... [7] Können keine Vergleichswerte festgestellt werden, ...

 

Rz. 902

[Autor/Stand] Simulation des Preisbildungsprozesses. Unumstritten ist, dass einem tatsächlichen Fremdvergleich grundsätzlich Vorrang vor anderen Vergleichsverfahren einzuräumen ist.[2] Ein tatsächlicher Fremdvergleich erweist sich allerdings immer dann als nicht durchführbar, wenn es an einer effektiven Vergleichsmöglichkeit zwischen unabhängigen Vergleichspartnern fehlt. In diesem Fall besteht die Möglichkeit und Notwendigkeit, auf Hilfs- und Simulationsverfahren zurückzugreifen. Dabei handelt es sich um einen hypothetischen Fremdvergleich, der, basierend auf der Fiktion gesellschaftsrechtlicher Unabhängigkeit der Vertragspartner, eine Simulation des Preisbildungsprozesses[3] vornimmt.

 

Rz. 903

[Autor/Stand] Konkrete Vergleichbarkeit der Verhältnisse. Die Ermittlung fiktiver Vergleichstatbestände durch Simulation des Preisbildungsprozesses muss auf der Grundlage der Daten des realen Ausgangstatbestandes erfolgen, wobei durch die Unabhängigkeitsfiktion lediglich solche Einflüsse auf die Preisfestlegung zu eliminieren sind, die auf die Verflechtung der Unternehmen zurückzuführen sind.[5] Dies hat für die praktische Ausgestaltung des hypothetischen Fremdvergleichs zur Folge, dass das Ergebnis der Preissimulation entscheidend geprägt sein muss von den konkreten Marktverhältnissen, den Handelsbräuchen und Marktgepflogenheiten, der Unternehmensstruktur, den Funktionen und den Risiken des Unternehmens innerhalb des Gesamtverbundes sowie der Kostensituation der jeweiligen Vertragspartner. Die deutsche Finanzverwaltung spricht in diesem Zusammenhang von der Berücksichtigung "tatsächlichen Fremdverhaltens"[6] bzw. von "Elemente(n) tatsächlichen Fremdverhaltens"[7] bei der Durchführung eines hypothetischen Fremdvergleichs.

 

Rz. 904

[Autor/Stand] Objektivierender Bezugspunkt. Erweist sich ein hypothetischer Fremdvergleich als notwendig, so bedarf es zu dessen Durchführung eines objektiven Bezugspunktes. Die ständige Rspr. des BFH[9] zur vGA und verdeckten Einlage hat hierfür auf die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters bzw. eines ordentlichen Kaufmanns (im Folgenden kurz: ordentlicher Geschäftsleiter) verwiesen, um beurteilen zu können, ob ein Verrechnungspreis als sachgerecht anzusehen ist, also mit dem Preis übereinstimmt, den unabhängige Dritte in einer vergleichbaren Situation vereinbart hätten.

Die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters einer unabhängigen Gesellschaft ist als der Maßstab des hypothetischen Fremdvergleichs anzusehen und daher immer dann anwendbar, wenn ein objektiver Wert i.S. eines Marktpreises als Vergleichsmaßstab nicht zur Verfügung steht.

[Autor/Stand] Autor: Liebchen, Stand: 01.05.2024
[2] Vgl. Tz. 2.15 OECD-Leitlinien 2022; Puls in Schaumburg, Internationales Steuerrecht5, Rz. 21.182; Baumhoff/Liebchen in Mössner/Lampert u.a., Steuerecht international tätiger Unternehmen6, Rz. 4.164; Liebchen in F/W/K, DBA-Schweiz, Art. 9 Rz. 100; Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 60; differenzierend Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 190 ff. Dagegen macht nach Auffassung des BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171, die nachhaltige Erwirtschaftung von Verlusten bei einer inländischen Tochter-Vertriebsgesellschaft die Durchführung eines tatsächlichen Fremdvergleichs "obsolet".
[3] Vgl. dazu auch Kleineidam in Schaumburg, Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 105 ff.
[Autor/Stand] Autor: Liebchen, Stand: 01.05.2024
[5] Vgl. auch BFH v. 18.5.2021 – I R 62/17, BFHE 273, 457 = DB 2021, 2604 = ISR 2022, 30 m. Anm. Saliger.
[6] Vgl. VWG FVerl, Rz. 65.
[7] Vgl. VWG VP 2023, Rz. 3.102.
[Autor/Stand] Autor: Liebchen, Stand: 01.05.2024

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