Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerfreiheit von Geldspielautomatenumsätzen, Emmott'sche Fristenhemmung; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Berufung auf das sog. "Emmott-Urteil" des EuGH bei Versäumung der Einspruchsfrist ist nicht möglich, denn der EuGH hat mehrfach klargestellt, dass der im Verfahren Emmott entwickelte Rechtsgrundsatz auf Fallkonstellationen der dort gegebenen Art beschränkt ist.
2. Ein bestandskräftiger Steuerbescheid ist - auch unter Berücksichtigung von Art. 10 EGV - nicht änderbar, wenn das nationale Recht hierfür, wie §§ 172 ff. AO, keine Rechtsgrundlage vorsieht.
Normenkette
EGV Art. 10; AO § 110 Abs. 3, § 355 Abs. 1
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist die Änderung bestandskräftiger USt-Festsetzungen aufgrund der EuGH-Entscheidung zur Steuerfreiheit von Geldspielautomatenumsätzen.
Die Klägerin, die in den Streitjahren unter dem Namen S Spielhallen GmbH und in der Folgezeit unter dem Namen G GmbH firmierte, betrieb eine Spielhalle und erzielte dabei u.a. Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit.
Der Beklagte erließ für die Streitjahre folgende USt-Bescheide (bei Erlass von mehreren Bescheiden für ein Streitjahr ist jeweils nur der zuletzt ergangene Bescheid aufgeführt), in denen die Einnahmen aus Geldspielgeräten mit Gewinnmöglichkeit der Umsatzsteuer unterworfen wurden:
Jahr |
Abgabe der USt-Erklärung |
Bescheid |
festgesetzte USt |
1986 |
06.04.1988 |
|
381,70 DM |
1987 |
? Feb./März 1989 |
|
13.580,34 DM |
1988 |
05.10.1989 |
|
18.024,20 DM |
1989 |
17.05.1991 |
|
19.910,30 DM |
(1990 – 1994 umsatzsteuerliche Organschaft mit der Klägerin als Organgesellschaft) |
1995 |
28.10.1996 |
18.11.1996 Zustimmung |
16.470,30 DM |
1996 |
07.10.1998 |
04.11.1998 |
18.615,00 DM |
1997 |
23.12.1998 |
|
17.107,97 DM |
insgesamt |
|
53.220,27 EUR = |
104.089,81 DM |
Die Festsetzungen wurden bestandskräftig.
Nach Ergehen des EuGH-Urteils vom 17. Februar 2005 (Rs. C-453/02 und Rs. C-462/02 – Linneweber und Akritidis –, BFH/NV Beilage 2005, 94) legte die Klägerin mit Schreiben vom 17. März 2005 gegen sämtliche seit Gewerbeaufnahme erlassenen USt-Festsetzungen Einspruch ein und beantragte, die Festsetzungen dahingehend zu ändern, dass Umsätze aus dem Betrieb von Glücksspielgeräten umsatzsteuerfrei zu belassen seien.
Zur Begründung führte sie aus, dass der Einspruch – unter Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 25. Juli 1991 Rs. C-208/90 – Emmott – (Slg. 1991, I-4269, HFR 1993, 137, UR 1993, 315) – zulässig sei, denn die Rechtsbehelfsfrist sei gehemmt, da Art. 13 Teil B Buchtst. f der 6. EG-RL nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt worden sei.
Bezüglich der Jahre 1986 bis 1997 verwarf der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 24. Juli 2007 den Einspruch unter Hinweis auf die BFH-Urteile vom 23. November 2006 (V R 51/05, BStBl II 2007, 433 und V R 67/05, BStBl II 2007, 436) als unzulässig.
Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Festsetzung der USt für die Streitjahre 1986 bis 1989 und 1995 bis 1997 unter Beachtung der USt-Freiheit für Einnahmen aus Glücksspielen. Zur Begründung wiederholt sie ihr Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren und regt an, das Verfahren dem EuGH gem. Art. 234 Abs. 3 EG vorzulegen, da die Frage zur Durchbrechung der Bestandskraft gemeinschaftsrechtswidriger Verwaltungsakte noch nicht erschöpfend geklärt sei.
Die Klägerin beantragt,
1.) die Sache dem EuGH vorzulegen,
2.) hilfsweise,
unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 24. Juli 2007 die angefochtenen USt-Festsetzungen 1986 bis 1989 und 1995 bis 1997 dahingehend zu ändern, dass die Umsätze aus Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit steuerfrei belassen und damit im Zusammenhang stehende Vorsteuern nicht berücksichtigt werden,
3.) hilfsweise für den Unterliegensfall,
die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
In der Sache ist am 13. August 2009 mündlich verhandelt worden. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
I. Die angefochtenen Bescheide sind nicht nichtig i.S.d. § 125 Abs. 1 AO. Ein Verwaltungsakt ist gemäß § 125 Abs. 1 AO nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Nach § 125 Abs. 2 AO ist ein Verwaltungsakt z.B. nichtig, der die erlassende Finanzbehörde nicht erkennen lässt, den aus tatsächlichen Gründen niemand befolgen kann, der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt oder der gegen die guten Sitten verstößt.
Von den in § 125 Abs. 2 AO genannten Fallgruppen ist im Streitfall keine einschlägig.
Ein Verstoß gegen materielles Steuerrecht begründet in der Regel keine Nichtigkeit (BFH-Beschluss vom 01.10.1981 IV B 13/81, BStBl II 1982, 133; Urteil vom 13.05.1987 II R 140/84, BStBl...