Entscheidungsstichwort (Thema)
Familienbetrachtung i.S. des Art. 60 VO (EG) Nr. 987/2009 im Rahmen des § 64 Abs. 2 EStG nicht zulässig
Leitsatz (redaktionell)
1) Anspruchsberechtigt i.S. des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG können nur solche Personen sein, die selbst die Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 62 Abs. 1 EStG erfüllen.
2) Die Fiktion eines inländischen Kindergeldanspruchs des im EU-Ausland wohnhaften Berechtigten über die Verfahrensvorschrift des Art. 60 VO (EG) Nr. 987/2009, wonach im Rahmen einer sog. Familienbetrachtung unterstellt werden könne, dass alle Personen einer Familie unter die Rechtsvorschriften des anspruchsgewährenden Mitgliedsstaats fallen und dort wohnen, ist nicht zulässig.
Normenkette
EStG §§ 63-64; VO (EG) Nr. 987/2009 Art. 60; EStG § 62
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob dem inländischen Kindergeldanspruch des Klägers vergleichbare ausländische Kindergeldansprüche der Kindesmutter entgegengehalten werden können.
Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und wohnhaft in K-Stadt/Inland. Ende des Jahres 2005 schloss er die Ehe mit Frau M., die ungarische Staatsangehörige ist. Aus der Ehe ging die im Februar 2006 geborene Tochter L. hervor.
Der Kläger bezog für L. bis Januar 2011 inländisches Kindergeld in jeweils gesetzlicher Höhe, zuletzt monatlich in Höhe von EUR 184. Er war bis Ende September 2010 nichtselbständig erwerbstätig und bezog danach bis Ende September 2011 aufgrund der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses Arbeitslosengeld I nach § 117 Drittes Buch des Sozialgesetzbuches (SGB III).
Auf entsprechende Nachfrage der beklagten Familienkasse im Januar 2011 teilte der Kläger mit, L. lebe seit dem 01.07.2010 mit seiner Ehefrau in Ungarn, da deren Mutter krank sei. Das inländische Kindergeld sei neben weiteren Unterstützungsleistungen an die Ehefrau nach Ungarn überwiesen worden. Im April 2011 führte der Kläger aus, eine Rückkehr der Ehefrau und des Kindes nach Deutschland sei „zur Zeit” nicht geplant.
Das Einwohnermeldeamt der Stadt N-Stadt teilte auf Nachfrage im März 2011 mit, L. sei bereits am 01.02.2009 nach Ungarn abgemeldet worden. Dagegen führten die ungarischen Behörden im April 2011 aus, die Ehefrau des Klägers lebe erst seit dem 01.07.2010 mit L. in Ungarn; sie habe die Zahlung von ungarischem Kindergeld ab 01.01.2011 beantragt.
Im weiteren Verlauf des Verfahrens hob die Familienkasse mit Bescheid vom 02.05.2011 die Festsetzung des Kindergeldes für L. rückwirkend für den Zeitraum von Februar 2009 bis Januar 2011 nach § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf und forderte zugleich das für den vorgenannten Zeitraum überzahlte Kindergeld in Höhe von EUR 4.196 zurück (§ 37 Abs. 2 der Abgabenordnung – AO –).
Im anschließenden Einspruchsverfahren sprachen der Kläger und seine Ehefrau im Juni 2011 gemeinsam bei der Familienkasse vor und erklärten, sie lebten nicht dauernd voneinander getrennt, sondern seien im Hinblick auf die Pflegebedürftigkeit der Mutter nur voneinander räumlich getrennt. Die Ehefrau sei erstmals im Juli 2010 nach Ungarn gereist. Sie sei seit Anfang September 2011 in Ungarn nichtselbständig erwerbstätig.
Mit Bescheid vom 27.12.2011 half die Familienkasse dem Einspruch insoweit ab, als sie die Aufhebung und Rückforderung des Kindergeldes für den Zeitraum Februar 2009 bis April 2010 nunmehr auf monatlich EUR 92 begrenzte und daher den gesamten Rückforderungsanspruch auf EUR 3.036 herabsetzte (Halbteilungsgrundsatz). In der kurze Zeit später am 03.01.2012 folgenden Einspruchsentscheidung, mit der der Einspruch im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen wurde, führte die Familienkasse im Wesentlichen aus:
Zwar habe der Kläger nach innerstaatlichen Vorschriften einen Anspruch auf inländisches Kindergeld für seine Tochter L.. Allerdings bestehe auch in Ungarn ein vergleichbarer Anspruch. Zur Vermeidung von Doppelbegünstigungen sei bis zum 30.04.2010 nach der bis zu jenem Zeitpunkt geltenden Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 sowie der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung (EWG) Nr. 574/72 im Inland die Hälfte des gesetzlichen Kindergeldes, mithin monatlich EUR 92, zu zahlen. Für die Zeit ab 01.05.2010 stehe dem Kläger unter Geltung der neuen Verordnung (EG) Nr. 883/2004 und der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009 kein inländisches Kindergeld für L. mehr zu. Nach den Prioritätsregeln in Art. 67 und 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 sei vorrangig Ungarn zur Zahlung von Familienleistungen (Kindergeld) verpflichtet, da sich dort der Wohnort des Kindes befinde und zudem davon auszugehen sei, dass neben dem Kläger auch dessen Ehefrau in Ungarn einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei – und zwar bereits vor dem Jahr 2011. Diese Annahme sei deshalb gerechtfertigt, da die Ehefrau und L. ja „von irgendetwas gelebt haben müssen”. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 03.01.2012 Bezug genommen.
Nach Erlass der Einspruchsentscheidung erreichte die Familienkasse der v...