Rz. 12
Aufgabe der Fahndung (s. Rz. 8) ist die Erforschung von Steuerstraftaten und solchen Straftaten, die kraft gesetzlicher Regelung als Steuerstraftaten gelten und Steuerordnungswidrigkeiten. Die besondere Erwähnung dieser Aufgabe in § 208 AO hat ausschließlich deklaratorische Bedeutung, denn sie folgt bereits aus der in § 404 S. 2 Hs. 2 AO zugewiesenen gesetzlichen Funktion der Amtsträger der Fahndung als "Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft" (s. Rz. 2, 3). Diese Rechtsstellung gibt nach § 385 Abs. 1 AO i. V. m. § 163 Abs. 1 StPO die Rechtspflicht zur Erforschung von Straftaten (Legalitätsprinzip, s. Rz. 37). Die Verpflichtung zur Erforschung der Steuerordnungswidrigkeiten folgt aus den §§ 409, 410 Abs. 1 Nr. 9 AO i. V. m. § 53 Abs. 1 OWiG (s. Rz. 37).
Rz. 13
Mit dem Begriff "Erforschung" knüpft die AO an den strafprozessualen Sprachgebrauch an. Nach § 160 Abs. 1 StPO obliegt der Staatsanwaltschaft die "Erforschung" des Sachverhalts (Rz. 2) mit dem Ziel, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob wegen des ermittelten Sachverhalts die öffentliche Klage, d. h. die Anklage vor dem Strafgericht, zu erheben ist. In Wahrnehmung dieser staatsanwaltschaftlichen Aufgabe (s. Rz. 3) haben die polizeilichen Dienststellen und Amtsträger nach § 163 Abs. 1 StPO die Taten zu "erforschen". Die Tat i. d. S. ist nach § 264 StPO das gesamte tatsächliche Geschehen, das bei natürlicher Betrachtungsweise als einheitlicher Lebensvorgang zu werten ist.
Rz. 13a
Dieser Aufgabe der strafrechtlichen Sachverhaltserforschung (s. Rz. 13) sind jedoch inhaltliche Grenzen gesetzt. Die Durchführung des Ermittlungsverfahrens in Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitensachen setzt dessen Einleitung voraus. Die Fahndung darf auch strafrechtlich nicht "ins Blaue hinein" ermitteln (s. entspr. auch Rz. 46). Der für die Einleitung erforderliche Anfangsverdacht verlangt die Kenntnis konkreter Tatsachen, die es als möglich erscheinen lassen, dass das Verhalten den Tatbestand einer Steuerstraftat erfüllt. Aus diesen Tatsachen bestimmt sich der Umfang des Verdachts und damit der inhaltliche Umfang der Einleitung, für Steuerstrafsachen regelmäßig konkretisiert auf den betroffenen Besteuerungszeitraum und die betroffene Steuerart.
Rz. 13b
Die Einleitung darf nur eine verfolgbare Straftat zum Gegenstand haben. Es dürfen keine erkennbaren Hindernisse oder Verbote für die Durchführung des Strafverfahrens bestehen. So scheidet die Einleitung eines Verfahrens wegen einer strafbedrohten Handlung z. B. rechtsnotwendig aus, wenn von vornherein eindeutig erkennbar Strafverfolgungsverjährung hinsichtlich dieser Handlung eingetreten ist. Auch die Immunität von Mitgliedern eines Gesetzgebungsorgans hindert die Verfahrensdurchführung. Gleiches gilt insbesondere für das Steuerstrafverfahren, wenn offenkundig die Voraussetzungen einer strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 AO erfüllt sind und damit die ahndungsausschließende Wirkung eingetreten ist. Ebenfalls ist das Verfolgungsverbot nach § 393 Abs. 2 AO zu beachten. Die Verfolgbarkeit von Teilen der Tat entfällt, wenn das Verfahren eingestellt worden ist, weil z. B. Tatteile nicht wesentlich sind, für die sonst ein Verfolgungsverbot oder Verfahrenshindernis vorliegt oder andere Hindernisse einer strafrechtlichen Verfolgung im Weg stehen, etwa der Tod des Beschuldigten.
Diese Grenze des Ermittlungsrechts ergibt sich aus dem Ermittlungsziel, also nach § 160 Abs. 1 StPO eine Entscheidung darüber zu treffen, ob wegen des im Straf- bzw. Bußgeldverfahren ermittelten Sachverhalts die öffentliche Klage, d. h. die Anklage vor dem Strafgericht, zu erheben ist. Die Ermittlungsaufgabe ist durch § 160 Abs. 1 StPO beschränkt auf die strafrechtlich bzw. bußgeldrechtlich relevanten Sachverhalte. Über diese Grenzen hinaus sind der Staatsanwaltschaft und die polizeilichen Dienststellen bzw. deren Amtsträger keine Ermittlungsaufgaben eingeräumt. Dies gilt auch für die Finanzbehörde i. S. v. § 386 Abs. 1 AO und die Fahndung.
Rz. 13c
Wird das Strafverfahren mangels hinreichenden Tatverdachts oder wegen fehlender weiterer strafprozessualer Möglichkeiten eingestellt, so kann die Fahndung grundsätzlich weitere Ermittlungen im Besteuerungsverfahren vornehmen. Dabei ist sie allerdings an den verfassungsmäßig verbürgten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. So ist es i. d. R. unverhältnismäßig, im Nachgang zu eingestellten strafrechtlichen Ermittlungen weitere Anfragen an Dritte im Besteuerungsverfahren nach § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO zu richten, wenn dadurch bei dem nicht sachverständigen Dritten der Eindruck erweckt werden könnte, die strafrechtlichen Ermittlungen würden fortgesetzt. Dadurch kann es zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts kommen, die zu den zu erwartenden Informationen außer Verhältnis steht. Die Fahndung muss also, will sie sich einer Anfrage im Besteuerungsverfahren nach § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO bedienen, vorab prüfen, ob d...