Rz. 3
Abs. 1 der Vorschrift gilt sowohl für koordinationsrechtliche als auch für subordinationsrechtliche Verträge. Für subordinationsrechtliche Verträge enthält Abs. 2 zusätzliche spezielle Nichtigkeitsgründe, die der allgemeinen Regelung in Abs. 1 vorgehen. Für subordinationsrechtliche Verträge hat Abs. 1 somit nur eine ergänzende Funktion. Abs. 1 bestimmt, dass alle Gründe, die nach bürgerlichem Recht die Nichtigkeit eines Vertrages zur Folge haben, auch für öffentlich-rechtliche Verträge gelten. Dabei muss allerdings im Einzelfall immer geprüft werden, ob die entsprechende Anwendung der BGB-Vorschrift der Natur des öffentlich-rechtlichen Vertrages entspricht. Bei Mängeln bezüglich der bürgerlich-rechtlichen Geschäftsfähigkeit kann eine Nichtigkeit gemäß § 58 diskutiert werden (Diering, in: LPK-SGB X, § 58 Rz. 5). Beim Vorliegen entsprechender Mängel liegt aber bereits keine Verfahrenshandlungsfähigkeit gemäß § 11 vor, da § 11 Abs. 1 unmittelbar auf die BGB-Vorschriften zur Geschäftsfähigkeit verweist (Marschner, in: Pickel/Marschner, SGB X, § 58 Rz. 18). Da jedoch aufgrund beider Meinungen eine entsprechende Anwendung der BGB-Vorschriften erfolgt, hat die Diskussion lediglich akademische Bedeutung. Nichtigkeit liegt etwa vor bei geheimem Vorbehalt (§ 116 BGB), bei Abgabe der Willenserklärung nur zum Schein (§ 117 BGB), bei nicht ernstlich gemeinter Willenserklärung (§ 118 BGB), bei Anfechtung der Willenserklärung wegen Irrtums, irriger Übermittlung, Täuschung und Drohung (§§ 119 bis 124 BGB), bei Mangel der gesetzlich vorgeschriebenen Form (§ 125 BGB i. V. m. § 56), bei Verstößen gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB), bei Verstößen gegen die guten Sitten (§ 138 BGB). Vor der Schuldrechtsreform war ein auf eine von Anfang an objektiv unmögliche Leistung gerichteter Vertrag gemäß § 306 BGB a. F. nichtig. § 306 BGB a. F. ist jedoch gestrichen und durch § 311 a BGB n. F. ersetzt worden. Danach führt die anfänglich objektive Unmöglichkeit nicht zur Nichtigkeit des Vertrages.
Rz. 4
Besondere Bedeutung kommt dabei den Verstößen gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) zu, etwa wenn für einen bestimmten Sachbereich durch Rechtsvorschrift ausdrücklich die Handlungsform des öffentlich-rechtlichen Vertrages ausgeschlossen ist oder die Behörde sich zu einer Leistung verpflichtet, die sie nach geltendem Recht nicht erbringen darf (BVerwG, DVBl. 1976 S. 217). Nachdem früher umstritten war, ob § 134 BGB auf öffentlich-rechtliche Verträge entsprechend anwendbar ist, wird die Anwendbarkeit nunmehr in Literatur (Engelmann, in: v. Wulffen, SGB X, § 58 Rz. 6m. w. N.) und Rechtsprechung (BSG, Beschluss v. 5.7.2000, B 3 KR 20/99 R) bejaht. Als Verbotsgesetze kommen grundsätzlich nur Normen des öffentlichen Rechts (Gesetze, Rechtsverordnungen, Satzungen) in Betracht; Gleiches gilt für Verfassungsnormen (z. B. Art. 104a Abs. 1 GG; BVerwG, Urteil v. 14.6.2016, 10 C 7/15) sowie Normen des EU-Gemeinschaftsrechts; Verwaltungsvorschriften oder Privatrechtsnormen scheiden hingegen aus. Das Verbot muss in der Norm nicht ausdrücklich angeordnet sein. Es ist ausreichend, dass sich das gesetzliche Verbot aus dem Zweck der Norm oder dem Zusammenhang ergibt.
Es sind jedoch keinesfalls alle einer vertraglichen Regelung i. S. v. § 53 Abs. 1 Satz 1 entgegenstehenden Rechtsvorschriften als gesetzliche Verbote anzusehen, sondern nur solche Vorschriften, die ausdrücklich oder offensichtlich entweder schlechthin die Form des Vertrages zur Regelung der Angelegenheit oder aber einen bestimmten Inhalt der vertraglichen Regelung verbieten. Nichtigkeit ist nur bei qualifizierten Rechtsverstößen anzunehmen (BSG, Urteil v. 13.2.2014, B 8 SO 11/12 R). Maßgebend ist dabei, ob durch eine Norm die Herbeiführung eines bestimmten Erfolges verboten oder ein bestimmter Inhalt eines Vertrages ausgeschlossen wird (BSGE 95 S. 141). Nichtigkeit gemäß § 134 BGB ist angenommen worden, wenn ein Handeln durch Verwaltungsakt vorgeschrieben ist, z. B. bei der Erweiterung der Zulassung eines Heilmittelerbringers (BSGE 77 S. 219; BSGE 97 S. 47; anders für die Erteilung einer Sonderbedarfszulassung: Sächs. LSG, Beschluss v. 30.7.2009, L 1 B 786/08 KA ER) oder wenn eine Ausschlussfrist unterlaufen werden sollte, z. B. § 111 (BSG, SozR 3-1300 § 111 Nr. 8). Eine andere Auslegung hätte zur Folge, dass in jedem Falle, in dem ein Verwaltungsakt rechtswidrig wäre (und damit anfechtbar), beim öffentlich-rechtlichen Vertrag bereits Nichtigkeit vorläge. Dies widerspricht dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers (BT-Drs. 7/910 S. 81).
Rz. 5
Ein Verstoß gegen die guten Sitten entsprechend § 138 BGB liegt vor, wenn eine Behörde ihre Überlegenheit in einer Weise ausnutzt, die die freie Willensentscheidung des Partners unzumutbar beeinflusst, etwa um einen für sich besonders vorteilhaften Vergleich zu erzwingen (BGH, NJW 1990 S. 1595). Dabei ist auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, die Leistungen beider Vertragspartner dürfen bei wirtschaftlicher Betrachtung des Ges...