Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzweigung von Kindergeld an den Sozialleistungsträger, der Leistungen der Grundsicherung und Eingliederungshilfe an das im Haushalt des Kindergeldberechtigten lebende behinderte Kind erbringt. einstweiliger Rechtsschutz gegen die Ablehnung durch einstweilige Anordnung. Streitwert
Leitsatz (redaktionell)
1. Ablehnungsbescheide, die sich in einer Negation erschöpfen (hier die Ablehnung der beantragten Abzweigung von Kindergeld), bedürfen keiner Vollziehung; ihre Vollziehung kann deshalb auch nicht ausgesetzt werden. Der Zulässigkeit eines gegen einen solchen Bescheid gerichteten Antrags auf einstweilige Anordnung steht § 114 Abs. 5 FGO nicht entgegen.
2. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung bei einer Ermessensentscheidung ist, dass für eine dem Antragsteller günstige Ermessenentscheidung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht.
3. Entstehen dem Kindergeldberechtigten Aufwendungen für das volljährige behinderte Kind mindestens in Höhe des Kindergeldes, kommt eine Abzweigung an den Sozialleistungsträger, der Leistungen der Grundsicherung und Eingliederungshilfe an das behinderte Kind erbringt, nicht in Betracht.
4. Die in R 33a Abs. 1 S. 5 EStG zum Ausdrck kommende Wertung, wonach regelmäßig davon ausgegangen werden kann, dass dem Steuerpflichtigen, der selbst keine Sozialleistungen bezieht, für das in seinem Haushalt lebende behinderte Kind Unterhaltsaufwendungen in Höhe des maßgeblichen Höchstbetrages erwachsen, lässt sich auf 74 Abs. 1 EStG übertragen.
5. Es ist sachgerecht, den Streitwert im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mit 1/3 des im Hauptsachverfahren anzusetzenden Streitwertes (dort Jahresbetrag des Kindergeldes) anzusetzen, wenn der Antragsteller mit seinem Antrag auf einstweilige Anordnung dem unwiederbringlichen Untergang eines aus seiner Sicht bestehenden Anspruchs aus § 74 Abs. 1 EStG begegnen will; § 52 Abs. 4 GKG findet in einem solchen Fall keine Anwendung.
Normenkette
EStG § 74 Abs. 1 S. 4, § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3; EStR R 33a Abs. 1 S. 5; AO § 5; SGB XII § 42; FGO § 114 Abs. 1, 3, 5, § 69; GKG § 52 Abs. 4
Nachgehend
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 736,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.)
Der Antragsteller begehrt, dass die Antragsgegnerin die Auszahlung des Kindergeldes an den Kindergeldberechtigten bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren über die Abzweigung des Kindergeldes vorläufig einstellt.
Der Antragsteller ist nach § 10 Abs. 1 des Gesetzes zur Neuordnung der Landkreise und kreisfreien Städte des Landes Mecklenburg-Vorpommern – LNOG MV – Gesamtrechtsnachfolger des Landkreises … und gewährt I. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – SGB XII – in Höhe von derzeit 302,68 EUR. Hierbei berücksichtigt er neben dem Regelbedarf nach § 42 Nr. 1 SGB XII (291,00 EUR) abzüglich eines Anteils für Mittagessen in der Werkstatt, in der I. beschäftigt ist (19,41 EUR), einen Mehrbedarf wegen Erwerbsminderung nach § 42 Nr. 2 SGB XII (49,47 EUR). Den sich hiernach ergebenden Grundbedarf (321,06 EUR) kürzt er um I.'s Werkstatteinkommen (104,68 EUR) abzüglich eines Freibetrages nach § 82 Abs. 3 Satz 2 SGB XII (60,30 EUR) und des Arbeitsförderungsgeldes (26,00 EUR) um 18,38 EUR. Einen Bedarf für Unterkunft hat der Antragsteller nicht berücksichtigt. Außerdem zahlt der Antragsteller für I. nach Lage der Akten Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII in Verbindung mit § 41 SGB IX in Höhe von monatlich 1.031,91 EUR an die Werkstätten für behinderte Menschen in Z.
I. ist schwerbehindert (GdB 100 %, Merkzeichen G). Sie lebt im Haushalt ihres Vaters B. J., der zugleich ihr Betreuer ist und für sie Kindergeld bezieht. B. J. leistet für seine Tochter einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von monatlich 30,80 EUR.
Mit Scheiben vom 12. Juli 2010 beantragte der Landkreis …, das gegenüber dem Kindergeldberechtigten festgesetzte Kindergeld an ihn abzuzweigen. Mit Bescheid vom 04. August 2010 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag nach Anhörung des Kindergeldberechtigten ab. Dieser hatte der Antragsgegnerin zuvor mit Schreiben vom 20. Juli 2010 mitgeteilt, dass I. in seinem Einfamilienhaus ein eigenes Zimmer bewohne, er für seine Tochter regelmäßig einkaufe (u. a. Verpflegung, Kosmetik- und Hygieneartikel sowie Kleidung) und ihr den Besuch kultureller Einrichtungen ermögliche. Sie arbeite in einer Behindertenwerkstatt; demzufolge bekomme sie von ihm auch ein kleines Taschengeld. Damit er für sie immer erreichbar sei, habe sie zudem ein Handy mit einer Telefonkarte. Sie müsse ein solches auch wegen ihrer epileptischen Anfälle haben. Näher bezifferte B. J. diese Ausgaben seinerzeit nicht.
Gegen den ablehnenden Bescheid wandte der Landkreis … sich form- und fristgerecht mit seinem Einspruch vom 12. August 2010. Hie...