Dipl.-Finanzwirt Rüdiger Happe, Prof. Dr. Axel Mutscher
Rz. 90
Bewertungsmaßstäbe sind nach § 6 Abs. 1 Nr. 1, 2 EStG die Anschaffungs- und Herstellungskosten, hilfsweise der niedrigere Teilwert. Im Fall der Übertragung eines einzelnen Wirtschaftsguts im Wege des Tauschs bemessen sich die Anschaffungskosten nach § 6 Abs. 6 S. 1 EStG nach dem gemeinen Wert des hingegebenen Wirtschaftsguts.
Der gemeine Wert ist in § 9 BewG definiert. Er wird durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Er entspricht somit dem Preis, den ein fremder Dritter für die Leistung bezahlen würde. Dabei ist unter dem Begriff "gewöhnlicher Geschäftsverkehr" nach der Rspr. der Handel zu verstehen, der sich nach den marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage vollzieht und bei dem jeder Vertragspartner ohne Zwang und nicht aus Not oder besonderen Rücksichten, sondern freiwillig in Wahrung seiner eigenen Interessen zu handeln in der Lage ist. Das bedeutet, dass ein durch ungewöhnliche und persönliche Verhältnisse beeinflusster Verkaufspreis nicht als gemeiner Wert zugrunde gelegt werden darf.
Rz. 91
Mit den Bewertungsmaßstäben der Anschaffungs- oder Herstellungskosten schließt § 6 Abs. 1 Nr. 1, 2 EStG an § 253 Abs. 1 HGB an, demzufolge Vermögensgegenstände höchstens mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten anzusetzen sind. Auch der in Art. 2 Abs. 3 bis 5 der Vierten RL 78/660/EWG genannte Grundsatz der Bilanzwahrheit erlaubt es nicht davon abzuweichen, selbst wenn die Anschaffungs- oder Herstellungskosten offensichtlich niedriger sind als ihr tatsächlicher Wert. § 255 HGB konkretisiert sodann, was unter Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu verstehen ist. Diese Regelung füllt den Begriff der Anschaffungs- oder Herstellungskosten auch für das Einkommensteuerrecht aus, das keine eigenständige Begriffsdefinition bietet.
Rz. 92
§ 255 HGB setzt die Art. 35 und 37 der EG-Bilanzrichtlinie um. Zugleich geht der Inhalt von § 255 HGB aber auch auf die Rspr. und die steuerrechtliche Praxis zurück. Der BFH wendet die Definitionen der Anschaffungs- und Herstellungskosten gleichermaßen nicht nur auf die Einkünfte an, die nach § 5 EStG nach den GoB zu ermitteln sind, sondern ebenso auch auf alle anderen Einkunftsarten, insbesondere die Überschusseinkünfte. Allerdings ist der BFH bei der Ermittlung von Gewinnen oder Verlusten aus der Veräußerung von Beteiligungen i. S. v. § 17 EStG aufgrund einer normspezifischen Auslegung zu einem weiteren Anschaffungskostenbegriff gelangt (zu nachträglichen Anschaffungskosten eines Gesellschafters aufgrund von eigenkapitalersetzenden Aufwendungen s. Rz. 324ff.).
Rz. 93
Zweck der Bewertung mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten ist es, den Anschaffungs- oder Herstellungsvorgang erfolgsneutral zu halten, indem der hierdurch veranlasste Aufwand zunächst aktiviert wird. Dadurch wird der Anschaffungs- oder Herstellungsvorgang zu einer bloßen Vermögensumschichtung. Eine Bewertung auf der Grundlage der Wiederbeschaffungskosten wird dadurch ausgeschlossen (Rz. 21ff.). Die Anschaffungs- oder Herstellungskosten werden durch die Höhe der anfallenden Aufwendungen bestimmt, nicht hingegen dadurch, ob und in welcher Höhe der Aufwand zu einer Wertverbesserung des Wirtschaftsguts führt.
Rz. 94
Die Anschaffungs- oder Herstellungskosten verhindern zugleich als Wertobergrenze eine Überbewertung und damit einen Ausweis nicht realisierter Gewinne. Die Erfolgswirksamkeit stellt sich erst ein, wenn die Anschaffungs- oder Herstellungskosten um AfA vermindert werden oder das Wirtschaftsgut veräußert oder auf den niedrigeren Teilwert abgeschrieben wird.
Rz. 95
Unmaßgeblich für die Höhe der Anschaffungs- oder Herstellungskosten ist es, ob und wann der Erwerber nach der Anschaffung oder Herstellung des Wirtschaftsguts den Kaufpreis oder den Werklohn zahlt oder ihn schuldig bleibt. Für die Höhe der Anschaffungs- oder Herstellungskosten kommt es allein auf die Höhe der Verpflichtung im Zeitpunkt der Anschaffung oder Herstellung an. Auch das spätere Schicksal der Kaufpreisschuld – wie etwa ihre Nichterfüllung – hat grundsätzlich keinen Einfluss auf die Höhe der Anschaffungs- oder Herstellungskosten.
Rz. 95a
Eine nachträgliche Änderung des Kaufpreises lässt sich nicht auf den Zeitpunkt der Anschaffung oder der Gewinnrealisierung zurückbeziehen. Eine Ausnahme bildet nur die Stichtagsgewinnermittlung nach § 16 Abs. 2 EStG und § 17 Abs. 2 EStG. Eine nachträgliche Änderung der Anschaffungskosten durch eine Erhöhung oder Minderung lässt sich erst berücksichtigen, wenn sie tatsächlich eingetreten ist (§ 255 Abs. 1 S. 3 HGB). Eine
- nachträgliche Erhöhung von Anschaffungskosten kommt z. B. bei einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft in Form einer verdeckten Einlage in Betracht,
- nachträgliche Erhöhung von Herstellungskosten kann auf anschaffungsnahen Aufwand i. S. v. § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG zurückzuführen sein,
- nachträgliche Minderung von Anschaffungs...