Rz. 12
§ 90 Abs. 1 S. 1 AO beschreibt nur einen allgemeinen Grundsatz, der durch eine Reihe spezieller, auf die jeweilige Verfahrenslage abgestimmter Bestimmungen konkretisiert wird. Eine eigenständige Rechtsgrundlage beinhaltet die Vorschrift wegen ihrer unzureichenden Bestimmtheit nicht. Der Einsatz von Zwangsmitteln setzt regelmäßig einen Verwaltungsakt voraus, der auf eine besondere – zur Mitwirkung verpflichtende – Regelung oder auf § 90 Abs. 1 AO i. V. m. einer besonderen Mitwirkungsvorschrift gestützt werden muss.
Rz. 13
Die AO regelt insbesondere folgende, die allgemeine Mitwirkungspflicht inhaltlich konkretisierenden Handlungs-, Duldungs- oder Unterlassungspflichten:
Daneben sehen die Einzelsteuergesetze vollziehbare Mitwirkungspflichten vor.
Rz. 14
Mangels einer entsprechenden Regelung lassen sich deshalb aus § 90 Abs. 1 AO keine allgemeinen Beweisvorsorgepflichten herleiten. § 90 Abs. 2 und 3 AO erfassen nur Fälle mit Auslandsbezug. Da die §§ 4, 5 EStG und §§ 140, 141 AO für Freiberufler sowie Bezieher von Überschusseinkünften keine Buchführungspflichten normieren, können die Finanzbehörden von diesen Personen auch keine besonderen Aufzeichnungen verlangen. § 90 Abs. 1 AO allein begründet auch keine besonderen Aufbewahrungs-, Beweisführungs- oder Nachweispflichten. Deshalb sind Stpfl. grundsätzlich nicht verpflichtet, einen umfassenden Nachweis über die Herkunft ihres Privatvermögens zu führen.
Rz. 15
Im Übrigen richtet sich der Umfang der Mitwirkungspflicht – was im Gesetz nicht gesondert hätte erwähnt werden müssen – nach den Umständen des Einzelfalls. Die Finanzbehörde und der Beteiligte sind jeweils Träger eines eigenen Verantwortungsbereichs. Das Gewicht der Verantwortung folgt maßgeblich den Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Sachverhaltsgestaltung und –ermittlung. Dem Stpfl. sind grundsätzlich alle entscheidungserheblichen Tatsachen bekannt, während diese der Finanzbehörde im Regelfall zunächst unbekannt sind und erst durch die Mitwirkungspflichten im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung bekannt werden. Dies folgt aus der logischen Beweisnähe des Stpfl. zu den Vorgängen seiner Lebenssphäre.
Rz. 16
Je größer die Beweisnähe des Beteiligten ist, desto ausgeprägter ist letztlich dessen Verantwortung für die Sachverhaltsaufklärung. Die Grenze der für den Beteiligten zumutbaren Mitwirkung verschiebt sich umso mehr zu seinen Lasten, als die von ihm behaupteten Umstände persönlich, ungewöhnlich, atypisch oder undurchsichtig sind. Mit abnehmender Lebenswahrscheinlichkeit der geltend gemachten Verhältnisse wachsen die Anforderungen an den tatsächlichen Nachweis und damit der Grad der Mitwirkungsobliegenheit.