Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Ergänzender Hinweis: Nr. 2, 45, 46, 49–53 AStBV (St) 2020 (s. AStBV Rz. 2, 45 f., 49 ff.).
Rz. 147
Von besonderer Bedeutung für die Stellung des Beschuldigten ist der durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf rechtliches Gehör, der sich auch in Art. 6 MRK findet. Danach dürfen sich richterliche Entscheidungen nur auf solche Tatsachen und Beweisergebnisse gründen, zu denen die Beteiligten zuvor Stellung nehmen konnten. Obwohl in Art. 103 Abs. 1 GG lediglich das gerichtliche Verfahren erwähnt wird, muss diese Maxime als unmittelbar im Rechtsstaatsprinzip verankert, bei sinngerechter Auslegung auch auf das Ermittlungsverfahren der StA bzw. der FinB erstreckt werden. Die Erhebung der Anklage bedeutet für den Beschuldigten eine so schwere Belastung, dass ihm die Möglichkeit gewährt werden muss, eine unbegründete Anklage durch Gegenvorbringen zu vermeiden. Er hat gem. § 163a StPO das Recht, aber nicht die Pflicht (s. Rz. 198 ff.), zu der ihm vorgeworfenen Tat selbst Stellung nehmen zu können.
Rz. 148
Der Verbürgung des rechtlichen Gehörs bei allen gerichtlichen Entscheidungen dient auch das seit 2005 in Kraft getretene sog. Anhörungsrügegesetz, mit dem – abgesehen von Änderungen sämtlicher Verfahrensordnungen – für die StPO die Möglichkeit eines außerordentlichen Rechtsbehelfs der sog. Anhörungsrüge in §§ 33a, 356a StPO geschaffen wurde (s. Rz. 865 ff.).
Rz. 149
Zur Anhörung bei der Vernehmung, zu Ablauf und Inhalt vgl. für das Ermittlungsverfahren Rz. 195 ff.; im Hauptverfahren s. Rz. 668 ff.
Rz. 150
Es liegt im Wesen des Anspruchs auf rechtliches Gehör, dass es vor Erlass der Entscheidung zu gewähren ist. Nur dann ist seine volle Wirksamkeit sichergestellt. Dies kann aber nicht für solche Maßnahmen gelten, die ihrem Sinne nach einen überraschenden Zugriff erfordern. Insbesondere bei Beschlagnahme, Durchsuchung, U-Haft und vorläufiger Festnahme würde eine vorherige Anhörung den Verfolgungszweck gefährden (§ 33 Abs. 4 StPO). Art. 103 Abs. 1 GG wird hier durch die Gewährung der nachträglichen Anhörung in ausreichender Weise entsprochen (vgl. §§ 115, 128 StPO).
Rz. 151
Im Strafbefehlsverfahren ist eine vorherige Anhörung vor Erlass des Strafbefehls durch den Richter nicht erforderlich (§ 407 Abs. 3 StPO), da die Möglichkeit zum Einspruch (§ 410 StPO) ausreichend erscheint (s. ausführlich § 400 Rz. 14 ff.). In der Praxis geht dem Antrag der BuStra auf Erlass eines Strafbefehls aber regelmäßig eine Anhörung voraus, allein um sicherzustellen, dass der Beschuldigte auch einen Strafbefehl akzeptieren wird.