Rz. 70
Der tatbestandsmäßige Erfolg im Rahmen des § 370 Abs. 1 AO konkretisiert sich durch die Verkürzung von Steuern oder durch die Erlangung des ungerechtfertigten Steuervorteils (s. § 370 Rz. 376 ff., 424 ff.). Hinsichtlich der einzelnen Steuerarten ergeben sich folgende Besonderheiten:
a) Veranlagungssteuern
Rz. 71
Zu den Veranlagungssteuern zählen insb. die Einkommensteuer, die Körperschaftsteuer, die Erbschaft- und Schenkungsteuer, die Gewerbe- und die Grunderwerbsteuer.
Die Veranlagungssteuern setzen eine Tätigkeit des FA voraus, die auf den Erlass eines förmlichen Steuerbescheids gerichtet ist. Dieser Bescheid setzt die geschuldete Steuer aufgrund von Steuererklärungen oder der von Amts wegen ermittelten Besteuerungsgrundlagen fest, § 155 Abs. 1 und § 157 Abs. 1 AO. Zum tatbestandsmäßigen Erfolg der Steuerhinterziehung gehört die zu niedrige Steuerfestsetzung, damit ist die Tat auch vollendet.
Die für den Beginn der Verjährung ausschlaggebende Beendigung tritt sodann frühestens mit der Bekanntgabe des unrichtigen Steuerbescheids ein (s. § 370 Rz. 400 ff. m.w.N.). Ob dabei die Bekanntgabefiktion des § 122 AO (drei Tage nach Aufgabe) anzuwenden oder auf eine ggf. in dubio tatsächlich frühere Zustellung abzustellen ist, ist str. Bekanntgabemängel dürfen dabei nicht zu Lasten des Stpfl. gehen, denn jedenfalls mit dem Fiktionszeitpunkt wird der Bescheid rechtswirksam.
Teilweise wird auch auf einen späteren Beendigungszeitpunkt abgestellt: Dieser falle auf den Tag einer tatsächlich späteren Zustellung oder den Fälligkeitstermin der zu niedrigen Nachzahlung oder auf den einer tatsächlich erfolgenden Erstattung. Allerdings ist die Steuerhinterziehung ein konkretes Gefährdungsdelikt und diese Gefährdung ist mit dem Wirksamwerden des Bescheids abgeschlossen. Die Realisierung der Gefahr durch Eintritt eines realen Vermögensschadens liegt – anders als etwa beim Betrug – außerhalb des Tatbestandes; er ist weder für die Vollendung noch für die Beendigung von Bedeutung.
Rz. 72
Problematisch war in der Vergangenheit immer die Beurteilung von Verjährungsfragen im Zusammenhang mit Feststellungsbescheiden.
So war maßgeblich für den Beginn der Verjährungsfrist bei der Hinterziehung von Körperschaftsteuer nach § 78a StGB nicht schon die gesonderte Feststellung nach dem früheren § 47 KStG, sondern erst die Bekanntgabe des auf die unrichtige Erklärung ergehenden Steuerbescheids (s. Rz. 73). Wird dieser Steuerbescheid infolge von in späteren Jahren eingetretenen Verlusten durch einen weiteren Steuerbescheid abgeändert, der den nach § 8 KStG i.V.m. § 10d EStG festzusetzenden Verlustrücktrag berücksichtigt, ist dies für den Lauf der Verjährungsfrist ohne Belang. Der BGH führte hierzu aus:
"Die Möglichkeit eines Verlustrücktrags trägt einer später eingetretenen wirtschaftlichen Entwicklung steuerlich Rechnung, ohne daß damit die bereits erfolgte Beendigung der durch die Abgabe unrichtiger Steuererklärungen bewirkten Steuerhinterziehungen berührt wird."
Noch keinen Steuerbescheid im vorstehenden Sinne beinhalten die (Grundlagen-)Feststellungsbescheide (z.B. die einheitliche oder gesonderte Gewinn- [bzw. Verlust-]feststellung bei Gesellschaften), da sie die Steuerfestsetzung erst vorbereiten (s. § 370 Rz. 406 f., 436). Die Hinterziehung erfolgte danach erst mit Zugang des Folgebescheids (z.B. Einkommensteuerbescheid, Gewerbesteuerbescheid), dieser war dann auch Anknüpfungspunkt für die Verjährung.
Rz. 73
Dies hat sich durch die spätere Rspr. des BGH zu Grundlagenbescheiden auch nicht geändert. Nach wie vor sieht der BGH den in der Folge eines unrichtig erwirkten Grundlagenbescheids ergehenden Folgebescheid als Beendigungszeitpunkt an; er hat aber die Vollendung der Steuerhinterziehung vorverlegt auf das Ergehen eines bindenden Grundlagenbescheids. Ob dieser Rspr. zu folgen ist, ist bereits im Ansatz str., der Streit (dazu § 370 Rz. 405 ff. m.w.N.) bezieht sich aber auf die Frage des "Ob" einer Steuerhinterziehung, nicht auf den für die Verjährung relevanten Beendigungszeitpunkt. Wenn man mit dem BGH bereits im bindenden Grundlagenbescheid die vollendete Steuerhinterziehung sieht, stellt sich in einem zweiten Schritt die Frage, wann diese beendet ist und die Verjährung beginnt. Insoweit führt der BGH aus:
"Der Umstand, dass die Angeklagten ihr angestrebtes (End-)Ziel einer Steuerverkürzung erst mit der zu niedrigen Festsetzung der Einkommensteuer in den Einkommensteuerbescheiden der Kommanditisten erreichten, steht der Annahme eines in der bindenden Feststellung unrichtiger Besteuerungsgrundlagen liegenden Steuervorteils nicht entgegen [...]. Die durch die Umsetzung der festgestellten unrichtigen Besteuerungsgrundlagen bei der Steuerfestsetzung in den Folgebescheiden bewirkte Steuerverkürzung stellt lediglich einen weitergehenden Taterfolg dar, der insbesondere für den Zeitpunkt der Tatbeendigung und damit für den Verjährungsbeginn der ...