Entscheidungsstichwort (Thema)
Ursächliche Haftung des Insolvenzverwalters für Forderungsausfall infolge nicht rechtzeitiger Erfüllung einer im Prozessvergleich von ihm eingegangenen Verpflichtung zur Bezahlung von Masseverbindlichkeiten (Arbeitsentgeltansprüche eines freigestellten Arbeitnehmers) vor Eintritt von Masseunzulänglichkeit
Leitsatz (redaktionell)
Entgeltansprüche aus gem. § 108 Abs. 1 InsO fortbestehenden Arbeitsverhältnissen, die Gegenstand eines gerichtlichen Vergleichs sind, beruhen nicht auf einem Willen oder der Entscheidung des Insolvenzverwalters, vielmehr handelt es sich um aufgezwungene oder oktroyierte Masseverbindlichkeiten, deren Entstehen der Insolvenzverwalter auch nicht durch Ablehnung der Erfüllung verhindern kann.
Normenkette
InsO §§ 61, 60
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Urteil vom 16.02.2005; Aktenzeichen 29 Ca 6704/04) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen dasUrteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom16.02.2005 – 29 Ca 6704/04 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger nimmt den Beklagten persönlich wegen der Nichterfüllung von Arbeitsentgeltansprüchen aus der Insolvenzmasse in Anspruch.
Der Kläger war bei der T. L. GmbH zu einem Bruttomonatsentgelt von EUR 7.072,87 beschäftigt. Diese kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger am 21.11.2002 zum 31.03.2003 und stellte den Kläger vom 01.12.2002 bis zum 31.03.2003 von der Arbeit frei. Am 01.12.2002 wurde über das Vermögen der T. L. GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Kläger bezog in dem Zeitraum vom 01.12.2002 bis zum 31.03.2003 Arbeitslosengeld.
Im Rahmen des Kündigungsrechtsstreits schlossen der Kläger und der Beklagte in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter am 20.02.2003 vor dem Arbeitsgericht München folgenden für den Beklagten bis zum 13.03.2003 widerruflichen Vergleich (Blatt 10-12 der Akten 1. Instanz):
- Die Parteien sind sich darüber einig, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Arbeitgeberkündigung mit dem 31.03.2003 enden wird.
- Der Kläger verpflichtet sich, dem Beklagten mitzuteilen, in welcher Höhe er für den Zeitraum 01.12.2002 bis 31.03.2003 Arbeitslosengeld bezieht.
- Der Beklagte verpflichtet sich, an den Kläger den Differenzbetrag zwischen dem Bruttoentgeltanspruch für den Zeitraum 01.12.2002 bis 31.03.2003 und dem in diesem Zeitraum bezogenen Arbeitslosengeld abzurechnen und zu bezahlen.
- Damit ist der Rechtsstreit erledigt.
Der Vergleich wurde vom Beklagten nicht widerrufen. Mit Schreiben vom 17.03.2003 (Blatt 99 der Akten 1. Instanz) bat er den Kläger um unverzügliche Mitteilung des im Zeitraum vom 01.12.2002 bis 31.03.2003 bezogenen bzw. zu beziehenden Arbeitslosengeldes, um eine schnellstmögliche Abrechnung und Auszahlung der ihm zustehenden Differenzvergütung zu gewährleisten. Hierauf übersandte der Kläger dem Beklagten mit Schreiben vom 20.03.2003 (Blatt 13 der Akten 1. Instanz) eine Aufstellung über das in diesem Zeitraum bezogene bzw. zu beziehende Arbeitslosengeld unter Beifügung des Bewilligungs- und Änderungsbescheids des Arbeitsamts, der letzten Gehaltsabrechnung der Schuldnerin und der Lohnsteuerkarte. Mit Schreiben vom 28.03.2003 (Blatt 14 der Akten 1. Instanz) wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass sich allein aufgrund der vorgelegten Bewilligungsbescheide die Differenzansprüche nicht errechnen ließen, da die Bundesanstalt für Arbeit keine Auskunft über die Höhe der abgeführten Sozialversicherungsbeiträge erteile und eine Überleitungsanzeige nach § 115 SGB X noch nicht vorliege. Die Überleitungsanzeige vom 26.05.2003 (Blatt 99, 15, 16 der Akten 1. Instanz) ging dem Beklagten am 30.05.2003 zu.
Am 08.05.2003 zeigte der Beklagte Masseunzulänglichkeit nach § 208 InsO an, die er darauf zurückführt, dass der Übernehmer des Betriebs der Schuldnerin an diesem Tag von seinem vertraglich vorbehaltenen Rücktrittsrecht Gebrauch gemacht habe. Mit Schreiben vom 25.08.2003 (Blatt 17 der Akten 1. Instanz) teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass in der letzten Dekade des Monats April 2003 noch die Löhne und die Gehälter der weiterbeschäftigten Mitarbeiter hätten bezahlt werden können und mangels weiterer Liquiditätsreserven eine Erfüllung des Vergleichs allenfalls bis etwa Mitte April 2003 möglich gewesen wäre.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Beklagte hafte persönlich für den Forderungsausfall in Höhe des ihm für die Zeit vom 01.12.2002 bis zum 31.03.2003 zustehenden Gesamtbruttoentgeltanspruchs von EUR 28.291,48 abzüglich des in diesem Zeitraum insgesamt bezogenen Arbeitslosengeldes von EUR 7.430,97 und der von der Bundesanstalt für Arbeit abgeführten Sozialversicherungsbeiträge von insgesamt EUR 3.117,11, mithin in Höhe von insgesamt EUR 17.743,40. Der Beklagte sei verpflichtet und aufgrund der ihm mit Schreiben vom 20.03.2003 überlassenen Unterlagen auch ohne Weiteres in der Lage gewesen, die ihm – Kläger – zustehenden Differenzvergütungsansprüche rechtzeitig vor Eintr...