rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Kindergeldgewährung für verheiratete Kinder mit Behinderung und zum Antrag eines Mitglieds einer Sozietät auf Terminsverlegung in letzter Minute
Leitsatz (redaktionell)
Bei der Ermittlung des verfügbaren Nettoeinkommens eines Kindes mit Behinderung ist der Kindergeldberechtigte für den Abzug einkommensmindernder Positionen feststellungsbelastet.
Normenkette
GG Art. 101, 103; FGO §§ 96, 115 Abs. 2 Nr. 3, §§ 124, 128; ZPO §§ 42, 46, 51, 227
Streitjahr(e)
2020
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für den Monat November 2020.
Die Tochter des Klägers ist 1997 geboren. Sie ist ausweislich des unbefristeten Schwerbehindertenausweises zu 50% schwerbehindert.
Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung zum möglichen Umfang der Erwerbstätigkeit ist die Tochter nicht in der Lage, ab 2018 bis „noch unklar“ eine arbeitslosenversicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben.
Im Rahmen eines Einspruchsverfahrens setzte die Beklagte mit Änderungsbescheid Kindergeld ab XX.XX.2018 fest und führte in den Erläuterungen aus, dass das Kind aufgrund der Behinderung außerstande sei, sich selbst zu unterhalten.
Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung zum möglichen Umfang der Erwerbstätigkeit vom XX.XX.2020 ist das Kind in der Lage, ab dem XX.XX.2018 bis „noch unklar“ eine arbeitslosenversicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben.
Am X. Januar 2020 erklärte die Tochter, dass sie ihren Lebensunterhalt von ihren Eltern bekomme.
Im XX.2020 heiratete die Tochter.
In der Erklärung zum verfügbaren Nettoeinkommen eines volljährigen Kindes mit Behinderung vom XX. September 2020 erklärte die Tochter, dass sie seit drei Jahren krankgeschrieben sei und seit einem Jahr kein Krankengeld oder sonstige Leistungen beziehe. Frühberentung sei bei der Rentenversicherung LVA beantragt worden. In der Erklärung zum verfügbaren Nettoeinkommen gab die Tochter an, dass ihr Ehemann einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 39.600 € jährlich erhalte sowie Betriebseinnahmen in Höhe von ca. 1.200 € und Betriebsausgaben in Höhe von ca. 300 € erziele. Ausweislich seiner Lohnabrechnung lautet seine Wohnanschrift xxx und die Adresse seines Arbeitgebers yyy. Der Ehemann erhielt danach ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 3.300 € bzw. einen Nettoverdienst in Höhe von 2.385,71 €.
Mit Bescheid vom 14. Oktober 2020 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung vom 4. Januar 2019 für die Tochter ab November 2020 auf. In der Begründung verwies sie auf § 63 in Verbindung mit § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG und führte aus, dass das Kind durch eigene verfügbare finanzielle Mittel (Unterhalt des Ehegatten) in der Lage sei, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten.
Dagegen legte der Kläger Einspruch ein und begründete diesen damit, dass der Bundesfinanzhof – Az. III R 22/13 vom 17. Oktober 2013 - entschieden habe, dass die Heirat des Kindes den Anspruch auf Kindergeld oder die steuerlichen Freibeträge nicht hindere. Auf das Einkommen des Ehepartners oder auf das Ausbildungsgehalt des Kindes komme es nicht an. Es sei nicht erforderlich, dass eine „typische Unterhaltssituation“ vorliege, ein Mangelfall müsse auch nicht mehr vorliegen. Nach neuer Rechtslage ab 2012 sei Kindergeld unabhängig von der Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes zu gewähren.
Mit Einspruchsentscheidung vom 24. November 2020 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Der Gesamtbedarf des Kindes im Zeitraum Juli 2020 bis Dezember 2020 sei mit 4.989 € zu beziffern. Ihr stünden Einnahmen aufgrund des hälftigen verfügbaren Nettoeinkommens des Ehegatten in Höhe von 7.096,50 € zu. Damit reichten die dem Kind zuzurechnenden Mittel ab Juli 2020 aus, den lebensnotwendigen Bedarf abzudecken. Die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG lägen nicht vor. Die zur Einspruchsbegründung herangezogene Entscheidung des Bundesfinanzhofes wirke sich im Falle eines Kindes mit Behinderung nicht aus, da dieses nur dann kindergeldrechtlich berücksichtigt werde, wenn es außerstande sei, sich selbst zu unterhalten. Bei einem Kind mit Behinderung sei die Festsetzung von Kindergeld also in jedem Fall von der Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes abhängig.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage. Zur Klagebegründung führt der Prozessbevollmächtigte A für den Kläger aus, dass die eigenen Mittel des Kindes nicht ausreichten, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Der verfügbare Nettolohn des Ehegatten betrage monatlich 2.385,71 €, davon seien Hauskosten einschließlich Darlehensraten in Höhe von xx €, monatliche Versicherungskosten von xx € und Fahrzeugversicherungskosten von xx € abzuziehen. Sein täglicher Arbeitsweg betrage 35 km Entfernung...