Prof. Dr. Bernhard Schwarz †
Rz. 26
Ein Verschulden des Vertreters ist insbesondere dann gegeben, wenn die Fristversäumung auf eine mangelhafte Büroorganisation, also einen Organisationsmangel, ursächlich zurückzuführen ist. Dagegen bedeutet ein reines Büroversehen, also ein Fehler, der auch durch eine ordnungsmäßige Büroorganisation vom Berater nicht zu vermeiden war, kein Verschulden.
Der steuerliche oder sonstige rechtliche Berater hat, wie auch die Finanzbehörde, organisatorisch für einen ordnungsgemäßen Bürobetrieb Sorge zu tragen. Gerade die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Rechtsstreits fällt in den alleinigen Verantwortungsbereich des Rechtsanwalts oder sonstigen Prozessvertreters, sodass er als mit der Einlegung des Rechtsmittels betraute Person das Zustelldatum, das Fristende und die Art des Rechtsmittels zu prüfen hat. Zur Abgrenzung der Büroversehen von Organisationsmängeln instruktiv BFH v. 19.12.2006, VII R 63/02, BFH/NV 2007, 1212.
Hat der Prozessvertreter Kenntnis über die Häufung von Fehlleistungen im organisatorischen Bereich seiner Kanzlei, muss er sich persönlich um die Einhaltung von Rechtsbehelfsfristen kümmern. Sonst liegt ein eigenes, für die Versäumung der Frist ursächliches Verschulden vor.
Rz. 27
Zur Wahrung der Fristen ist insbesondere die Führung eines Fristenkontrollbuchs oder einer vergleichbaren Einrichtung erforderlich. Ein Fristenkalender stattdessen soll nach zu enger Auffassung nicht ausreichen. Bereits das Fehlen einer solchen Einrichtung oder ihrer täglichen Überwachung ist ein Organisationsmangel, der die Fristversäumung schuldhaft sein lässt. In dieses Buch ist der Ablauf der gesetzlichen Rechtsbehelfsfrist jeder einzelnen Sache einzutragen. In dem Fristenkontrollbuch müssen besondere Spalten für die Überwachung von Revisionsbegründungsfristen eingerichtet sein. Für die Kontrolle von Fristen bei Fristverlängerungsanträgen sollen im Übrigen grundsätzlich entsprechende Voraussetzungen wie für die unmittelbare Fristenkontrolle bei Revision und Revisionsbegründung (Berufungsbegründung) gelten. Die Führung des Fristenkontrollbuchs oder vergleichbarer Einrichtungen muss so organisiert sein, dass eine notierte Frist frühestens nach Unterzeichnung und Postfertigmachen des fristwahrenden Schriftstücks gelöscht wird. Beruht die Fristversäumung auf einer falschen Eintragung im Fristenkontrollbuch, so ist entscheidend, ob diese auf einem Organisationsmangel beruht. So muss z. B. bei täglicher Leerung der dort eingelegten Sendungen aus einem Postfach organisatorisch sichergestellt sein, dass beim Einlegen nur eines Auslieferungsscheins für eine Einschreibesendung der Auslieferungstag im Fristenkontrollbuch festgehalten wird. Trifft der Vertreter über die Führung eines ordnungsmäßigen Fristenkontrollbuchs hinaus weitere organisatorische Sicherungen wie z. B. eine doppelte Fristenkontrolle, so führt dies nicht zu einer Verschärfung der Sorgfaltspflichten. Bei Fristversäumung infolge einer nicht ausgeführten, auf Tonträger diktierten Büroanweisung kann ein Büroversehen gegeben sein.
Rz. 27a
Der Einsatz eines Personalcomputers oder ähnlicher elektronischer Medien bei der Fristenkontrolle begegnet keinen grundsätzlichen Bedenken, wenn gewährleistet ist, dass sich die derart aufgezeichneten Daten "ebenso schlüssig und zwingend nachvollziehen lassen" wie die notwendigen Angaben in einem herkömmlichen Fristenkontroll- und Postausgangsbuch. Dazu gehört auch die Sicherung durch ein besonderes Programm gegen spätere Veränderungen und Korrekturen.
Rz. 28
Außerdem ist eine wirksame Ausgangskontrolle erforderlich, die gewährleistet, dass fristwahrende Schriftstücke nicht über den Fristablauf hinaus im Büro liegen bleiben. Allerdings kommt es auf eine wirksame Ausgangskontrolle und ein damit verbundenes Organisationsverschulden nicht an, wenn das Versehen dem Prozessbevollmächtigten selbst unterlaufen ist. In der Rspr. ist geklärt, dass zur Postausgangskontrolle die Einrichtung eines Postausgangsbuchs erforderlich ist. Die Eintragungen in diesem müssen so genau sein, dass eindeutig erkennbar ist, für wen wann welcher Vorgang das Büro verlassen hat. Nur ganz besondere Maßnahmen können im Einzelfall die übliche Ausgangskontrolle ersetzen. Das Fristenkontrollbuch muss täglich kontrolliert werden. Das Schriftstück muss solange im Bereich der Fristenkontrolle bleiben, bis es in einem letzten mechanischen Arbeitsgang den räumlichen Kontrollbereich verlässt. Ein Postausgangsbuch, das organisatorisch keine Verbindung zum unmittelbaren Postausgang hat, ist für eine Dokumentation der Übergabe an die Post ungeeignet. Mit der Aktenvorlage zur Bearbeitung und Vorbereitung der an die Frist gebundenen Handlung geht die Pflicht zur eigenverantwortlichen Fristüberwachung vom Gehilfen auf den die Sache bearbeitenden Prozessbevollmächtigten über. Dieser kann sich von dieser Verpflichtung nicht dadurch befreien, dass er das Büropersonal anweist, die Fristwah...