Entscheidungsstichwort (Thema)

Kürzung einer Sozialplanabfindung wegen Rentennähe

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG verstößt nicht gegen das Verbot der Altersdiskriminierung im Recht der Europäischen Union (Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG). Die Vorschrift ist vielmehr durch ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel des deutschen Gesetzgebers i. S. des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 RL 2000/78/EG, nämlich Schutz älterer Arbeitnehmer vor den gerade ihnen eher als jüngeren Arbeitnehmern drohenden Nachteilen auf dem Arbeitsmarkt bei Verlust ihres Arbeitsplatzes, gerechtfertigt (vgl. auch BAG 12.04.2011 – 1 AZR 743/09 – EzA § 112 Betrvg 2001 Nr. 42).

2. An der danach zulässigen Differenzierung in einem Sozialplan zwischen „rentennahen” und „rentenfernen” Arbeitnehmern hat sich durch die Entscheidung des EuGH vom 12.10.2010 – C 499/08 – (Andersen) – (EzA Richtlinie 2000/78 EG-Vertrag 1999 Nr. 17) nichts geändert (ebenso LAG Rheinland-Pfalz 10.03.2011 – 10 Sa 547/10 – juris; vgl. auch LAG Düsseldorf 14.06.2011 – 16 Sa 1712/10 – juris).

 

Normenkette

AGG § 10 S. 3 Nr. 6; RL 2000/78/EG; BetrVG § 112 Abs. 1 S. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Duisburg (Urteil vom 08.04.2011; Aktenzeichen 1 Ca 282/11)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 23.04.2013; Aktenzeichen 1 AZR 25/12)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 28.04.2011 – 1 Ca 282/11 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird für den Kläger zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe einer Sozialplanabfindung.

Der am 08.08.1948 geborene Kläger war seit dem 04.04.1995 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete aufgrund einer mit Schreiben der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 19.07.2010 anlässlich ihrer Betriebsschließung am Standort E. ausgesprochenen ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung fristgerecht zum 31.01.2011.

Am 25.06.2010 schloss die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit dem im Werk E. bestehenden Betriebsrat eine „Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich und Sozialplan”. In dieser Betriebsvereinbarung heißt es u. a. unter „III. Sozialplan”:

„1. Abfindungsregelung

Mitarbeiter, denen gegenüber die V. E. eine betriebsbedingte fristgerechte Kündigung ausspricht, erhalten eine Abfindung in Höhe von 0,4 Bruttomonatsgehältern pro Jahr der Betriebszugehörigkeit.

Mitarbeiter, die innerhalb von 6 Monaten nach Beendigung ihres Arbeitsvertrages nicht gekürztes Altersruhegeld in Anspruch nehmen und in der Zwischenzeit Leistungen der Arbeitslosenversicherung beanspruchen können, erhalten keine Abfindung. Die übrigen Mitarbeiter, die sofort oder im Anschluss an Leistungen der Arbeitslosenversicherung – ggf. auch vorgezogenes – Altersruhegeld in Anspruch nehmen können, erhalten 50 % der vorgenannten Abfindung.

Stichtag für die Dauer der Betriebszugehörigkeit ist der Tag der rechtlichen Beendigung des betreffenden Arbeitsverhältnisses. Angefangene Betriebszugehörigkeitsjahre werden mit 1/12 pro vollem Kalendermonat in Ansatz gebracht.

…”

Fällig ist laut Nr. 1 Abs. 10 des Sozialplans die sich aus ihm ergebende Abfindung im Regelfall bei Vertragsbeendigung.

Die Beklagte zahlte dem Kläger 50 % der sich aus seinem Alter und aus seiner Betriebszugehörigkeit rechnerisch ergebenden Abfindung, d. h. 11.435,97 EUR brutto, da der Kläger im Anschluss an die Leistungen der Arbeitslosenversicherung Altersruhegeld in Anspruch nehmen kann.

Mit seiner beim Arbeitsgericht Duisburg am 31.01.2011 eingereichten und der Beklagten am 02.02.2011 zugestellten Klage begehrt der Kläger die Zahlung weiterer 11.435,97 EUR brutto.

Der Kläger hat im Wesentlichen geltend gemacht:

Ihm stehe aus dem Sozialplan eine ungekürzte Abfindung zu. Ihre Absenkung sei eine Altersdiskriminierung und verstoße gegen die Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vom 27.11.2000, wie aus dem Urteil des EuGH vom 12.10.2010 – Rs. C 499/08 – folge. Seine zu erwartende Altersrente werde sich um 142,87 EUR monatlich reduzieren, da er keine weiteren Beiträge der Altersversorgung einzahle. Soweit er zum 01.10.2011 vorgezogenes Altersruhegeld in Anspruch nehmen würde, käme hierzu eine weitere Reduzierung von 77,85 EUR monatlich. Hieraus ergäbe sich hochgerechnet auf 17 Rentenjahre ein Differenzbetrag in Höhe von 45.026,88 EUR.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn – über den Betrag in Höhe von 11.435,97 EUR brutto hinaus – weitere 11.435,97 EUR brutto aus dem Interessenausgleich/Sozialplan vom 25.06.2010 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat im Wesentlichen die Auffassung vertreten:

Die dem Kläger gezahlte Sozialplanabfindung beinhalte keine unzulässige Altersdiskriminierung. Rentenferne Mitarbeiter seien durch den Verlust des Arbeitsplatzes stärker betroffen als rentennahe Jahrgänge.

Mit seinem am 28.04.2011 verkündeten Urteil hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und zur ...

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