Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in versäumte Klagefrist
Leitsatz (redaktionell)
Eine Ersatzzustellung ist auch außerhalb der Öffnungs- und Bürozeiten der Geschäftsräume des Prozessbevollmächtigen zulässig.
Eine außergerichtliche Vollmacht besteht bis zur Übersendung der Einspruchsentscheidung an den Vollmachtgeber fort.
Liegt hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunkts für den Beginn der Klagefrist eine unklare Absprache bzw. ein mangelhafter Informationsaustausch zwischen Bevollmächtigtem und Vertretenem vor, wird dies Letzterem als verschuldet zugerechnet.
Normenkette
AO § 80 Abs. 1 S. 2, § 110 Abs. 1 S. 2; FGO § 47 Abs. 1, §§ 54, 56; ZPO § 85 Abs. 2, § 178 Abs. 1 Nr. 2, §§ 180, 222 Abs. 1
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist hat.
Der Beklagte (das Hauptzollamt – HZA) forderte mit Einfuhrabgabenbescheid vom 22. Februar 2006 von der Klägerin Einfuhrabgaben (Zoll und Einfuhrumsatzsteuer) in Höhe von insgesamt 3.413,26 EUR an, weil sie nach den Feststellungen der Zollfahndung in 77 Fällen eingeschmuggelten Kaviar über eBay versteigert und verkauft habe.
Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das HZA mit Einspruchsentscheidung vom 11. Mai 2007 als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidung wurde dem im Einspruchsverfahren Bevollmächtigten der Klägerin (vgl. außergerichtliche Vollmacht für Rechtsanwalt B vom 27. Februar 2006) lt. Postzustellungsurkunde am Freitag, den 18. Mai 2007 um 19.19 Uhr durch Einlegung in den zu dessen Geschäftsräumen gehörenden Briefkasten zugestellt. Die hiergegen mit Schriftsatz vom 16. Juni 2007 (von der Post am 18.6.2007 – 21 Uhr – abgestempelt) erhobene Klage ging am Mittwoch, den 20. Juni 2007 bei Gericht ein.
Nachdem das HZA in seiner Klageerwiderung vom 28. Juni 2007 – der Klägerin durch Schreiben des Gerichts vom 13. Juli 2007 zur Kenntnis gegeben – darauf hingewiesen hatte, dass die Einspruchsentscheidung am 18. Mai 2007 zugestellt worden und die Klage somit verfristet sei, stellte die Klägerin mit Schreiben vom 17. Juli 2007 Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Zur Begründung trägt sie vor, dass sie sich in der Zeit vom 27. Mai bis zum 16. Juni 2007 im Urlaub befunden habe. Bei der Rückkehr habe sie in ihrem Briefkasten ein Schreiben von Rechtsanwalt B mit der Einspruchsentscheidung vorgefunden, auf deren Seite 1 sich der Stempel „eingegangen 21. Mai 2007/RA B” befinde. Weiter habe Rechtsanwalt B geschrieben, dass er gehalten sei, bei einer Weiterverfolgung eine Klage bis spätestens 18. Juni 2007 „auszubringen”. Sie habe deshalb, zusammen mit ihrem Ehemann, die Klageschrift noch am 16. Juni 2007 gefertigt und am darauf folgenden Tag, Sonntag den 17. Juni 2007, in den nächsten Briefkasten eingeworfen. Damit sei nach ihrem Verständnis die Klage, wie von Rechtsanwalt B mitgeteilt, rechtzeitig „ausgebracht” worden. Hinsichtlich des tatsächlichen Zustellungszeitpunkts und des dementsprechend zu berechnenden Fristablaufs habe sie sich schuldlos im Irrtum befunden. Wegen des auf der Einspruchsentscheidung angebrachten Eingangsstempels habe sie nicht ahnen können, dass zwischen rechtswirksamer postalischer Zustellung und gestempeltem Eingang drei Tage Unterschied bestanden haben.
Die Klägerin beantragt, ihr Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist zu gewähren und den Einfuhrabgabenbescheid vom 22. Februar 2006 sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das HZA beantragt, die Klage als unzulässig, hilfsweise als unbegründet abzuweisen.
Es bringt im Wesentlichen Folgendes vor:
Die Klägerin habe sich nicht schuldlos im Irrtum über das Ende der Klagefrist befunden. Ihre durch den Urlaub bedingte Abwesenheit sei nicht ursächlich dafür gewesen, dass sie daran gehindert worden ist, die Klageschrift rechtzeitig dem Finanzgericht zuzustellen. Dies beruhe vielmehr auf einem Abstimmungsproblem zwischen ihr und ihrem Rechtsanwalt. Dies rechtfertige aber keinesfalls die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die HZA-Akten sowie die im Verfahren gewechselten Schriftsätze hingewiesen.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung – FGO).
Entscheidungsgründe
II.
Der Klage ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Klagefrist erhoben worden ist.
1. Die Frist zur Klageerhebung beträgt gem. § 47 Abs. 1 FGO einen Monat. Sie beginnt mit der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung zu laufen.
Vorliegend ist die Einspruchsentscheidung dem im Einspruchsverfahren Bevollmächtigten der Klägerin (Rechtsanwalt B) lt. Postzustellungsurkunde am Freitag, den 18. Mai 2007 um 19.19 Uhr gem. § 122 Abs. 5 Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) und § 180 Zivilprozessordnung (ZPO) durch Einlegen in zu dessen Geschäftsräumen gehörendem Briefkasten zugestell...