Rz. 19
Eine Rechtsfrage ist klärungsbedürftig, wenn sie die Rechtssicherheit, die Rechtseinheitlichkeit oder die Fortentwicklung des Rechts berührt. Dies ist der Fall, wenn es sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handelt, deren Bedeutung sich nicht in der Entscheidung des konkreten (individuellen) Einzelfalls erschöpft und wenn ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt, sodass mehrere Lösungen vertretbar sind. Klärungsbedarf besteht daher nicht, wenn sich die Rechtsfrage aus dem Gesetz beantworten lässt. Ebenso besteht kein Klärungsbedarf (mehr), wenn die Frage durch die bisherige Rspr. bereits geklärt ist oder wenn sie offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat, und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Entscheidung durch den BFH erfordern. Bei der Komplexität des Steuerrechts kann im Zweifel davon ausgegangen werden, dass auch eine Einzelfallentscheidung über den konkreten Streitfall hinausgehende Auswirkungen haben kann.
Klärungsbedürftigkeit setzt danach voraus, dass
- die Bedeutung der Rechtssache im Interesse der Allgemeinheit besteht und über den konkreten Einzelfall hinausgeht, d. h., dass die Rechtsfrage auch für eine Vielzahl anderer gleich liegender oder vergleichbarer Fälle bedeutsam ist (sog. Breitenwirkung). Die Auswirkung auf einen lediglich überschaubaren Personenkreis genügt nicht.
- die maßgebende Rechtsfrage auch inhaltlich ungeklärt ist, weil sie sich nicht bereits aus dem Gesetz beantworten lässt, sondern von Rspr., Fachschrifttum oder Verwaltung i. d. S. unterschiedlich beantwortet oder als zweifelhaft angesehen wird, dass ein Meinungsstreit besteht, oder – wenn dies nicht der Fall ist bzw. veröffentlichte Angaben dazu fehlen – der Beschwerdeführer eigene gewichtige Argumente für die Ungeklärtheit vorträgt;
- eine Revisionsentscheidung zur Einheitlichkeit der Rspr. oder zur Fortentwicklung des Rechts beitragen würde und dass es sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame Frage handelt. Dieses Erfordernis gewinnt nach der Neufassung des Abs. 2 Nr. 2 (Rz. 1) insbesondere im Rahmen des Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 (Rechtsfortbildungsrevision) als Unterfall der grundsätzlichen Bedeutung Gewicht (Rz. 23ff.).
Rz. 20
Klärungsbedarf besteht z. B. nicht,
- wenn nur die Fehlerhaftigkeit eines einzelnen Hoheitsakts, nicht auch die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes oder dessen Anwendung in anderen Fällen geltend gemacht wird;
- wenn die Frage lediglich fiskalpolitische Bedeutung hat;
- wenn der BFH die Rechtsfrage bereits entschieden und damit geklärt hat, es sei denn, die Beschwerde bringt neue Argumente vor, mit denen sich der BFH erkennbar noch nicht befasst hat oder befassen konnte;
- nur weil der BFH noch nicht über eine gleichliegende Sache entschieden hat;
- wenn es lediglich um die Anwendung fester Rechtsgrundsätze auf einen bestimmten Sachverhalt geht;
- wenn sich die Bedeutung der Sache in den besonderen Umständen des konkreten Einzelfalls erschöpft und nicht anzunehmen ist, dass sie sich in einer Vielzahl gleichartiger Fälle, d. h. im Allgemeininteresse, stellen wird;
- wenn nur wenige Fälle betroffen sind und keine anderen Gesichtspunkte ein abstraktes Interesse der Allgemeinheit ergeben;
- wenn die Entscheidung von der Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse des Streitfalls abhängt;
- wenn die Rechtsfrage nur auf der Grundlage eines anderen als dem vom FG festgestellten Sachverhalt entscheidungserheblich ist;
- wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage, auch wenn sie vom BFH noch nicht entschieden ist, ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt bzw. offensichtlich (ohne Widerspruch in Rspr. und Lit.) so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat;
- wenn die Rechtslage aufgrund des Gesetzeswortlauts eindeutig ist;
- wenn die Rechtsfrage in der Rspr. des BFH und der dem BFH folgenden FG bereits ausreichend geklärt ist und in der Beschwerdebegründung keine gewichtigen neuen – nicht abwegigen – vom BFH noch nicht geprüften Gesichtspunkte vorgetragen werden, wonach die bereits entschiedene Rechtsfrage weiterhin umstritten ist;
- wenn die Entscheidung nur für den konkreten Einzelfall von Bedeutung, d. h. nur das individuelle Interesse betroffen ist; etwa wenn die Entscheidung von zahlreichen Umständen des Einzelfalls abhängt, sodass in der Revisionsentscheidung keine allgemeinen, auch für andere Fälle geltenden Grundsätze aufgestellt werden könnten;
- wenn die Rechtsprechung ausreichende Kriterien zu der Frage erarbeitet hat, auch wenn zum konkreten Einzelfall noch keine Entscheidung vorliegt;
- auch nicht allein deshalb, weil sich eine Rechtsfrage in einer Vielzahl gleich liegender Fälle stellt;
- wenn die Rechtsfrage auslaufendes oder ausgelaufenes Recht betrifft, z. B. die Eigenheimzulage, es sei denn, die Streitfrage ist ausnahmsweise noch für eine Vielzahl von bereits anhängigen oder voraussichtlich ...