Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmerbegriff, Lehrer in staatlich anerkannten Ergänzungsschulen;. Freie Mitarbeit, Arbeitnehmereigenschaft
Leitsatz (amtlich)
1. Lehrer in staatlich anerkannten Ergänzungsschulen sind bei typisierender Betrachtung in aller Regel Arbeitnehmer.
2. Nimmt eine Lehrkraft die jahrelange Vertragspraxis eines freien Mitarbeiterarbeiter Verhältnisses in Fällen, in denen die rechtliche Einordnung der Rechtsbeziehung der Parteien zweifelhaft ist, unbeanstandet hin und profitiert sie von dieser Vertragspraxis, weil sie in erheblichem Umfang Nebentätigkeiten ausübt, so verhält sie sich rechtsmissbräuchlich, wenn sie rückwirkend Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft begehrt. Die Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft kann daher nur ab dem Zeitpunkt erfolgen, in dem die bisherige Rechtsbeziehung dem Grunde oder dem Inhalt nach von einer oder beiden Parteien in Frage gestellt wird (Bestätigung und Fortentwicklung des Urteils vom 09.02.2001 – 10 Sa 1155/00, Revision eingelegt unter dem Az. 5 AZR 161/01).
Verfahrensgang
ArbG Hannover (Entscheidung vom 16.03.2000; Aktenzeichen 10 Ca 557/98) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin und der Beklagten wird unter Zurückweisung der wechselseitigen Berufungen im Übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 16.03.2000 – 10 Ca 557/98 – teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:
1. Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien seit dem 03.09.1999 ein Arbeitsverhältnis besteht.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.960,60 DM brutto sowie 70,00 DM netto nebst 4 % Zinsen auf den sich aus jeweils 2.470,30 DM brutto ergebenden Nettobetrag seit dem 01.08.1999 und seit dem 01.09.1999 sowie aus weiteren 70,00 DM netto seit dem 15.10.1998 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Kosten werden zu 1/3 der Klägerin, zu 2/3 der Beklagten auferlegt.
5. Die Revision wird hinsichtlich des Urteilsausspruchs zu 1. zugelassen, im Übrigen wird sie nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die rückwirkende Feststellung des Beginns des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses, um Beschäftigung sowie um Vergütungsansprüche der Klägerin sowohl aus freier Mitarbeit als auch aus dem Arbeitsverhältnis.
Die Beklagte betreibt eine Ausbildungsschule für Damenschneiderei und Modedesign. Sie bildet etwa 80 Schüler in drei Ausbildungsjahren aus. Es handelt sich um eine staatlich anerkannte Ergänzungsschule gemäß § 161 Niedersächsisches Schulgesetz i.d.F. vom 3. März 1998 (Nds. GVBl. S. 137 ≪NSchG≫). Die Organisation der Schule folgt weitgehend den Vorschriften für staatliche Schulen. Die Qualifikation der dort eingesetzten Lehrkräfte unterliegt staatlicher Kontrolle (§§ 158, 159 NSchG). Voraussetzung der Eigenschaft einer anerkannten Ergänzungsschule ist, dass der Unterricht der Ausbildung für einen bestimmten Beruf dient und nach einem von der Schulbehörde genehmigten Lehrplan erteilt wird (§ 161 NSchG). Die Beklagte beschäftigt sowohl angestellte Lehrkräfte als auch Honorarkräfte.
Die Klägerin, die von der Mehrwertsteuer befreit ist, war seit August 1995 bei der Beklagten als Honorarlehrkraft gegen eine Vergütung von 35,– DM/Unterrichtsstunde tätig. Streitig ist, ob davon alle Nebenarbeiten wie Teilnahme an Konferenzen und Modeschauen abgegolten waren. Ein schriftlicher Vertrag existierte nicht. Die Klägerin unterrichtete Schnitt im Umfang von 24 Wochenstunden zuzüglich 100 Stunden jährlich für Vor- und Nacharbeiten sowie Klausurenkorrekturen. Sie hatte dabei die durch die Schulbehörde genehmigten Lehrpläne der Beklagten, auf die Bezug genommen wird (1997 ≪Schnitt≫ Bl. 366–370 d.A.; 1998 Bl. 441–480 d.A., davon Schnitt Bl. 468–472 d.A.), anzuwenden. Neben ihr war eine weitere Unterrichtskraft für Schnitttechnik tätig. Die Klägerin hatte – wie alle Lehrkräfte der Beklagten – Zwischenprüfungen abzunehmen, jährlich Zeugnisse auszustellen, halbjährlich und bei besonderem Anlass mit den Schülern Beratungsgespräche zu führen, über diese Protokolle zu fertigen und den Schülern zur Kenntnis zu geben, ferner ein Klassenbuch zu führen. Letzteres dient bei Kontrollen durch die Schulbehörde als Nachweis über Umfang und Inhalt des erteilten Unterrichts sowie über Anwesenheit von Schülern und Lehrern. Zum Abschluss der Ausbildung können die Schüler der Beklagten eine Designerprüfung ablegen. Dazu sind der Schulbehörde zwei Prüfungsvorschläge vorzulegen, von denen diese einen auswählt. Die Abschlussprüfung wird unter Vorsitz eines Vertreters der Schulbehörde abgenommen. Maßgeblich dafür ist die von der Schulbehörde genehmigte Ausbildungs- und Prüfungsordnung, auf die Bezug genommen wird (Bl. 413–441 d.A.). Die Schüler können auch einen Gesellenbrief „Damenschneiderhandwerk” erwerben. Die dazu erforderliche Prüfung wird vor der Handwerkskammer abgenommen. Die meisten Schüler erwerben beide Abschlüsse.
Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Stundenpläne, nach denen die Klägerin unterrichtete, ihr von der Beklagten vorgegeben waren oder ob si...