Entscheidungsstichwort (Thema)
Kartellverstoß, Geldbuße, Betriebsausgabe, Abschöpfung eines wirtschaftlichen Vorteils, Grundbetrag
Leitsatz (redaktionell)
1) Hat die Europäische Kommission die Berechnung einer Geldbuße wegen Kartellverstoßes nach Maßgabe der Bußgeldleitlinien auf den sog. Grundbetrag beschränkt, werden keine wirtschaftlichen Vorteile i.S.v. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbsatz 1 EStG abgeschöpft. Die Geldbuße beinhaltet dann keinen steuerlich abzugsfähigen Abschöpfungsanteil und unterliegt in vollem Umfang dem Betriebsausgaben-Abzugsverbot.
2) Der wirtschaftliche Vorteil, der durch eine Geldbuße abgeschöpft werden kann und vom Betriebsausgaben-Abzugsverbot nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbsatz 1 EStG nicht erfasst ist, ist eine Gewinn- und keine Umsatzgröße.
Normenkette
EGV 1/2003 Art. 23 Abs. 3; EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 8 S. 4; AEUV Art. 101 Abs. 1; EGV 1/2003 Art. 23 Abs. 2; EStG § 4 Abs. 4
Tatbestand
Die Klägerin begehrt den teilweisen Betriebsausgabenabzug für eine von der Europäischen Kommission (EK) gegen sie verhängte Kartellgeldbuße. Streitig ist dabei, ob und inwieweit mit der Kartellgeldbuße ein wirtschaftlicher Vorteil, der durch den Kartellrechtsverstoß erlangt worden sein soll, abgeschöpft worden ist (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbs. 1 des Einkommensteuergesetzes – EStG –).
Die Klägerin ist eine in Deutschland ansässige Personengesellschaft, die Produkt X vertreibt. Sie hat eine Schwestergesellschaft.
Die EK setzte gegen die Klägerin und weitere Unternehmen als Mitglieder eines im Unionsgebiet ansässigen Kartells mit Beschluss vom 23.6.2010 (K(2010) 4185, ABl. C 348 vom 29.11.2011, Seite 12) Geldbußen wegen eines Verstoßes gegen das Verbot von (horizontalen) Preisabsprachen in der Zeit von 1992 bis 2004 fest. Die von der EK festgestellten Preisabsprachen betrafen die Produktgruppen X, Y und Z. Die Klägerin sowie ihre Schwestergesellschaft betraf allerdings allein der Vorwurf der Preisabsprache bezüglich der Produktgruppe X.
Die Rechtsgrundlagen für den Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht fanden sich in Art. 101 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV; zuvor Art. 81 Abs. 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft) und Art. 53 Abs. 1 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abk). Die Festsetzung der Geldbußen beruhte auf Art. 23 Abs. 2 lit. a, Abs. 3 der Verordnung zur Durchführung der Wettbewerbsregeln (EGV 1/2003 des Rates vom 16.12.2002, Abl. L 1 vom 4.1.2003, Seite 1) und orientierte sich an den von der EK zur Bemessung der Geldbuße veröffentlichten Leitlinien (sog. Bußgeldleitlinien, Abl. C 210 vom 1.9.2006, Seite 2).
Die EK verhängte gegen die Klägerin eine Geldbuße in Höhe von yyy €. Diese ermittelte sie – entsprechend der in den Bußgeldleitlinien beschriebenen Vorgehensweise – in zwei Stufen. Auf der ersten Stufe berechnete die EK einen sog. Grundbetrag in Höhe von yyyyy €. Als Grundlage dienten dabei ein Anteil von 15 % des Umsatzes der Klägerin aus dem Vertrieb von „Produkt X” im Jahr 2003 sowie der Zeitraum, in dem sich die Klägerin an den Preisabsprachen beteiligt hatte. Der Anteil von 15 % richtete sich nach den Umständen des wettbewerbswidrigen Verhaltens (vgl. zur Ermittlung des Grundbetrages Rz. 1200, 1208, 1211 ff., 1220, 1223 (Tabelle D), 1225 f. des Beschlusses der EK vom 23.6.2010; Rz. 12 f., 20 ff., 25 der Bußgeldleitlinien).
Auf der zweiten Stufe minderte die EK in einem ersten Schritt den Grundbetrag für die Klägerin sowie für ihre Schwestergesellschaft auf insgesamt xyyyy €, um die nach Art. 23 Abs. 2 Satz 1 EGV 1/2003 vorgesehene rechtliche Obergrenze einzuhalten. Darüber hinaus minderte die EK in einem zweiten Schritt den verbleibenden Grundbetrag für die Klägerin und ihre Schwestergesellschaft auf insgesamt xxyyy €, damit die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der beiden Unternehmen nicht schwer geschädigt werde (vgl. zur Anpassung des Grundbetrages Rz. 1227-1257, 1259 f., 1262, 1264, 1347-1354 des Beschlusses der EK vom 23.6.2010; Rz. 27 ff., 35 der Bußgeldleitlinien).
Im Rahmen der Anpassung des Grundbetrages machte die EK von der nach Rz. 31 der Bußgeldleitlinien bestehenden Möglichkeit, den Grundbetrag zu erhöhen, um sicherzustellen, dass die Geldbuße die aus dem Wettbewerbsverstoß erzielten widerrechtlichen Gewinne übersteigt, keinen Gebrauch (vgl. Rz. 1260 des Beschlusses der EK vom 23.6.2010). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Beschlusses der EK vom 23.6.2010 Bezug genommen.
Die auf die Klägerin entfallende Geldbuße in Höhe von yyy € zahlte sie im Jahr 2010. In diesem Zusammenhang löste sie eine bereits in den Vorjahren gewinnmindernd gebildete Rückstellung von xx € gewinnneutral auf. Den darüber hinausgehenden Betrag der Geldbuße von yyy-xx € zuzüglich Beratungskosten von yy € erfasste sie im Jahr 2010 als Betriebsausgabe. Außerbilanziell kürzte die Klägerin den Betriebsausgabenabzug für die Geldbuße und die Beratungskosten um 40 %.
Im Rahmen einer bei der Klä...