches den Erwerb von wirtschaftlichem Eigentum jedenfalls hinderndes Gesamtvertragskonzept liegt etwa vor, wenn die Wertpapiererwerbe im untrennbaren Zusammenhang mit Finanzierungs-, Wertpapierleih- und (Total-Return-) Swapgeschäften sowie einem kurzfristigen Rückverkauf stehen, denn dann ist eine nennenswerte Inanspruchnahme der mit dem Innehaben der Wertpapiere verbundenen Rechte durch den Erwerber ausgeschlossen und es liegt ein bloßer Durchgangsverkehr vor (vgl. BFH-Urteil vom 16. April 2014 - I R 2/12, BFH/NV 2014, 1813).
5) Auch bei börslichen Geschäften über den zentralen Kontrahenten (Central Counterparty, CCP) erfolgt ein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums nicht bereits mit Abschluss der schuldrechtlichen Verträge. Da der Zentrale Kontrahent über keinen eigenen Aktienbestand verfügt, ist er im Zeitpunkt des Vertragsschlusses stets Leerverkäufer. Deshalb geht das wirtschaftliche Eigentum erst im Zeitpunkt der Lieferung der Aktien über.
6) Ist der Verkäufer im Zeitpunkt des Kaufabschlusses nicht selbst Inhaber der verkauften Wertpapiere (sog. Leerverkäufer), kann der (Leer-)Käufer mit Abschluss des schuldrechtlichen Aktienkaufvertrages nicht das wirtschaftliche Eigentum erwerben. Es ist nicht denkbar, dass der Leerkäufer den Aktieninhaber als zivilrechtlichen Eigentümer dauerhaft von einer Einwirkung auf die Aktien ausschließt, denn der Leerkäufer steht in keinerlei vertraglicher oder sonstiger Beziehung zum Anteilseigner und hat demzufolge auch keinerlei Möglichkeit den Anteilseigner von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut auszuschließen. Der Leerverkäufer hat bei Kaufabschluss kein wirtschaftliches Eigentum an den Aktien, das auf den Käufer übergehen könnte. Dem steht das BFH-Urteil vom 15. Dezember 1999 (I R 29/97) nicht entgegen, da dieses einen Inhaberverkauf und nicht einen Leerverkauf betraf. Auch der Gesetzesbegründung zum JStG 2007 ist im Ergebnis nichts anderes zu entnehmen.
7) Paralleles mehrfaches wirtschaftliches Eigentum, also eine Vervielfältigung des wirtschaftlichen Eigentums an der gleichen Aktie, ist nicht möglich. Dies würde sowohl dem inneren System des Zivilrechts als auch dem des Steuerrechts, sowie dem Wortlaut des § 39 AO widersprechen. Weder das BFH-Urteil vom 16. April 2014 (I R 2/12) noch die Gesetzesbegründung zum Jahressteuergesetz 2007 stehen dem entgegen.
8) Ungeachtet dessen, dass nach Überzeugung des Senats Aktienerwerbe über den Zentralen Kontrahenten an der Börse Erwerbe vom Leerverkäufer darstellen, ist im Streitfall zudem nicht ausz...