Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerspruch gegen die Übertragung des Freibetrages für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes
Leitsatz (amtlich)
1. Geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden Eheleuten steht grundsätzlich jeweils der hälftige Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes zu.
2. Abweichend von der früheren Rechtslage kann ab dem Veranlagungszeitraum 2012 der Elternteil, bei dem das Kind nicht gemeldet ist, der beantragten Übertragung seines Freibetrags auf den anderen Elternteil widersprechen, wenn er - in nicht unwesentlichen Umfang - Kinderbetreuungskosten trägt oder das Kind betreut.
3. Bei der Frage, ob die Schwelle der Unwesentlichkeit überschritten ist, ist eine wertende Betrachtung vorzunehmen. Ein Erfordernis gleich hoher Betreuungsanteile der Eltern sieht das Gesetz ebenso wenig vor wie eine Untergrenze von 25 %.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 6 Sätze 1, 8-9
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob der Vater der von der Mutter beantragten Übertragung seines Freibetrages für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf der Kinder wirksam widersprochen hat.
Die Klägerin ist Lehrerin und die Mutter ihrer minderjährigen Söhne T (geb. 21.03.2002) und E (geb. 05.09.2003), die in ihrem Haushalt in M leben und dort gemeldet sind. Von dem in B wohnenden Kindesvater ist die Klägerin seit dem 21.10.2011 geschieden (Bl. 2 der Einkommensteuerakten - EStA -). Im Streitjahr 2013 stellte sie bezüglich beider Kinder den Antrag auf Gewährung des vollen Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf (Bl. 5 ff. EStA -), dem der Beklagte im Einkommensteuerbescheid für 2013 vom 11. September 2014 entsprach (Bl. 53 der Prozessakte - PA -: 2.640 € je Kind).
Aufgrund eines behördeninternen Datenabgleichs erfuhr der Beklagte, dass der Kindesvater im Rahmen seiner Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr der Nichtgewährung des auf ihn entfallenden Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf widersprochen hatte, da er - entsprechend einer seit März 2009 bestehenden Regelung mit der Klägerin - die beiden Kinder jedes zweite Wochenende und auch die Hälfte aller Schulferien betreue. Dies seien im Kalenderjahr 2013 insgesamt 107 Tage gewesen. Das Wohnsitzfinanzamt hatte daraufhin dem Einspruch des Kindesvaters abgeholfen (Bl. 18, 20 ff. EStA).
In dem gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheid der Klägerin für 2013 vom 4. Februar 2015 brachte der Beklagte nur noch 1.320 € je Kind von ihrem Einkommen zum Abzug. Die Übertragung des halben Freibetrages sei rückgängig zu machen, da der widersprechende Kindesvater die Kinder regelmäßig in einem nicht unwesentlichen Umfang betreue (Bl. 23 EStA).
Gegen diesen Änderungsbescheid legte die Klägerin am 24.02.2015 Einspruch ein und trug begründend vor (Bl. 25 EStA): Die Kinder hielten sich lediglich von Freitagnachmittag 15.00 Uhr bis Sonntag um 19.00 Uhr und die Hälfte der Ferien bei ihrem Vater auf. Dies entspreche - ausgehend von 2 Wochentagen - ungefähr 86 Tagen, also nicht einmal einem Viertel des Jahres. Es sei unangemessen, hierfür den hälftigen Freibetrag zu gewähren, zumal die Wochenend- und Feiertagsaufenthalte bei dem Kindesvater nicht mit dem Alltag der Kinder zu vergleichen seien, den sie - die Klägerin - allein zu bewältigen habe. Die gesamte Betreuung, Organisation und Unterstützung bei den Hausaufgaben, bei der Vorbereitung von Tests und Klassenarbeiten obliege ihr (Bl. 25, 28 f. EStA).
Den Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 3. Juni 2015 als unbegründet zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus (Bl. 31 f. EStA): Bei Elternteilen, die nicht die Voraussetzungen zur Zusammenveranlagung erfüllten, sei ab dem Veranlagungszeitraum 2012 die Übertragung des in Rede stehenden Freibetrages auf den beantragenden Elternteil, bei dem das minderjährige Kind gemeldet sei, nicht mehr möglich, wenn der andere Elternteil, bei dem das Kind nicht gemeldet sei, der Übertragung widerspreche, weil er Kinderbetreuungskosten trage oder das Kind regelmäßig in einem nicht unwesentlichen Umfang betreue (§ 32 Abs. 6 Sätze 8 und 9 EStG). Nach dem BMF-Schreiben vom 28. Juni 2013 (IV C 4 - S-2282a / 10 / 10002, BStBl I 2013, 845) sei eine Betreuung in diesem Sinne bei einem nicht nur gelegentlichen Umgang mit dem Kind anzunehmen, der erkennen lasse, dass der Elternteil die Betreuung mit einer gewissen Nachhaltigkeit wahrnehme, also fortdauernd und immer wieder in Kontakt zum Kind stehe. Demgegenüber liege bei lediglich kurzzeitigem, anlassbezogenem Kontakt, etwa zum Geburtstag, zu Weihnachten und zu Ostern, eine Betreuung in unwesentlichem Umfang vor. Von einem nicht unwesentlichen Umfang der Betreuung des Kindes sei typischerweise auszugehen, wenn eine gerichtliche oder außergerichtliche Vereinbarung über einen regelmäßigen Umgang an Wochenenden und in den Ferien vorgelegt wer...