Rz. 23
Nach § 152 Abs. 2 StPO ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, und nach § 160 Abs. 1 StPO den Lebenssachverhalt, der dem Verdacht zugrunde liegt, zu ermitteln. Diese Rechtspflicht zur Strafverfolgung – im strafrechtlichen Sprachgebrauch als Legalitätsprinzip bezeichnet – gilt nicht nur für die Staatsanwaltschaft, sondern für alle Strafverfolgungsorgane einschließlich ihrer Ermittlungspersonen. Da nach § 399 AO die Finanzbehörde i. S. v. § 386 AO im Steuerstrafverfahren Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft wahrnimmt, ist sie insoweit Strafverfolgungsorgan und unterliegt damit der Verfolgungspflicht. Gleiches gilt für die Steuer- bzw. Zollfahndung aufgrund ihrer Rechtsstellung als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft bzw. Finanzbehörde i. S. v. § 386 AO nach § 404 AO.
Rz. 24
Das Legalitätsprinzip bei der Strafverfolgung steht unter dem Vorbehalt gesetzlicher Ausnahmen. Opportunitätserwägungen dürfen dabei nur im gesetzlich zulässigen Rahmen in die Überlegungen einfließen. Nur wenn und soweit ein solcher Ausnahmetatbestand vorliegt, z. B. die Strafverfolgungsverjährung oder ein anderes Verfolgungshindernis (Rz. 33), können die Strafverfolgungsorgane von der Durchführung des Strafverfahrens und damit auch von der Einleitung absehen. Auch soweit die Einstellung eines Strafverfahrens aus sonstigen Gründen in Betracht käme, muss eine Einleitung nicht erfolgen. Den Strafverfolgungsorganen wird hier ein Beurteilungs- bzw. Entscheidungsspielraum gewährt.
Rz. 25
Das Legalitätsprinzip wird demgegenüber nicht durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme oder nach Treu und Glauben eingeschränkt. Das hieraus allgemein resultierende Verbot des Übermaßes staatlichen Handelns gilt für die Einleitung des Strafverfahrens nicht, wohl aber bei der Wahl der Ermittlungshandlung. Die Strafverfolgungsorgane dürfen also nicht von der Durchführung von Ermittlungen absehen, weil schon durch die Ermittlungshandlungen schwere Nachteile für den Betroffenen entstehen könnten. Eine Güterabwägung kann allein aus kriminaltaktischen Gründen Einfluss auf den tatsächlichen Beginn der Ermittlungshandlungen haben. Dies darf allerdings nicht dazu führen, dass eine strafrechtliche Verfolgungsverjährung eintritt. Die Strafverfolgungsorgane haben vielmehr aufgrund des Legalitätsprinzips behebbare Verfahrenshindernisse zeitgerecht zu beseitigen.
Rz. 26
Die durch das Legalitätsprinzip begründete Rechtspflicht zur Strafverfolgung (Rz. 23) bewirkt, dass die Strafverfolgungsorgane die erforderlichen Ermittlungsmaßnahmen zu treffen haben. Diese haben den Beginn des Strafverfahrens zur Folge (Rz. 4). Die Einhaltung des Legalitätsprinzips wird strafrechtlich gesichert durch den Straftatbestand der Strafvereitelung, wonach die absichtliche oder wissentliche Vereitelung der Strafverfolgung auch durch Amtsträger der Strafverfolgungsorgane bzw. durch Ermittlungsbeamte mit Freiheitsstrafe und/oder Geldstrafe geahndet wird.