Rz. 12

Mit dem durch das JStG 2022[1] in den § 230 AO eingefügten Abs. 2 S. 1 wird geregelt, dass der Ablauf der Zahlungsverjährungsfrist "gehemmt" ist, solange die Festsetzungsfrist für den betroffenen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis noch nicht abgelaufen ist.

Intention des Gesetzgebers war dabei, dass verhindert werden sollte, dass auch zukünftig ein anhängiges Steuerfestsetzungs-, Rechtsbehelfs- oder Klageverfahren durch zwischenzeitliches Erlöschen des Anspruchs mit Eintritt der Zahlungsverjährung ohne Sachentscheidung beendet werden kann.[2]

Ob es dieser Regelung angesichts der mit dem gleichen Gesetzgebungsverfahren normierten § 229 Abs. 1 S. 3 AO zu diesem Zweck überhaupt bedurfte, könnte infrage zu stellen sein. Dabei sollte aber insbesondere das Zusammenspiel beider Regelungen beachtet werden (s. dazu Rz. 13 und 15).

 

Rz. 12a

Mit dem Wachstumschancengesetz[3] wurde § 230 Abs. 2 S. 1 AO im Wortlaut modifiziert. Klargestellt wurde, dass im Rahmen des Regelungsgehalts des § 230 Abs. 2 S. 1 AO die Zahlungsverjährungsfrist nicht vor Eintritt der Festsetzungsverjährung für den betroffenen Anspruch abläuft. Die Wirkung des § 230 Abs. 2 AO orientiert sich dementsprechend, wie in der Gesetzesbegründung dargelegt[4], anders als im Fall des Abs. 1 des § 230 AO, an der Ablaufhemmung der Festsetzungsverjährungsfrist in den Fällen des § 171 AO. Die Regelung zur Hemmung der Verjährungsfrist in § 209 BGB ist auf die Ablaufhemmung des § 230 Abs. 2 S. 1 AO dementsprechend nicht anzuwenden.[5]

Inhaltlich handelt es sich bei der Regelung des § 230 Abs. 2 AO – anders als im Fall der Verjährungshemmung nach Abs. 1 des § 230 AO und in Modifikation des Wortlauts der Überschrift der Norm – um eine Ablaufhemmung der Zahlungsverjährungsfrist orientiert an § 171 Abs. 7 AO[6], sodass sich die berechtigte Frage nach der systematischen Stellung der Regelung im Gesetz stellt.

 

Rz. 12b

Steuersystematisch ist diese Neuregelung auch aus anderen Gründen durchaus hinterfragbar. Ob es systemgerecht ist, dass die Vorschriften zur Festsetzungsverjährung inklusive ihrer Ablaufhemmungen über den Umweg des § 230 Abs. 2 S. 1 AO auch zu Regeln der Zahlungsverjährung werden und damit auch die Erhebungsregeln deutlich verkomplizieren, ist wohl eher zu verneinen.

 

Rz. 13

Die Regelung des § 230 Abs. 2 S. 1 AO steht in einem gewissen Widerspruch zur Wirkung des im gleichen Gesetzgebungsverfahren[7] neu geschaffenen § 229 Abs. 1 S. 3 AO. Danach beginnt die Zahlungsverjährung für den gesamten Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis mit jeder Festsetzung, Änderung oder Berichtigung nach § 129 AO für den gesamten Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis neu. Das könnte inhaltlich auch eine Änderungsmöglichkeit innerhalb der Festsetzungsfrist voraussetzen, ohne dass es auf ein "vorheriges Erlöschen des Anspruchs" durch Eintritt der Zahlungsverjährung ankommen kann. Es wäre also fraglich, ob es der Regelung des § 230 Abs. 2 S. 1 AO überhaupt bedurfte.

Zunächst entfallen durch diese ergänzende Regelung aber jedenfalls verbleibende Zweifel, ob eine geänderte Festsetzung nach Eintritt des Fristendes der "normalen" Zahlungsverjährung bei noch laufender Festsetzungsfrist wegen der nach einer durchgeführten Änderung einsetzenden Vorschrift des § 229 Abs. 1 S. 3 AO noch umgesetzt werden darf. Insoweit hat die Regelung des § 230 Abs. 2 S. 1 AO ergänzend eine mindestens deklaratorische, eher sogar konstitutive Bedeutung im Sinne des Gesetzeszwecks (Rz. 12).

 

Rz. 14

Daneben entfaltet § 230 Abs. 2 S. 1 AO einen ergänzenden eigenständigen Regelungsgehalt, da er anders als § 229 Abs. 1 S. 3 AO keine Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerfestsetzung voraussetzt.[8] Dies ergänzend hat dieser Regelungsgehalt aber auch Bedeutung, wenn mangels betragsmäßiger Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer lediglich die verfahrensrechtlich eigenständige und nur der Zahlungsverjährung unterliegende Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen geändert werden soll. Auch hier tritt die Zahlungsverjährung durch die Regelung des § 230 Abs. 2 S. 1 AO nicht ein, solange im Fall einer betragsmäßigen Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer mangels Eintritt der Festsetzungsverjährung noch eine Änderung der Steuerfestsetzung zulässig wäre.[9]

 

Rz. 15

Da die Festsetzungsfrist für verschiedene Teile eines Steueranspruchs zu unterschiedlichen Zeitpunkten abläuft und entsprechende Teilverjährung eintreten kann[10], wird durch § 230 Abs. 2 S. 1 AO auch die Zahlungsverjährung für die unterschiedlichen Teile des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis nur in dem noch nicht festsetzungsverjährten Umfang gehemmt.[11]

Die Anknüpfung der Zahlungsverjährungsfrist an den Ablauf der Festsetzungsfrist führt auch dazu, dass wegen der Regelung des § 169 Abs. 2 S. 2 AO auch für die Zahlungsverjährungsfrist eine eventuelle Verlängerung der Verjährungsfrist nur insoweit eintritt, wie eine Hinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dabei endet nach § 171 Abs. 7 AO insoweit die Fe...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Steuer Office Gold enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge