Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung der Vollziehung in Sachen. Kraftfahrzeugsteuer
Tenor
1. Die Vollziehung des Kraftfahrzeugsteuer-Änderungsbescheides vom 13. Dezember 1995 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. Mai 1996 wird für die Dauer der Rechtshängigkeit der Hauptsacheklage beim Finanzgericht München in Höhe von 3.670 DM ab Fälligkeit aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt das Finanzamt.
3. Der Streitwert wird auf 367 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Streitig ist im Hauptsacheverfahren 4 K 2397/96 die kraftfahrzeugsteuerliche Einstufung eines Kraftfahrzeugs ab dem 29. November 1993 und ob das Finanzamt zu einer Änderung der bisherigen Einstufung als Lkw nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) berechtigt war.
Wegen des Sachverhalts im einzelnen wird auf die Einspruchsentscheidung (EE) vom 15. Mai 1996, die Akten und die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
Der Antragsteller (ASt) beantragt sinngemäß die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Kraftfahrzeugsteuer(KraftSt)-Änderungsbescheids vom 13. Dezember 1995 in Höhe von 3.760 DM wegen ernstlicher Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit.
Der Antragsgegner (Finanzamt –FA–) beantragt die Ablehnung des Antrags. Der Antrag sei bereits unzulässig, da er bisher nicht über den bei ihm mit Schreiben vom 23. Januar 1996 gestellten Antrag entschieden habe.
Entscheidungsgründe
II.
1. Der Antrag ist zulässig. Gemäß § 69 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 FGO ist der unmittelbar bei Gericht gestellte Antrag auf AdV zulässig, wenn die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat (der Umstand, daß laut FA keine Vollstreckung droht, ist nur für die Nr. 2 von Bedeutung). Das FA hat im vorliegenden Fall über sieben Monate lang nicht (ohne einen Grund dafür dem ASt mitzuteilen) über dessen Antrag auf AdV entschieden, obwohl es bereits am 15. Mai 1996 über den Einspruch entschieden hat. Damit ist nach Auffassung des Senats die Ausnahmevorschrift der Nr. 1 erfüllt (s. Tipke-Kruse, Finanzgerichtsordnung –FGO–, 16. Auflage § 69 Tz. 19). Wegen der zwischenzeitlich erfolgten Tilgung der Steuer durch Lastschrifteinzug am 4. Juni 1996 ist der Antrag als Antrag auf Aufhebung der Vollziehung auszulegen.
2. Der Antrag ist begründet, da bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen und auch ausreichenden summarischen Beurteilung des Sachverhalts anhand der präsenten Beweismittel neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe vorliegen, die eine Unentschiedenheit oder Unsicherheit in rechtlicher oder Unklarheit in tatsächlicher Hinsicht bewirken (§ 69 Abs. 3 und Abs. 2 FGO; Bundesfinanzhof-BFH-Beschlüsse vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BStBl III 1967, 182 und vom 5. März 1979 GrS 5/77, BStBl II 1979, 570).
a) Das FA hat zwar zu Recht das streitbefangene Fahrzeug kraftfahrzeugsteuerrechtlich als Pkw behandelt. Es fehlt am äußeren Erscheinungsbild eines Lkw. Der Senat verweist insoweit auf seine Rechtsausführungen im Urteil vom 19. Juli 1995 (Az.: 4 K 2575/95, abgedruckt in EFG 1995, Heft 24 S. 1122).
b) Die Änderung der bisher als Lkw vorgenommenen Besteuerung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ist jedoch im vorliegenden Fall ausgeschlossen, weil es an der Rechtserheblichkeit der für die Änderung geltend gemachten neuen Tatsachen fehlt.
Nach den im Anschluß an die zu § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ergangene Entscheidung des Großen Senats vom 23. November 1987 (GrS 1/86, BStBl II 1988, 180) erlassenen BFH-Urteile vom 15. Januar 1991 IX R 238/87, BStBl II 1991, 741 und vom 14. Dezember 1994 XI R 80/92, BStBl II 1995, 294 zu § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ist eine Tatsache nur rechtserheblich, wenn das FA auch bei Kenntnis der Tatsache schon damals bei Erlaß des Erstbescheids mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu keiner anderen Entscheidung gekommen wäre. Wie das FA damals gehandelt hätte, ist laut BFH-Rechtsprechung aufgrund der Rechtsprechung und der bindenden Verwaltungsanweisungen zum damaligen Zeitpunkt zu beurteilen (s. BFH, BStBl II 1991, 741). Anweisungen, solche Fahrzeuge, (von der Zulassungsstelle (ZulSt) als Lkw eingestuft, nach äußeren Erscheinungsbild und Herstellerkonzeption jedoch Pkw) nicht als Lkw anzuerkennen, bestanden nicht. Mangels entsprechender Rechtsprechung kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, daß das FA mit Sicherheit bereits damals die dem Sachverhalt entsprechende zutreffende Entscheidung getroffen hätte (s. BStBl II 1988, 182).
Aufgrund zwischenzeitlich erlangter Kenntnisse in anderen vergleichbaren Fällen hält der Senat deshalb an seiner bisherigen Rechtsauffassung (s. z. B. Urteil vom 19. Juli 1995 4 K 1586/94, EFG 1995, 1124), wonach seit jeher das äußere Erscheinungsbild und die Herstellerkonzeption für die Finanzämter rechtserheblich gewesen wären, nicht mehr fest. Bis zum Erlaß der Oberfinanzdirektion-OFD-Verfügung vom 29. November 1993 S 6104-8/4-St 351 war für die Finanzämter grundsätzlich die Feststellung der Fahr...