Rz. 6
Der Vorbehalt der Nachprüfung ist seiner Rechtsnatur nach kein selbstständiger Verwaltungsakt, sondern eine Nebenbestimmung zum Steuerbescheid i. S. d. § 120 Abs. 1 AO. Es handelt sich um eine unselbstständige Nebenbestimmung, die mit der Steuerfestsetzung eine Einheit bildet. Steuerfestsetzung und unselbstständige Nebenbestimmung sind in ihrem Schicksal voneinander abhängig, beide sind nur gemeinsam rechtmäßig oder rechtswidrig. Das bedeutet, dass die Rechtswidrigkeit der unselbstständigen Nebenbestimmung den ganzen Steuerbescheid ergreift. Das Rechtsschutzbegehren kann also nicht auf Beseitigung der Nebenbestimmung unter Aufrechterhaltung der Steuerfestsetzung gerichtet sein, sondern führt zur Aufhebung der Steuerfestsetzung einschließlich der Nebenbestimmung.
Rz. 7
Die Anordnung des Vorbehalts der Nachprüfung als Nebenbestimmung i. S. d. § 120 AO gehört zu den im Verwaltungsakt (Steuerbescheid) getroffenen konstitutiven Entscheidungen; sie gehört zum verfügenden Teil des Verwaltungsakts. Er muss als Nebenbestimmung den formalen Erfordernissen des Steuerbescheides selbst genügen. Der Vorbehalt kann ausdrücklich, aber auch konkludent angeordnet werden. Es dürfte empfehlenswert, wenngleich nicht erforderlich sein, dass der Vorbehalt bereits aus dem Tenor der Entscheidung hervorgeht. Allein entscheidend ist, ob für den Stpfl. unzweideutig zu erkennen ist, dass der Verwaltungsakt unter dem Vorbehalt steht. Verweist die Finanzbehörde in den Erläuterungen des Steuerbescheids auf einen Außenprüfungsbericht, in dem der Außenprüfer die Aufnahme eines Vorbehalts vorschlägt, ist hieraus keine eindeutige Ermessensentscheidung erkennbar. Gleiches gilt für den Verweis auf andere Unterlagen oder Anlagen, aus denen sich keine eindeutige Erklärung ergibt. Aus Gründen der Rechtssicherheit und der weitgehenden Suspendierung der materiellen Bestandskraft ist eine eindeutige Erklärung zur Vorbehaltsfestsetzung zu verlangen.
Rz. 8
Für den Vorbehalt als Nebenbestimmung i. S. d. § 120 AO gelten die allgemeinen Vorschriften der §§ 118ff. AO. Insbesondere muss der Vorbehalt inhaltlich hinreichend bestimmt sein, § 119 AO, und er muss nach §§ 122, 124 AO bekannt gegeben werden.
Rz. 9
Ist der Vorbehalt zweideutig formuliert, hängen die Rechtswirkungen davon ab, ob der Stpfl. nach den Grundsätzen der Erklärungstheorie erkennen konnte, dass sich die Verwaltung eine spätere Änderung vorbehalten hat. Ist dies nicht der Fall, entfaltet der Vorbehalt keine Wirkung, die Steuerfestsetzung ist vorbehaltlos ergangen; zu dem Vorliegen einer offenbaren Unrichtigkeit nach § 129 AO in diesen Fällen vgl. Rz. 29. Konnte der Stpfl. unter Berücksichtigung der Verkehrssitte erkennen, dass der Verwaltungsakt nicht vorbehaltlos gelten sollte, konnte er den Inhalt des Vorbehalts aber nicht erkennen, ist der ganze Verwaltungsakt wegen Unbestimmtheit des Inhalts unwirksam. Nicht zulässig ist es, nur den Vorbehalt als unwirksam und damit den Verwaltungsakt als vorbehaltlos wirksam anzusehen, da die Verwaltung jedenfalls die vorbehaltlose Geltung des Steuerbescheids für den Stpfl. erkennbar ausgeschlossen hat.
Rz. 10
Nicht anwendbar auf den Vorbehalt sind die §§ 130, 131 AO, da § 164 Abs. 3 AO insoweit eine eigenständige und abschließende Regelung enthält.
Rz. 11
Aus Gründen der Verfahrensvereinfachung ist kraft Gesetzes der Vorbehalt insofern in gewisser Weise verselbstständigt, als er selbstständig aufgehoben werden kann. Damit wird der Neuerlass des Steuerbescheids ohne Vorbehalt ersetzt. Der Sache nach hat die Aufhebung des Vorbehalts durch die gesetzliche Fiktion aber die Wirkung eines Neuerlasses eines vorbehaltlosen Steuerbescheids mit dem sachlichen Inhalt des Vorbehaltsbescheids. Daher eröffnet die Aufhebung des Vorbehalts in vollem Umfang die Anfechtungsmöglichkeit, nicht nur gegen die formelle Entscheidung der Aufhebung des Vorbehalts, sondern auch gegen die materiellen Entscheidungen der Steuerfestsetzung. § 164 Abs. 3 AO gibt nur eine verfahrensrechtliche Erleichterung, materiell werden alle Folgen aus der Unselbstständigkeit der Nebenbestimmung gezogen.