Kinderbetreuung durch die Großeltern
Das FG Rheinland-Pfalz hat sich mit der Frage befasst, ob der Widerspruch gegen die Übertragung des Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsfreibetrags (BEA-Freibetrag) auch dann begründet sein kann, wenn sich im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung ergibt, dass sich das Kind in räumlicher Nähe zum widersprechenden Elternteil bei nahen Verwandten aufhält und eine Prüfung der Betreuungsleistungen wegen der polarisierten familiären Situation nicht bewerkstelligt werden kann.
Kinderfreibetrag und BEA-Freibetrag
Gemäß § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG wird bei der Veranlagung zur Einkommensteuer für jedes zu berücksichtigende Kind des Steuerpflichtigen (i. S. von § 32 Abs. 1 EStG) ein Freibetrag von 3.192 EUR für das sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfreibetrag) sowie ein Freibetrag von 1.464 EUR für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes vom Einkommen abgezogen.
Übertragung des BEA-Freibetrags
Bei minderjährigen Kindern wird der dem Elternteil, in dessen Wohnung das Kind nicht gemeldet ist, zustehende Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf auf Antrag des anderen Elternteils auf diesen übertragen, wenn bei dem Elternpaar die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorliegen (§ 32 Abs. 6 Satz 8 EStG).
Eine Übertragung scheidet aus, wenn der Übertragung widersprochen wird, weil der Elternteil, bei dem das Kind nicht gemeldet ist, Kinderbetreuungskosten trägt oder das Kind regelmäßig in einem nicht unwesentlichen Umfang betreut (§ 32 Abs. 6 Satz 8 EStG). Das Merkmal einer regelmäßigen Betreuung liegt vor, wenn sich ein minderjähriges Kind entsprechend eines weitgehend gleichmäßigen Betreuungsrhythmus tatsächlich in der vereinbarten Abfolge bei dem Elternteil, bei dem es nicht gemeldet ist, aufhält. Kurzzeitige, anlassbezogene Kontakte genügen nicht.
Ob dieser Elternteil sein minderjähriges Kind auch im Rahmen der Aufenthalte in einem nicht unwesentlichen Umfang betreut, erfordert eine wertende Gesamtschau aller objektiven Umstände des Einzelfalls. Die Häufigkeit und Länge der Kontakte zwischen dem widersprechenden Elternteil und dem Kind und das Alter des Kindes können hierbei z. B. eine Rolle spielen. Aus Gründen der Vereinfachung wird bei einem zeitlichen Betreuungsanteil von jährlich durchschnittlich 10 % im Regelfall das Merkmal einer Betreuung in einem "nicht unwesentlichen Umfang" als erfüllt anzusehen, wobei weitere Indizien in diesem Fall im Übrigen regelmäßig vernachlässigt werden können (BFH, Urteil v. 8.11.2017, III R 2/16).
Fall des FG Rheinland-Pfalz: Betreuung durch die Großeltern
Im Fall des FG Rheinland-Pfalz war die Ehe der Eltern geschieden. Aus der Ehe stammen zwei Kinder, welche im Streitjahr bei der Mutter gemeldet waren. Die Mutter beantragte die Gewährung des BEA-Freibetrags in voller Höhe. Sie sei alleinerziehend und beide Kinder würden zu 100 % bei ihr wohnen. Als Begründung gab die Mutter an, dass die Kinder zum Vater kaum noch Kontakt hätten und sie nur Unterstützung von den Eltern des Vaters erhalte.
Tatsächlich war es so, dass die Kinder sich wohl ca. 159 Tage bei den Großeltern aufgehalten haben, welche im selben Haus wie der Vater wohnen (Aufteilung Wohnungen Erd- und Obergeschoss). Der Vater erwiderte, dass er nach Divergenzen mit der Mutter die Betreuung der Kinder eingestellt habe, er habe mit rechtlichen Schritten der Mutter gerechnet, denen er damit den Boden entziehen wollte. Die Kinder durften sich in dem Haus aufhalten (zwar wohl nicht bei ihm, aber im selben Anwesen bei den Großeltern).
Eine Übertragung des BEA-Freibetrags sei nicht gerechtfertigt. Auch die Betreuungsleistung durch ihn (eine sportliche Betätigung mit den Kindern) und seine Familie müssten berücksichtigt werden.
Räumliche Nähe zum Vater reicht aus
Das FG Rheinland-Pfalz kam im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung zu dem Ergebnis (Urteil v. 26.1.2023, 6 K 1165/21), dass die reduzierten persönlichen Kontakte des Vaters zu seinen Töchtern nicht die nach den Vorgaben des BFH zu beachtenden zeitlichen Umfang der Zeiten, zu denen sich die Töchter im Anwesen während des Streitjahres aufgehalten haben, überwiegen.
Auf Grundlage dieser zeitlichen Maßgaben sei von einer nicht nur unerheblichen Betreuungsleistung auszugehen. Zwischen den Parteien stehe im Wesentlichen außer Streit, dass sich die Kinder regelmäßig im Anwesen des Vaters und der Großeltern aufgehalten haben. Die Grenze von 10 % sei bei 159 Tagen deutlich überschritten.
Aus Sicht des FG kann die Mutter für sich nicht reklamieren, die Betreuung durch die Großeltern sei ausschließlich ihr zuzurechnen. Es bestand jedenfalls eine räumliche Nähe zwischen dem Vater und seinen Töchtern, die eine Zurechnung beim Vater ebenso rechtfertigen könnten. Diese Zurechnungsmöglichkeit könne nicht ausschließlich der Mutter zu Teil werden, sondern muss auch zu Gunsten des Vaters berücksichtigt werden.
Das Finanzamt habe zutreffend ausgeführt, dass eine Prüfung der Betreuungsleistungen in einer polarisierten familiären Situation im Streitfall nicht bewerkstelligt werden kann. Daher reichten die im Verfahren vorgetragenen Umstände insofern aus Sicht des FG nicht aus, um den Widerspruch des Vaters zu entkräften.
Revisionsverfahren nach Nichtzulassungsbeschwerde NZB
Das FG hat die Revision nicht zugelassen. Es verwundert aber nicht, dass die eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde durch die Mutter erfolgreich war. Beim BFH ist unter dem Az. III R 1165/21 nun folgende Rechtsfrage offen:
Können einem Elternteil (ohne sein Zutun erbrachte) Betreuungsleistungen anderer Familienangehöriger (hier: Großeltern) zugerechnet werden, mit der Folge, dass dieser Elternteil der Übertragung des BEA-Freibetrags auf den anderen Elternteil widersprechen kann?
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