Rz. 20
Ein Erwerb durch Zuwendung (vgl. § 2087 BGB) wie etwa ein Erwerb kraft Gesetzes kann bereits vor dem Erbfall zu einer Rechtsposition geführt haben, die zwar noch keinen Erwerb von Todes wegen darstellt, sich jedoch rechtlich oder wirtschaftlich gegen Entgelt verwerten lässt.
Rz. 21
Eine solche Verwertung erfolgt bei einem Abfindungserwerb. Er ist dadurch gekennzeichnet, dass jemand einen Erwerb aufgibt, der bereits angefallen ist. Die Aufgabe kann erfolgen durch Verzicht (§ 397 BGB), Ausschlagung (§§ 1942, 2176 BGB) oder Zurückweisung (§ 333 BGB). Im Gegenzug erhält er eine Abfindung von demjenigen, der dadurch begünstigt wird, weil der aufgegebene Erwerb nunmehr ihm zufällt. Der Aufgebende hat seit 1.1.2009 die erhaltene Abfindung gem. § 3 Abs. 2 Nr. 4 zu versteuern (s. dazu Rz. 234). Der Begünstigte erwirbt zwar nicht als Rechtsnachfolger des Aufgebenden, sondern als Rechtsnachfolger desjenigen, der dem Aufgebenden den Erwerb verschafft hat. Aber wirtschaftlich beruht sein Erwerb auf dem Verzicht, der Ausschlagung oder der Zurückweisung. Und wirtschaftlich hat der Erwerber den Erwerb in Wahrheit nicht aufgegeben, sondern verwertet.
Rz. 22
Im Gegensatz zu den Abfindungserwerben stehen die Veräußerungserwerbe. Bei ihnen wird die Rechtsposition aus einem noch unvollendeten Erwerb von Todes wegen veräußert, also entgeltlich auf einen anderen übertragen. Es kommt vor dem Erwerb von Todes wegen zu einer entgeltlichen Einzelrechtsnachfolge nach dem Noch-nicht-Erwerber. In seiner Hand ereignet sich kein Erwerb mehr, er hat ihn zuvor in Gestalt des Veräußerungsentgelts erhalten.
Rz. 23
Damit keine Besteuerungslücken entstehen, hat der Gesetzgeber durch das Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz für Erwerbe nach dem 24.6.2017 durch Ergänzung des Abs. 2 Nr. 4 die bei Abfindungen an weichende Erbprätendenten bestehende Besteuerungslücke geschlossen.
Rz. 24
Die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Nr. 5 ErbStG war bis zum Inkrafttreten des JStG 2020 sprachlich "verunglückt", weil sie bis dahin den Ablauf der Ausschlagungsfrist voraussetzte, die es bei Vermächtnissen gerade nicht gibt. Dieses Redaktionsversehen des Gesetzgebers wurde mit Wirkung ab dem 29.1.2020 ohne Änderung des sachlichen Gehaltes der Norm beseitigt, indem die Norm nunmehr zutreffend auf die Annahme des Vermächtnisses abstellt. Der Steuertatbestand ist daher auf solche Vermächtnisse anwendbar, die infolge Annahme des Vermächtnisses durch den Berechtigten bindend geworden sind und nicht mehr ausgeschlagen werden können. Mit der Änderung soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers klargestellt werden, dass die Abfindung für ein angenommenes Vermächtnis gewährt wird, das wegen der Annahme nicht mehr ausgeschlagen werden kann.