Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Ergänzender Hinweis: Nr. 1, 17–19 AStBV (St) 2020 (s. AStBV Rz. 1, 17 ff.).
Rz. 11
Der unmittelbare Anwendungsbereich des in den §§ 385–408 AO geregelten formellen Steuerstrafrechts ergibt sich aus § 385 Abs. 1 AO. Er erstreckt sich auf das Strafverfahren wegen Steuerstraftaten. Der Begriff der "Steuerstraftat" wird in § 369 Abs. 1 Nr. 1–4 AO legal definiert (s. § 369 Rz. 15 ff.) und erlangt im Steuerstrafverfahrensrecht seine größte Bedeutung insoweit, als den FinB i.S.d. § 386 Abs. 1 Satz 2 AO und der Steuer- und Zollfahndung (§ 208 Abs. 1 Nr. 1, § 404 AO) in diesen Fällen Ermittlungskompetenzen eingeräumt sind.
Rz. 12
Kontrovers wird in dem Zusammenhang die Frage diskutiert, ob bei einem Bannbruch, der gem. der Subsidiaritätsklausel des § 372 Abs. 2 AO nach anderen Vorschriften als der AO strafbewehrt ist (s. dazu § 372 Rz. 88 ff.), die besonderen Verfahrensvorschriften der §§ 385–408 AO gelten. Nach h.M. fällt auch dieser aus einem Verbringungsgesetz strafbare Bannbruch darunter. Demgegenüber lehnte Franzen die Anwendung der §§ 385 ff. AO ab, da er eine mit Strafe bedrohte Verbringung zwar materiell-rechtlich, nicht aber verfahrensrechtlich als Bannbruch und damit als Steuerstraftat ansieht. Nach hier vertretener Auffassung ist der h.M. im Ergebnis zuzustimmen, die zum einen den Gesetzeswortlaut der § 369 Abs. 1 Nr. 2, § 385 Abs. 1 AO für sich hat, zum anderen auch die gesetzgeberische Überlegung, dass zur Verfolgung von Verbringungsdelikten die Behörde zuständig sein soll, der – wie der Zollbehörde – die Überwachung der Verbringungsverbote obliegt.
Rz. 12.1
Auch wenn die Tat aufgrund der Subsidiaritätsregelung in § 372 Abs. 2 AO nicht gem. § 370 Abs. 1, 2 AO, sondern nach anderen Reglungen als Zuwiderhandlung gegen ein Einfuhr-, Ausfuhr- oder Durchfuhrverbot zu verfolgen ist, besteht eine funktionelle Sonderzuständigkeit des Wirtschaftsstrafrichters für Bannbruch gem. § 391 AO, § 74c Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GVG, § 56 Satz 1 Nr. 2 BayGZVJu. Erscheint eine gerichtsverfassungsrechtliche Behandlung als Wirtschaftsstrafsache verfehlt, kann die Staatsanwaltschaft den Bannbruch nach § 154a StPO behandeln. Eine derartige Verfolgungsbeschränkung lässt die Sonderzuständigkeit des Wirtschaftsstrafrichters entfallen.
Rz. 12.2
Auch der BGH hat im Hinblick auf die umstr. Reichweite der Subsidiaritätskausel des § 372 Abs. 2 AO und der offenen Frage, inwieweit die einschlägigen Strafvorschriften des Arzneimittelgesetzes gegenüber dem Bannbruch eine abschließende Regelung enthalten, unter Beschränkung der Strafverfolgung des Angeklagten nach § 154a Abs. 2 StPO den Schuldspruch des vorsätzlichen Inverkehrbringens gefälschter Arzneimittel in Tateinheit mit vorsätzlichem Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel in Tateinheit mit vorsätzlichem Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken in Tateinheit mit versuchtem Betrug in Tateinheit mit Beihilfe zum Bannbruch in Tateinheit mit vorsätzlicher Benutzung einer Marke und eines Zeichens ohne Zustimmung des Inhabers dahin abgeändert, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen Beihilfe zum Bannbruch entfiel.
Rz. 13
Als Steuerstraftaten i.S.d. § 369 Abs. 1 AO, und damit vom unmittelbaren Anwendungsbereich des § 385 Abs. 1 AO erfasst, gelten auch Zollstraftaten (vgl. die Formulierung in § 369 Abs. 1 AO: "Steuerstraftaten [Zollstraftaten]".
Während nach früherem Recht für Abschöpfungstaten die für Zollstraftaten geltenden Vorschriften zur Anwendung kamen (so noch § 2 Abschöpfungserhebungsgesetz), gelten seit 1997 für Agrarzölle, die seitdem an die Stelle der Abschöpfungen getreten sind, die AO-Bestimmungen unmittelbar. Es handelt sich um Einfuhrabgaben i.S.d. Art. 4 Nr. 10 ZK/Art. 5 Nr. 20 UZK (vgl. auch die gesetzliche Gleichstellung mit Steuern in § 3 Abs. 3 AO).