Entscheidungsstichwort (Thema)
Minderung von Einkünften und Bezügen eines Kindes durch Beiträge zur privaten Krankenversicherung
Leitsatz (redaktionell)
- Beiträge des Kindes zu seiner privaten Krankenversicherung sind bei Ermittlung seiner Einkünfte und Bezüge abzuziehen, wenn sie einen Krankenversicherungsschutz vermitteln, der demjenigen der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht.
- Bei geringfügiger Überschreitung des Jahresgrenzbetrages nach § 32 Abs. 4 EStG ist die Vorschrift verfassungskonform durch eine Übergangsregelung zu ergänzen, um die „Fallbeilwirkung” des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu vermeiden.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 Satz 2
Streitjahr(e)
2002
Tatbestand
Die Klägerin ist als Beamtin im Dienst des Landes Niedersachsen tätig. Sie begehrt Kindergeld für ihre Tochter S., ihr zweitältestes Kind, für den Zeitraum Januar bis Mai 2002. S. vollendete am 04.05.2002 ihren 27. Geburtstag und schloss im Juni 2002 ihr Hochschulstudium an der G-Universität mit der Magisterprüfung ab.
Die Beteiligten streiten allein über die Frage, ob die Einkünfte und Bezüge des Kindes im maßgeblichen Zeitraum den gesetzlichen Grenzbetrag überschritten haben. S. ging während ihres Studiums einer nichtselbständigen Aushilfstätigkeit nach und bezog außerdem eine Halbwaisenrente. Der Beklagte ermittelte die Einkünfte und Bezüge von S. für den streitigen Zeitraum mit insgesamt 3.525,63 € (Bl. 15 GA). Weil dieser Betrag den anteiligen Grenzbetrag des Kindes gemäß § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 7 Einkommensteuergesetz (EStG) von 2.995 € überstieg, hob der Beklagte im Dezember 2003 die Kindergeldfestsetzung ab Januar 2002 auf und forderte das ausgezahlte Kindergeld zurück. Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos.
Im Klageverfahren wies die Klägerin folgende weitere Aufwendungen des Kindes nach:
gesetzliche Rentenversicherung (Bl. 72 KiG-Akte) |
207,45 € |
gesetzliche Pflegeversicherung (Bl. 37 GA) 5 x 13,04 |
65,20 € |
private Krankenversicherung (Bl. 37 GA) 5 x 90,92 |
454,60 € |
Summe |
727,25 € |
Die private Krankenversicherung deckte das durch den Beihilfeanspruch der Klägerin für die Krankheitskosten ihrer Tochter nicht abgedeckte Krankheitskostenrisiko.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des Einspruchsbescheides vom 20.01.2004 und Änderung des Bescheides vom 01.12.2003 den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin für ihre Tochter S. für den Zeitraum Januar bis einschließlich Mai 2002 Kindergeld zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 25.01.2005 entschieden hatte, dass die gesetzlichen Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung des Kindes nicht in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 EStG einbezogen werden dürfen, erklärte sich der Beklagte bereit, die Renten- und Pflegeversicherungsbeiträge von S. für die Zwecke der Grenzbetragsberechnung von den Einkünften von S. abzuziehen. Dies gelte aber nicht für die freiwilligen Beiträge zur Krankenversicherung, weil sich die Entscheidung des BVerfG nicht auf solche Aufwendungen bezogen habe. Der Einkommensgrenzbetrag des Kindes sei auch nach Abzug der Renten- und Pflegeversicherungsbeiträge überschritten, mit der Folge, dass kein Anspruch auf Kindergeld bestehe.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Kindergeld für ihre Tochter S. für den streitigen Zeitraum. Der diesbezügliche Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Mit Ausnahme der zwischen den Beteiligten streitigen Frage, ob der Einkommensgrenzbetrag des Kindes überschritten ist, sind alle übrigen gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld für die Tochter der Klägerin S. erfüllt.
Auch der anteilige Einkommensgrenzbetrag, den der Beklagte nach § 32 Abs. 4 EStG zutreffend mit 2.995 € ermittelt hat, ist nicht überschritten. Denn die vom Beklagten errechneten Einkünfte und Bezüge des Kindes (vor Abzug von Renten-, Pflege- und Krankenversicherungsbeiträgen) in Höhe von 3.525,63 € sind um die gesetzlichen Rentenversicherungsbeiträge in Höhe 207,45 €, die gesetzlichen Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 65,20 € und die Beiträge für die private Krankenversicherung in Höhe von 454,60 € zu kürzen. Dies ergibt insgesamt Einkünfte und Bezüge des Kindes in Höhe von 2.798,38 €, die unter dem oben erwähnten anteiligen Grenzbetrag liegen.
Die Abziehbarkeit der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung und zur gesetzlichen Pflegeversicherung bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge des Kindes ergibt sich aus § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der für den Senat nach § 31 Bundesverfassungsgerichtsgesetz verbindlichen verfassungskonformen Auslegung, wie sie sich aus dem Beschluss des BVerfG vom 11.01.2005 – 2 BvR 167/02 – BVerfGE 112, 164, ergibt.
Auch die Beiträge des Kindes zu seiner privaten Krankenversicherung sind bei der Ermittlung seiner Einkünfte und Bezüge abzuziehen, wenn sie, wie im Streitfall, einen Krankenversicherungsschutz ...