vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Entscheidungsstichwort (Thema)
Wertpapierleihe - wirtschaftliches Eigentum - Vertrauensschutz bei ungeklärter Rechtsfrage?
Leitsatz (redaktionell)
- Zu der Frage, wann wirtschaftliches Eigentum i. S. des § 39 Abs. 1 AO bei einer Wertpapierleihe zu bejahen ist.
- Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sind auch bei einer Wertpapierleihe die allgemeinen Grundsätze zum Übergang des zivilrechtlichen und wirtschaftlichen Eigentums an KapG-Anteilen anzuwenden.
- Danach werden die Erträge aus den „verliehenen” Wertpapieren regelmäßig dem Entleiher zuzurechnen sein, weil er zivilrechtlicher Eigentümer der Wertpapiere wurde.
- Ausnahmsweise verbleibt das wirtschaftliche Eigentum an den verliehenen Aktien beim Verleiher, wenn die zu beurteilenden Wertpapiergeschäfte nicht darauf angelegt waren, dem Entleiher im wirtschaftlichen Sinne die Erträge aus den „verliehenen” Aktien zukommen zu lassen (Anschluss an BFH-Urt. v. 18.8.2015 - I R 88/13, BFH/NV 2016, 341).
Normenkette
AO § 39; KStG § 8b Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 2; EStG § 20 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2a; AO § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
Streitjahr(e)
2006
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob § 8b Abs. 1 Satz 1 Körperschaftsteuergesetz a.F. (KStG) auf Dividende aus geliehenen Wertpapieren anwendbar ist und ob die sog. Kompensationszahlung nach § 8b Abs. 5 Satz 2 KStG i.V.m. § 3c Abs. 1 Einkommensteuergesetz in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) steuermindernd berücksichtigt werden kann.
Die Klägerin betreibt in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft (AG) ein Unternehmen, dessen Gegenstand die xxxxxx ist. Sie ermittelt ihren Gewinn durch Bestandsvergleich gemäß §§ 4 Abs. 1, 5 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG.
Am 15. Mai 2006 schloss die Klägerin mit der Dresdner Kleinwort Wasserstein Securities Ltd., London (DKW) einen Rahmenvertrag für Wertpapierdarlehen. Nach Nr. 1 dieses Rahmenvertrages beabsichtigen die Vertragspartner auf der Grundlage dieses Rahmenvertrages Wertpapierdarlehen abzuschließen, wobei für jeden einzelnen Abschluss die Bestimmungen des Rahmenvertrages gelten sollen. Jede Vertragspartei kann sowohl Darlehnsgeber als auch Darlehnsnehmer sein. Der Darlehensnehmer ist zur Rückgewähr von Wertpapieren gleicher Art, Güte und Menge verpflichtet. In Nr. 3 Abs. 2 des Vertrages heißt es weiter, die Parteien sind sich einig, dass mit der Lieferung der Wertpapiere das unbeschränkte Eigentum oder eine andere am Verwahrort übliche gleichwertige Rechtsstellung an den Darlehenspapieren auf den Darlehensnehmer übergeht. In Nr. 4 Abs. 1 des Vertrages heißt es, unterschreitet an einem Bankarbeitstag die Darlehenssumme der einen Partei die Darlehenssumme der anderen Partei, so ist erstere jederzeit berechtigt, von letzterer Wertausgleich zu verlangen. Der Wertausgleich errechnet sich aus der Differenz der Darlehenssummen und ist zu leisten, wenn der in Nr. 11 Abs. 7 des Vertrages genannte Mindestbetrag erreicht ist. Nach Nr. 5 des Vertrages zahlt der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber für jedes Wertpapierdarlehen ein Entgelt („Darlehensentgelt”). In Nr. 6 Abs. 1 des Vertrages heißt es, die während der Laufzeit des Darlehens auf die Darlehenspapiere geleisteten Zinsen, Gewinnanteile sowie sonstige Ausschüttungen stehen dem Darlehensgeber zu. Den Gegenwert hat der Darlehensnehmer mit Wertstellung zum Tag der tatsächlichen Zahlung durch den Emittenten zuzüglich des Betrags einbehaltener Steuern und Abgaben sowie Steuergutschriften an den Darlehensgeber zu zahlen („Kompensationszahlung”). In Nr. 6 Abs. 2 des Vertrages heißt es weiter, dass die Kompensationszahlung bei Aktien sämtliche Ausschüttungen wie Dividenden oder Zahlungen im Falle von Kapitalherabsetzungen umfasst. Nach Nr. 7 Abs. 1 Buchstabe a des Rahmenvertrages ist der Darlehnsgeber berechtigt, die auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Wertpapierdarlehen jederzeit mit einer Kündigungsfrist von drei Bankarbeitstagen zu kündigen. Nach Nr. 11 Abs. 7 des Vertrages beträgt der nach Nr. 4 Abs. 1 des Vertrages zu vereinbarende Mindestbetrag 0 €. Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Rahmenvertrages wird auf Bl. 31 ff. der Gerichtsakte verwiesen.
In Ausfüllung dieses Rahmenvertrages tätigte die Klägerin jeweils als Darlehensnehmerin im Streitjahr mehrere Einzelabschlüsse in der Zeit vom Juni 2006 bis zum Dezember 2006 (vgl. Bl. 48 bis 53 und Bl. 57 bis 62 der Gerichtsakte). Die Wertpapiergeschäfte beliefen sich insgesamt im Streitjahr auf einen Umfang von etwa 30.000.000 €. Hierbei wurden jeweils Aktien unterschiedlicher Gesellschaften in bestimmter Stückzahl zu einem bestimmten Kurs „auf unbestimmte Zeit” ausgeliehen und nach ungefähr 14 Tagen in gleicher Stückzahl unabhängig vom jeweiligen Aktienkurs zurückgegeben. Im unmittelbaren zeitlichen Anschluss daran wurde das nächste Geschäft mit anderen Aktien abgewickelt. In den jeweiligen Leihzeiten der Aktien fielen die Stichtage der Dividendenberechtigungen (record date). Folgende Wertpapierleihgeschäfte schloss d...