Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellungsverfahren, Absehen wegen geringer Bedeutung
Leitsatz (redaktionell)
1) Eine gesonderte und einheitliche Einkünftefeststellung hat wegen geringer Bedeutung i.S.v. § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO zu unterbleiben, wenn die Einkünfte aufgrund einvernehmlicher Schätzung feststehen und deren Aufteilung problemlos und unstreitig ist.
2) Zur Beurteilung, ob ein Feststellungsbescheid erforderlich ist und deshalb ergehen darf und muss, sind wie für alle Verwaltungsakte die Umstände maßgeblich, die zum Zeitpunkt des Erlasses (oder der Entscheidung, vom Erlass abzusehen), erkennbar sind.
Normenkette
AO § 180 Abs. 3 S. 1 Nr. 2
Nachgehend
Tatbestand
Die Kläger sind Geschwister. Sie unterhielten seit 1984 Gemeinschaftskonten bei der A Bank AG (in B, Lichtenstein) und erzielten erhebliche Zinseinkünfte, die sie nicht erklärten. Am 30.10.2008 erstatteten sie hierüber eine Selbstanzeige. In der nachfolgenden Steuerfahndungsprüfung kam es zu einer einvernehmlichen Schätzung der Zinseinnahmen für 1996 i.H.v. 140.000 DM sowie der Werbungskosten i.H.v. 7.000 DM. Dies wurde im Bericht der Steuerprüfung vom 18.8.2009 festgehalten.
Daraufhin änderte der Beklagte mit Bescheid vom 17.9.2009 für das Streitjahr die Einkommensteuer entsprechend der einvernehmlichen Schätzung der Zinseinkünfte. Auch für die Folgejahre erfolgten entsprechende Änderungen. Auf den Einspruch der Kläger wurde der Bescheid für das Streitjahr 1996 aufgehoben. Am 30.10.2009 erließ der Beklagte einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Zinseinkünfte der Kläger entsprechend der einvernehmlichen Schätzung im Steuerfahndungsprüfungsverfahren und eine hälftige Aufteilung. Auf dieser Grundlage ergingen erneute Einkommensteuerbescheide.
Gegen den Feststellungsbescheid erhoben die Kläger am 23.12.2009 Einspruch, über den der Beklagte am 23.4.2010 abschlägig entschied: Für die Feststellung sei Verjährung noch nicht eingetreten, da die Kläger für das Streitjahr keine Feststellungserklärung abgegeben hätten und die Verjährungsfrist deshalb erst mit Ablauf des dritten Jahres nach Ablauf des Jahres begonnen habe, das auf das Jahr der Entstehung der Steuer folgte, also mit Ablauf des Jahres 2000. Die Feststellung sei unstrittig erforderlich, nur aus technischen Gründen sei sie erst am 30.10.2009 zustande gekommen. Die Aufhebung der Einkommensteuerbescheide vom 17.9.2009 sei nur zur Behebung des Verfahrensmangels erfolgt.
Hiergegen richtet sich die Klage vom 19.5.2010. Die Kläger tragen vor, ein Feststellungsbescheid sei nicht gerechtfertigt, da es sich um einen Fall geringer Bedeutung im Sinne von § 180 Abs. 3 Nr. 2 AO handele. Zudem hätten die Kläger aufgrund der Einkommensteuerbescheide vom 17.9.2009 darauf vertraut, dass der Beklagte auf eine Feststellung verzichte und der Steueranspruch deshalb verjährt sei. Dies Vertrauen verdiene Schutz.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 1996 vom 30.10.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.4.2010 aufzuheben und dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Zulassung der Revision.
Er macht geltend, es liege kein Fall geringer Bedeutung vor. Maßgeblich sei nicht der einzelne Veranlagungszeitraum, sondern der „Steuerfall” insgesamt, der sich vorliegend über etliche Jahre erstrecke, von denen mehrere noch im Streit stünden. Zudem dürfe auch für das Streitjahr nicht auf den Zeitpunkt nach Abschluss der Steuerfahndungsprüfung abgestellt werden. Maßgeblich sei vielmehr der Beginn und der Verlauf der Prüfung, worin große Unklarheit geherrscht habe, bis es schließlich zu der einvernehmlichen Schätzung gekommen sei. Der Verzicht auf eine Feststellung in derartigen Fällen wäre auch unpraktikabel, insbesondere wenn, anders als bei Eheleuten, verschiedene Veranlagungsbezirke im Finanzamt zuständig seien. Vertrauensschutz zu Gunsten der Kläger komme nicht in Betracht. Der Erlass der ursprünglichen Einkommensteuerbescheide habe auf einem technischen Versehen beruht. Die Feststellung sei als Grundlage für die Besteuerung von vornherein beabsichtigt gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Die angefochtenen Feststellungsbescheide sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO).
I. Die Feststellung hätte nicht ergehen dürfen. Gegenstand sind zwar Einkünfte, an denen mehrere Personen, nämlich die Kläger, beteiligt sind (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO), jedoch gilt die letztere Vorschrift nicht, wenn es sich um einen Fall geringer Bedeutung im Sinne von § 180 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 AO handelt. Dies ist vorliegend der Fall.
§ 180 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 AO nennt selbst den entscheidenden Gesichtspunkt zur Beurteilung eines Falles als von „geringer Bedeutung”: Er liegt insbesondere dann vor, wenn Höhe un...