Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 80
Hinsichtlich des Verfahrens gelten über die Verweisung in § 401 AO auf §§ 435, 436 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 434 Abs. 2 oder 3 StPO dieselben Regeln wie bei der Einziehung (s. Rz. 37 ff.). Allein die örtliche Zuständigkeit des Gerichts wird gem. § 440 Abs. 3 Satz 2 StPO erweitert (s. Rz. 84).
Rz. 81
Zu Antragsbefugnis, Inhalt und Form des Antrags der FinB (BuStra) wird auf die entsprechenden Ausführungen zur Anordnung der Einziehung im selbständigen Verfahren (Rz. 27 ff.) verwiesen. Im Antrag müssen u.a. bezeichnet sein
- die natürliche Person, die nicht verfolgt werden kann,
- die ihr zur Last gelegte Tat,
- die JP oder PV, der die Verbandsgeldbuße auferlegt werden soll,
- die Voraussetzungen der Verbandsgeldbuße und
- die Gründe für die Nichtverfolgung der vertretungsberechtigten Person.
- Der Antrag muss auf eine betragsmäßig bestimmte Geldbuße gerichtet sein.
Rz. 82
Aufgrund der in § 444 Abs. 3 StPO enthaltenen Bezugnahme auf § 435 StPO ist der Antrag auf Festsetzung einer Geldbuße im selbständigen Verfahren weiter davon abhängig, "dass die Anordnung nach dem Ergebnis der Ermittlungen zu erwarten ist". Zu diesem Erfordernis der Wahrscheinlichkeit der Anordnung s. auch Rz. 25.
Rz. 83
Hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit ist festzuhalten, dass die FinB (BuStra) den Antrag bei dem Gericht zu stellen hat, das im Falle der Strafverfolgung der Leitungsperson wegen Steuerhinterziehung zuständig wäre (§ 436 Abs. 1 Satz 1 StPO). Zu den Einzelheiten s. Rz. 39.
Rz. 84
Was die örtliche Zuständigkeit anbelangt, werden die in erster Linie bedeutsamen drei Gerichtsstände (vgl. Rz. 40) um den des Gerichts erweitert, "in dessen Bezirk die juristische Person oder die Personenvereinigung ihren Sitz oder eine Zweigniederlassung hat" (§ 444 Abs. 3 Satz 2 StPO). Soweit in § 444 Abs. 3 StPO auch auf § 436 Abs. 1 StPO verwiesen wird, ist dessen Satz 2 gegenstandslos.
Rz. 85
Die Zuständigkeit der FinB endet mit der Stellung des Antrags an das Gericht bzw. der Anordnung der mündlichen Verhandlung (§ 406 Abs. 2 AO), an der dann die StA teilnimmt.
Rz. 86
Die Rechtsstellung der JP/PV im Verfahren bei Festsetzung einer Geldbuße regelt § 444 StPO mit einer Vielzahl von Verweisungen. Diese Norm stellt die verfahrensrechtliche Ergänzung zu § 30 OWiG (s. Rz. 58) dar.
Die StPO schränkt dabei an keiner Stelle die Verfahrensrechte der juristischen gegenüber der natürlichen Person ein. Gleichwohl hat die JP/PV im selbständigen Verfahren "nur" die Stellung eines Nebenbeteiligten (s. auch Rz. 38).
Rz. 87
Das Gericht ordnet die Beteiligung der JP/PV am Verfahren an (§ 444 Abs. 3 i.V.m. § 435 Abs. 3, § 424 StPO). Die Anordnung kann bis zum Ausspruch der Entscheidung und sogar noch im Berufungsverfahren ergehen (vgl. § 424 Abs. 3, 4 StPO). Der die Verfahrensbeteiligung anordnende Beschluss kann nicht angefochten werden (§ 424 Abs. 4 StPO).
Rz. 88
Bereits im vorbereitenden Verfahren ist den Vertretern der JP/PV Gehör zu gewähren (§ 444 Abs. 2 Satz 2, § 426 Abs. 1 StPO). Danach ist zunächst nur eine formlose Anhörung des Nebenbeteiligten vorgesehen. Erklärt dieser, Einwendungen gegen die Geldbuße erheben zu wollen, und erscheinen diese glaubhaft, gelten die Vorschriften über die Vernehmung des Beschuldigten (§ 426 Abs. 2 StPO).
Rz. 89
Die JP bzw. PV wird durch ihr Vertretungsorgan vertreten (§ 427 StPO). Ferner steht ihr das Recht auf Verteidigerkonsultation nach § 428 Abs. 1 StPO zu. Das Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO i.V.m. § 427 Abs. 1 Satz 2 StPO) gilt nur, wenn aufgrund der Individualtat mehrere JP/PV in Anspruch genommen werden. Dagegen kann ein Verteidiger sowohl den persönlich Betroffenen (z.B. den GmbH-Geschäftsführer) als auch die dazugehörige nebenbetroffene JP/PV vertreten.
Zur Rechtstellung eines Unternehmensanwalts und Syndikusanwalts s. § 385 Rz. 958 ff., 1037.1, 1009, 1032, § 392 Rz. 13 sowie § 46 BRAO.
Rz. 90
Ab Eröffnung des Hauptverfahrens ordnet das Gesetz die grundsätzliche Gleichstellung von Angeklagtem und Nebenbeteiligtem an, wie sich aus § 427 Abs. 1 StPO und dem Gegenschluss zu § 425 StPO ergibt. Die Vertreter der JP/PV haben Anspruch auf rechtliches Gehör, können Anträge stellen, Zeugen laden (§ 230 StPO) und Rechtsbehelfe einlegen. Die Unternehmensvertreter scheiden als Zeugen aus, nicht aber andere Mitarbeiter, denen ggf. ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 55 StPO zusteht.
Rz. 91
Umstritten ist, ob der JP/PV ein Schweigerecht nach § 136 StPO – ausgeübt durch den Unternehmensvertreter – zusteht. Mit Recht bejaht dies die überwiegende Ansicht in der Literatur mit Blick auf den Nemo-tenetur-Grundsatz. Auch juristischen Personen muss das Recht zur Aussageverweigerung zugestanden werden, ansonsten wäre die Unternehmensleitung bzw. eine nicht tatverdächtige Leitungsperson dazu gezwungen, im Verfahren nach § 30 OWiG Auskünfte über eigene Verfehlungen ode...