Rz. 1
Die Grundsätze der mündlichen Verhandlung und der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme können nur effektiv werden, wenn allein die an der mündlichen Verhandlung und der Beweisaufnahme beteiligten Richter das Urteil fällen. Das sicherzustellen ist der Zweck von § 103 FGO. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung sind allein die daran beteiligt gewesenen Richter der gesetzliche Richter. Eben diese Richter müssen sich eine aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnene Überzeugung hinsichtlich des der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts bilden und dann durch Subsumtion dieses Sachverhalts unter die einschlägigen Rechtsnormen das Urteil fällen. Dies geschieht üblicherweise noch am Tag der mündlichen Verhandlung. Wird ausnahmsweise an einem späteren Tag beraten und abgestimmt, müssen dieselben Richter und ehrenamtlichen Richter wieder zusammenkommen.
Rz. 2
Das Urteil wird gefällt durch Beratung und Abstimmung gem. § 52 Abs. 1 FGO i. V. m. §§ 192ff. GVG. "Fällung" des Urteils ist die Beschlussfassung über die Urteilsformel nach einer Kollegialberatung. Die Urteilsfällung ist erst mit der schriftlichen Niederlegung der Urteilsformel und der Unterzeichnung der beteiligten Richter abgeschlossen. Die ehrenamtlichen Richter können die Urteilsformel ebenfalls unterschreiben. Sind die Richter, die an der mündlichen Verhandlung teilgenommen haben, an der Beschlussfassung verhindert (z. B. Erkrankung, Eintritt in den Ruhestand o. Ä.), muss die mündliche Verhandlung wiedereröffnet werden.
Von der Urteilsfällung sind der Erlass des Urteils und die Abfassung des Urteils zu unterscheiden. Das Urteil wird erlassen durch Verkündung oder Zustellung gem. § 104 FGO. Bei der Verkündung gilt § 103 FGO nicht. Die Richter, die das Urteil gefällt haben, müssen nicht notwendigerweise mit den Richtern identisch sein, die dieses verkündet haben. An der konkreten Abfassung der Gründe müssen die ehrenamtlichen Richter nicht mitwirken. Auch die rechnerische Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags ist nicht der Urteilsfindung, sondern der Urteilsabfassung zuzuordnen, an der die ehrenamtlichen Richter nicht mitzuwirken haben. Bei der Abfassung der Gründe folgen die Berufsrichter dem in der Beratung festgelegten Ergebnis, auch wenn noch einzelne Berechnungen erforderlich sind.
Rz. 3
Hat keine mündliche Verhandlung stattgefunden, ist § 103 FGO nicht anzuwenden. In diesen Fällen wird das Urteil bzw. der Gerichtsbescheid von den Richtern gefällt, die nach dem Geschäftsverteilungsplan am Tag der Beratung und Abstimmung zuständig sind, wenn eine Beratung stattgefunden hat. Für Beschlüsse aufgrund mündlicher Verhandlung gilt § 103 FGO gem. § 155 FGO i. V. m. §§ 329 Abs. 1 S. 2, 309 ZPO.
Rz. 4
Die dem Urteil zugrunde liegende Verhandlung ist eine mündliche Verhandlung, aufgrund derer, ggf. nach Beweisaufnahme, entschieden wird. Probleme treten auf, wenn Beweisaufnahme und abschließende Erörterung nach § 93 FGO in getrennten mündlichen Verhandlungen stattgefunden haben oder wenn überhaupt über mehrere Tage mündlich verhandelt wurde und dabei jeweils unterschiedliche Richter beteiligt waren.
Rz. 5
Nach der Rspr. ist danach zu unterscheiden, ob die mündliche Verhandlung lediglich unterbrochen oder ob die mündliche Verhandlung vertagt wird. Bei einer Unterbrechung handelt es sich um ein und dieselbe mündliche Verhandlung, die sich über mehrere Verhandlungstage (Sitzungstage) hinzieht, die Verhandlung also fortgesetzt wird. Im Fall einer Unterbrechung haben dieselben Richter, die an den Verhandlungstagen mitgewirkt haben, das Urteil zu fällen.
Rz. 6
Bei einer Vertagung hält die st. Rspr. einen Richterwechsel für zulässig. Das Tatbestandsmerkmal "dem Urteil zugrunde liegende Verhandlung" beziehe sich nur auf die letzte mündliche Verhandlung, d. h. auf den letzten Verhandlungstag vor Ergehen des Urteils. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass § 103 FGO nur sicherstellen wolle, dass die Richter, die an der (letzten) mündlichen Verhandlung teilgenommen haben, identisch sind mit denjenigen, die durch Urteil über die Klage befinden. Daraus folge, dass bei einer Verhandlung an mehreren Sitzungstagen ein Richterwechsel nach Vertagung einer mündlichen Verhandlung selbst dann unschädlich sei, wenn in dem früheren Termin eine Beweisaufnahme stattgefunden habe. Soweit diese Rspr. sich allerdings auf das Urteil des BFH v. 15.3.1977, VII R 122/73, BStBl II 1977, 431, beruft, genügt dies zur Begründung nicht. Dort wird lediglich festgestellt, dass dem Urteil die vor einem Richterwechsel erhobenen Beweise zugrunde gelegt werden können. Zugleich wird jedoch auch auf die Nachteile der damit verbundenen nicht unmittelbaren Beweisaufnahme hingewiesen. Bei einer Vertagung der Verhandlung richte sich die Besetzung der Richterbank nach Ansicht der Rspr. nach den für den neuen Termin geltenden Regeln. Ohne Belang sei es auch, wenn zunächst ein Erörterungstermin vo...